Wie lässt sich Krawallen und Feierwut begegnen?
Nachtbürgermeister Jimmy Kneipp erklärt im Interview, warum seiner Meinung nach Verbote und Kollektivstrafen auf Dauer nicht zielführend sind

Von Philipp Neumayr
Heidelberg. Corona-Pandemie, Neckarwiesen-Randale, Anwohner-Ärger und Aufenthaltsverbote: Die ersten Wochen im Amt der Nachtbürgermeister Daniel Adler und Jimmy Kneipp waren bewegt. Wo die Probleme liegen und was Abhilfe schaffen könnte, erklärt Jimmy Kneipp (32) im Interview.
Herr Kneipp, die letzten Wochenenden in Heidelberg wurden von Gewalt, Randale, Aggressivität und Alkoholexzessen überschattet. War das, was sich da ereignet hat, eine pandemiebedingte Überkompensation oder eine Entwicklung, die einem ernsthafte Sorgen bereiten sollte?
Man muss differenzieren zwischen denjenigen Menschen, die unter Leuten sein und feiern wollen, und denjenigen, die randalieren. Natürlich gibt es einen Nachholeffekt bei den jungen Menschen, wenn man so lange Zeit abends nicht vor die Tür kann. Aber ich glaube nicht, dass wir uns langfristig Sorgen machen müssen.
Stadt und Polizei reagierten auf die anfängliche Eskalation der Ereignisse mit einem Aufenthaltsverbot auf der Neckarwiese. War dies das passende Signal?
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Ich verstehe das Signal, dass da gegeben werden sollte – gerade an Personen, die von außerhalb kommen. Aber wenn die Wiese um 24 Uhr geräumt wird, geht bei 30 Grad am Wochenende natürlich niemand nach Hause. Dann ziehen die Menschen an andere Orte wie die Alte Brücke oder in die Untere Straße, wo sich die Gruppen mit denjenigen vermischen, die wegen der Sperrstunde um 1 Uhr aus der Kneipe hinaus müssen.

Auf das Aufenthaltsverbot auf der Neckarwiese folgte nun ein Alkoholverbot. Wie bewerten Sie diese Maßnahme?
Auch da verstehe ich das Signal, das Heidelberg aussenden möchte. Aber langfristig wird das wenig nützen, denn die Leute decken sich dann eben vor 23 Uhr mit Alkohol ein. Ich glaube, dass Verbote für alle und Kollektivstrafen wegen einiger weniger Unbelehrbarer auf Dauer nicht zielführend sind.
Inwiefern ist es ein Problem, dass sich die Nachtschwärmer in normalen Zeiten mitten in der Altstadt bei sogenannten Spätis mit Alkohol eindecken können?
Ich weiß nicht, ob "Problem" das richtige Wort ist. Es liegt in der Natur der Sache, dass die Menschen Alkohol im "Späti" kaufen, wenn dieser bis 5 Uhr verkaufen darf und die Kneipen um 1 Uhr schließen. Ich will den "Spätis" aber nicht ihre Existenzberechtigung absprechen. Wenn die Gastronomie länger geöffnet hätte und die Clubs wieder aufmachen würden, wäre die Frequenz bei den "Spätis" auch nicht so hoch.
Anders als in Berlin, wo die Clubs inzwischen wieder im Freien geöffnet haben, sind sie in Heidelberg noch immer dicht. Wäre die Öffnung von Clubs und Diskotheken die Lösung aller Probleme?
Es wäre zumindest ein Teil der Lösung. Ich habe die Hoffnung, dass zum einen die Sperrstunde mit der neuen Corona-Verordnung entfällt, sodass die Leute sich länger in der Kneipe aufhalten können und sich das Publikum in der Altstadt dadurch mehr entzerrt. Denn das ist derzeit das große Problem: dass zwischen 24 und 1 Uhr so viele Menschen zeitgleich auf der Straße sind. Und zum anderen hoffe ich, dass bald auch das Tanzverbot in Baden-Württemberg aufgehoben wird und man wieder kontrollierte Tanzveranstaltungen stattfinden lassen kann. Denn sonst ist es eben so, wie es jetzt ist: Dass sich die Menschen mit einer Musikbox im Freien treffen und dort illegal und unkontrolliert feiern.
Wäre jetzt nicht der ideale Zeitpunkt für zeitlich begrenzte Clubs, sogenannte Pop-up-Clubs?
Definitiv. Gerade im Freien wäre es aufgrund der geringeren Infektionsgefahr perfekt. Aber auch drinnen sollte man die Clubs, sobald möglich, wieder aufmachen. Wir stehen voll dahinter, wenn es darum geht, entsprechende Flächen zu suchen. Sie auch zu finden, ist nicht immer leicht, denn natürlich können sich daraus schnell neue Problemstellungen ergeben, gerade mit Anwohnern. Das ist die große Herausforderung in Heidelberg: Orte finden, die wenig Konfliktpotenzial hinsichtlich des Lärms mit sich bringen. Es gibt natürlich auch hier solche Orte, zum Beispiel Patrick-Henry- und Mark-Twain-Village oder das Airfield. Es geht aber auch um die Frage, ob es Betreiber gibt, die das machen möchten. Und wenn es städtisch organisiert wird, ist es immer auch eine Frage des Budgets.
In Heidelberg gibt es viel Angebot, wenn es um die Hochkultur geht. Fehlt es am Engagement der Bürgerschaft oder liegt es am fehlenden Willen der Verwaltung, wenn es darum geht, auch mehr Angebote abseits davon möglich zu machen?
Auch mir fehlt in Heidelberg oft der Blick für das jüngere Publikum, gerade wenn es um Subkultur geht. Aber es ist eben auch eine betriebswirtschaftliche Frage für Einzelpersonen zu sagen: Ich eröffne jetzt hier mal für zwei Monate einen Club. Das ist mit hohem finanziellen Risiko verbunden. Umso wichtiger ist es, dass es auch finanzielle Förderungen für Bereiche gibt, die nicht dem Mainstream angehören. Wenn wir da keine legalen, kontrollierbaren Angebote und Alternativen schaffen, werden sich die Menschen immer woanders treffen.
Diese alternativen Angebote bräuchte es eher heute als morgen. Wird das noch etwas diesen Sommer?
Wir sind optimistisch, dass wir noch etwas präsentieren können.



