Heidelberg

So wollen die neuen Nacht-Bürgermeister die Nachtkultur retten

Jimmy Kneipp und Daniel Adler fänden es optimal Clubs in allen Stadtteilen anzusiedeln – nicht nur in der Altstadt. In Sachen Lärmkonflikt stehen sie auf dem Standpunkt: "Für eine Befriedung ist es nie zu spät."

10.05.2021 UPDATE: 11.05.2021 06:00 Uhr 5 Minuten, 12 Sekunden
Aufgrund der Corona-Pandemie ist der Streit zwischen Feiernden und lärmgeplagten Anwohnern in der Altstadt in den Hintergrund gerückt. Die neuen Nachtbürgermeister Jimmy Kneipp und Daniel Adler (v.l.) haben trotzdem genug zu tun. Foto: Philipp Rothe

Von Anica Edinger

Heidelberg. Daniel Adler und Jimmy Kneipp sind die ersten Heidelberger Nachtbürgermeister. Seit dem 15. März sind die beiden 32-Jährigen im Amt, haben am Fischmarkt ihr Büro bezogen. Auf ein Jahr ist ihre bei Heidelberg-Marketing angesiedelte Stelle befristet – und ihnen stehen Mammutaufgaben bevor: Den Streit in der Altstadt zwischen Feiernden und Anwohnern befrieden, das Sterben der Clubs aufhalten, die Folgen der Corona-Krise auf die Branche abfedern. Wie die Nachtbürgermeister das alles angehen wollen, weshalb sie sich das überhaupt antun und was man in Heidelberg von Mannheim lernen kann, darüber sprechen sie im RNZ-Interview.

Herr Adler, Herr Kneipp, Sie sind auch angetreten, um den Streit in der Altstadt zwischen Feiernden und lärmgeplagten Anwohnern zu schlichten. Haben Sie selbst schon einmal Altstädter beim Feiern um ihren Schlaf gebracht?

Kneipp: Ich bin da ganz ehrlich: Ich hatte natürlich auch schon mal ein oder zwei Bier zu viel in der Unteren Straße. Aber das heißt ja nicht, dass man sich deshalb daneben benehmen muss.

Adler: Ich selbst habe auch schon in der Altstadt gewohnt – direkt gegenüber der Musikkneipe Karl. Ob ich schon einmal Leute um ihren Schlaf gebracht habe, kann ich nicht sagen: Aber ich wurde selbst das eine oder andere Mal um den Schlaf gebracht.

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Der Streit in der Altstadt schwelt seit Jahrzehnten. In all den Jahren hat es noch keiner geschafft, ihn zu befrieden. Wieso sollte ausgerechnet Ihnen das jetzt gelingen?

Kneipp: Durch unsere Stelle wurde eine neutrale Instanz geschaffen, wodurch man nun ganz anders an die Sache rangehen kann. Wir sind dafür da, im Streit zu vermitteln und alle wieder an einen Tisch zu bringen.

Adler: Das Wichtigste ist, dass alle Parteien wieder miteinander reden, dass ergebnisorientiert gearbeitet wird. Irgendetwas ist in den letzten Jahren in Bezug auf die Situation in der Altstadt nicht optimal gelöst worden. Das wollen wir nun geradebiegen.

Alle an einen Tisch bringen: Ist das als Strategie nicht zu wenig?

Adler: Es ist ein erster Schritt, dass beide Seiten aufeinander zugehen. Es gilt aber natürlich, noch viel mehr Dinge anzugehen, die in den letzten Jahren zwar immer wieder im Gespräch waren, aber nicht umgesetzt wurden.

Kneipp: Wir erarbeiten beispielsweise aktuell ein Manifest mit gewissen Verhaltensregeln, die für die Gastronomen und die Gäste gelten und die am Ende des Prozesses von allen Beteiligten getragen werden müssen.

Also beispielsweise, dass man nicht an Hauswände pinkeln sollte?

Kneipp: Auch das. Im Manifest geht es einfach um eine Art Netiquette für das Feiern in der Altstadt, die letztlich auch von den Wirten getragen und umgesetzt werden sollte. Es geht aber auch um gegenseitige Akzeptanz. Denn klar muss auch sein: Wo gehobelt wird, da fallen Späne. Es wird wahrscheinlich immer Abende geben, an denen es mal lauter wird in der Altstadt.

Adler: Man könnte zusätzlich beispielsweise auch mit privaten Sicherheitsteams arbeiten, die in den Hotspots – also etwa in der Unteren Straße – unterwegs sind und die Feierenden auf die Verhaltensregeln aufmerksam machen. Es muss ein Bewusstsein dafür geschaffen werden, dass es in der Altstadt verschiedene Interessen und Bedürfnisse gibt. Das wollen wir multimedial auch mit gezielten Kampagnen über Social Media angehen. In Mannheim hat man damit bereits gute Erfahrungen gemacht.

Zuletzt wurde von den Klägern ein gerichtliches Mediationsverfahren ausgeschlagen. Ist es schon zu spät für eine echte Befriedung des Konflikts?

Kneipp und Adler (gleichzeitig): Zu spät ist es nie!

Kneipp: Wer sagt, es sei zu spät für eine Lösung des Konflikts, der sucht nur Ausreden dafür, dass er nichts weiter machen, nichts versuchen will. Wir sind überzeugt, dass es noch Möglichkeiten gibt, die Wogen zu glätten.

Adler: Wir sind angetreten, den Konflikt zu befrieden. Das ist ein Ziel, an welchem wir uns unter anderem am Ende unserer Amtszeit messen.

Wieso tun Sie sich das eigentlich an?

Kneipp: Wir sehen es nicht als Last, sondern als Herausforderung. Als Heidelberger, die hier aufgewachsen und großgeworden sind, ist es uns ein Anliegen, die Situation das Nachtleben betreffend in Heidelberg grundlegend zu verbessern. Aber wir sehen uns auch nicht ausschließlich als Nachtwächter. Die Befriedung des Konflikts ist eines von drei Themen, für die wir da sind.

Adler: Klar ist: Es gibt in Heidelberg noch viel mehr zu tun – abseits des Sperrzeiten-Streits in der Altstadt.

Beispielsweise das weitere Clubsterben aufhalten?

Kneipp: Neue Clubs anzusiedeln. Das muss viel mehr bei der Stadtplanung mitgedacht und zum festen Thema werden – beispielsweise auch bei der Planung von Patrick-Henry-Village. Früher gab es für jede Musikrichtung und jede Zielgruppe entsprechendes Programm in den verschiedenen Clubs, heute zentralisiert sich fast alles in der Altstadt. Ein dezentrales Angebot zum Ausgehen und Feiern zu schaffen abseits der Altstadt, würde sich übrigens sicher auch positiv auf die dortige Lärmproblematik auswirken, weil man die Massen besser entzerren könnte. Clubs müsste es in allen Stadtteilen geben. Das wäre optimal.

Adler: Wir könnten uns auch Pop-up-Clubs oder -Bars gut vorstellen – also Bars oder Clubs, die nicht dauerhaft, sondern zeitlich begrenzt an einem bestimmten Ort sind. Außerdem gibt es auch noch leer stehende Clubs, die neu bespielt werden müssen: das ehemalige Canoa etwa im Keller des Restaurants Rossini in Neuenheim oder auch das Frauenbad im Alten Hallenbad.

Die Corona-Krise hat vielen Veranstaltern den Garaus gemacht. Muss man da vielleicht auch finanziell helfen?

Adler: Eine Möglichkeit wäre, Sponsoren mit ins Boot zu holen. An diesem Thema sind wir bereits dran. Generell gilt aber auch: Kulturkonzepte, und dazu zählt auch die Nachtkultur, müssen künftig schnell und effizient ermöglicht werden.

Womit wir beim Stichwort Ermöglichungskultur wären. Da sind Sie beide auch auf die Kooperation mit den städtischen Ämtern angewiesen. Wie läuft denn die Zusammenarbeit seit Ihrem Amtsantritt?

Kneipp: Bis jetzt sind wir nur auf offene Türen gestoßen. Ich habe das Gefühl, dass die Stadt in Bezug auf das Nachtleben und die Nachtkultur etwas bewegen will, dass unsere Stelle nicht nur aus Marketinggründen geschaffen wurde.

Adler: Auch einen Termin mit dem Oberbürgermeister hatten wir schon. Er hat erklärt, dass auch seine Türen immer offen stehen, wenn wir ein Anliegen haben. Darauf werden wir sicherlich zurückkommen.

Seit der Corona-Krise ist das Nachtleben komplett zum Erliegen gekommen. Wieso braucht Heidelberg gerade jetzt zwei Nachtbürgermeister?

Adler: Mit der Corona-Pandemie hat sich das Aufgabenfeld gewandelt – der Fokus liegt nun erst einmal nicht so sehr auf der Lösung des Altstadt-Problems.

Worauf liegt der Fokus dann?

Kneipp: Es geht jetzt insbesondere um das Abfedern der Folgen der Pandemie. Die werden für die Kultur und auch für die Gastronomie verheerend sein, wenn man nicht einschreitet. Wir arbeiten deshalb gerade an verschiedenen Sommerbühnen in den Stadtteilen, auf welchen lokale und regionale Künstlerinnen und Künstler auftreten können, wo aber auch die lokale Gastronomie einbezogen wird. Sie sehen: Wir langweilen uns nicht seit unserem Amtsantritt.

Adler: Wir arbeiten derzeit zudem an unseren Auftritten in den Sozialen Medien und an unserer Internetseite, die zur Kommunikation mit allen Anspruchsgruppen dienen soll – gerade eben jetzt in der Corona-Krise. Außerdem wollen wir, sobald die Lage es zulässt, eine Art Bürgersprechstunde anbieten.

In Bezug auf die Nachtkultur schaut man als Heidelberger immer ein bisschen neidisch nach Mannheim – wo das Nachtleben noch viel lebendiger und vielseitiger ist als in Heidelberg. Was machen die Mannheimer besser?

Kneipp: Wir waren hier in Heidelberg einfach immer etwas verwöhnt durch die Touristenströme und sind beim Thema Nachtkultur in der Entwicklung eher stehen geblieben, wohingegen Mannheim sich stetig weiterentwickelt und mehr gemacht hat, weil sie einfach dazu gezwungen waren, attraktiv zu bleiben. Sie waren gegenüber neuen Ideen aus Gastro- und Kulturbereich offener. In Heidelberg traf man da leider zu häufig auf Ablehnung – und dann gehen die Kreativschaffenden und Gastronomen eben nach Mannheim. Grundsätzlich genießt die Nachtkultur in Mannheim eine größere Wertschätzung. Zudem muss man anerkennen, dass die Szene dort besser zusammenarbeitet und besser vernetzt ist.

Was kann man denn in Heidelberg daraus lernen?

Adler: Nicht nur von Mannheim, ebenso sollten wir auf Städte wie Regensburg, Freiburg oder Münster blicken und schauen, was dort in der Vergangenheit besser gemacht wurde als bei uns. Es müssen mehr Gelegenheiten geschaffen werden, die positiv zum Nachtleben und der Clubkultur beitragen, und die am Nachtleben beteiligten Organe müssen enger zusammenarbeiten. Hier möchten wir als Schnittstelle ansetzen, damit in Heidelberg künftig neue Konzepte und Ideen angestoßen, ermöglicht und realisiert werden.

Hintergrund

Die Heidelberger Nachtbürgermeister

> Daniel Adler (32):Nach dem Abitur an der Friedrich-List-Schule in Mannheim Studium an der DHBW Mannheim "Medienmanagement und Kommunikation" (2012-2015). Danach Selbstständigkeit, zunächst als Medienagentur-Inhaber, dann

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Die Heidelberger Nachtbürgermeister

> Daniel Adler (32):Nach dem Abitur an der Friedrich-List-Schule in Mannheim Studium an der DHBW Mannheim "Medienmanagement und Kommunikation" (2012-2015). Danach Selbstständigkeit, zunächst als Medienagentur-Inhaber, dann Gründung von zwei Stadtportalen (in Heidelberg "AboutHeidelberg"). Damit einhergehend Realisierung mehrerer Veranstaltungen und Märkte. Aktuell auch als Berater tätig und weiterhin Betreiber der Stadtportale und Medienagentur.

> Jimmy Kneipp (32): Geboren in Berlin-Kreuzberg, in Heidelberg aufgewachsen, danach Studium in Mainz, 2011 Wechsel an die Fachhochschule Worms (Studium: Handelsmanagement), Auslandsaufenthalt in Shanghai, seit 2014 zurück in Heidelberg. Seit 2016 Inhaber des Bistro Fandango in Rohrbach.

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