Wie die Jugend die Pandemie erlebt
Das Leben von Kindern und Jugendlichen hat sich durch die Pandemie grundlegend verändert. Worunter sie leiden und was die Kinder- und Jugendhilfe aktuell für sie tun kann.

Von Philipp Neumayr
Heidelberg. Kinder und Jugendliche leiden massiv unter Corona. Laut einem kürzlich veröffentlichten Unicef-Bericht haben die Einschränkungen des öffentlichen und privaten Lebens weitreichende Folgen für das Wohlbefinden und die Entwicklung junger Menschen. Die städtische Kinder- und Jugendhilfe ist dazu da, Kinder und Jugendliche in ihrer Entwicklung zu fördern, aber auch Erwachsenen in schwierigen Situationen zu helfen. Wie gelingt das in Zeiten der Pandemie? Darum ging es in der jüngsten Sitzung des Jugendhilfeausschusses. Ein Gespräch mit Myriam Lasso, Leiterin des Kinder- und Jugendamtes, und Katja Weiß, Abteilungsleiterin der städtischen Kinder- und Jugendförderung.

Frau Lasso, Frau Weiß, auch über ein Jahr nach Pandemiebeginn sind junge Menschen in ihrem Leben stark eingeschränkt. Machen Sie sich Sorgen um die Heidelberger Jugend?
Lasso: Ja, natürlich. Ich glaube, die ganze Fachwelt macht sich Sorgen um die Kinder und Jugendlichen. Es geht nicht nur darum, dass Kinder in der Schule abgehängt werden, sondern auch um fehlende soziale Kontakte, die diese Kinder haben. Es geht darum, sich nicht verlieben zu können, nicht abfeiern zu können – all das, was Kindheit und Jugend ja ausmacht. Ich habe neulich mit jemandem gesprochen, der eine dreijährige Tochter hat. Wir sind dann darauf gekommen, dass die Tochter ein Drittel ihres Lebens mit Maske verbracht hat. Da wird einem erst die Dimension klar, was das für Kinder heißt und wie schwer die Eingriffe sind. Man muss aber auch sagen, dass viele Kinder und Jugendliche die Situation ganz toll meistern. Wie sie die Regeln akzeptieren und sich daran halten – da kann ich nur sagen: Hut ab!

Kommen junge Menschen in der öffentlichen Debatte allgemein zu kurz?
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Lasso: Ja, eindeutig. Gerade die Jugendlichen haben für die Lebensbereiche außerhalb der Schule keine Lobby.
Weiß: Ich glaube, die allgemeine Wahrnehmung ist, dass Jugendliche vor allem Schülerinnen und Schüler sind. In diesem Kontext werden sie sehr wohl wahrgenommen, aber das ist eben nur eine Facette. Dass Kinder und Jugendliche viel mehr Bedürfnisse haben, die über Schule hinausgehen – das wird zu wenig diskutiert und dafür wird zu wenig getan.
Sie als Verwaltung haben nach rund einem Jahr Pandemie eine erste Bestandsaufnahme für die Kinder- und Jugendhilfe gemacht. Welche Erkenntnisse haben Sie gewonnen?
Lasso: Die Kinder und Jugendlichen sind natürlich – wie wir alle in dieser Zeit – sehr angespannt. Für sie hat sich das Leben grundlegend verändert. Ihr Alltag und ihr Kontakt beschränken sich inzwischen vor allem auf den Bildschirm – von der Schule über das Treffen mit Freunden bis hin zur Geburtstagsparty. Sport im Verein ist zudem kaum möglich. Das in diesem Alter so wichtige Ausprobieren, das Erkunden und Aktivsein – das findet alles nicht mehr statt. Dadurch gibt es vermehrt größere und kleinere Krisen. Das spürt man jetzt schon – und man wird es auch nachhaltig spüren.
Äußern sich diese Krisen auch in psychischer Form?
Lasso: Was wir wahrnehmen, ist: Es gibt lange Wartezeiten bei den entsprechenden Beratungsstellen und auch bei den Kinder- und Jugendpsychiatern. Das ist aber nicht nur auf Corona zurückzuführen.
Weiß: Auf die Pandemie zurückzuführen ist, dass viele Familien unter einem enormen Stress stehen. Gerade die Situation des Homeschooling ist eine große Herausforderung, sowohl für die jungen Menschen als auch für ihre Eltern. Aus der Schulsozialarbeit wissen wir, dass das Kommunikationsbedürfnis der Kinder und Jugendlichen groß ist. Gleichzeitig nehmen die Anfragen in den Erziehungsberatungsstellen zu. Da kommt es zu Aussagen wie: "Ich kann die Situation mit meinem Kind nicht mehr ertragen." Das zeugt davon, dass auch die Eltern enorm unter Spannung stehen und sich Entlastung wünschen, indem wieder verlässliche Strukturen geschaffen werden.
Was kann die Stadt tun, um diese Verlässlichkeit auch bei schwankenden Inzidenzwerten und wechselnden Verordnungen herzustellen?
Weiß: Der Leitwert in den Corona-Verordnungen ist der Inzidenzwert. Das macht die Planung auch für uns schwierig, zum Beispiel bei den Ferienangeboten. Wir wissen ja, wann die nächsten Ferien sind und können Angebote vorhalten, aber am Ende regeln es die Verordnungen, was möglich ist und was nicht. Und dennoch sind unsere Kollegen und Partner wirklich kreativ und tun alles dafür, dass die Kinder und Jugendlichen am Start bleiben.
Lasso: Wir versuchen zum einen, dem Infektionsschutz nachzukommen, und zum anderen, auch die Kinder, Jugendlichen und ihre Familien im Blick zu behalten. Den Rahmen dafür bieten die aktuellen Regelungen von Bund und Land. Als Kommune können wir diese leider nicht beeinflussen. Was wir machen können, ist, den Rahmen so gut es geht, auszuschöpfen und innerhalb dessen unsere Angebote zur Verfügung zu stellen. Und wenn es geht, versuchen wir auch darüber hinaus zu gehen, daran arbeiten wir gerade.
Können Sie das genauer erklären?
Lasso: Wir arbeiten für den Bereich der offenen Kinder- und Jugendarbeit an einem Pilotprojekt mit einem besonderen Test- und Hygienekonzept. Wenn wir Angebote öffnen wollen, müssen wir das mit einer Teststrategie verbinden und genau das wollen wir machen – um so den Jugendlichen mehr zu ermöglichen, als sie im Moment dürfen. Ob das am Ende auch so umgesetzt werden kann, wissen wir noch nicht. Wir wollen aber zeigen, dass es auch anders gehen kann. Denn es braucht Öffnungsszenarien, die sich schrittweise umsetzen lassen – und man muss auch über Lösungen sprechen, nicht nur über Verbote.
Ein Lösungsvorschlag im Ausschuss lautete, Schnelltest-Ergebnisse effizienter zu nutzen, indem Kinder und Jugendliche damit nicht nur die Schule besuchen, sondern auch Freizeittätigkeiten nachgehen können.
Lasso: Das sehe ich genauso. Es ergibt keinen Sinn, dass Kinder morgens in der Schule getestet werden und nachmittags müssen sie im Jugendzentrum oder bei anderen Angeboten erneut getestet werden. Das sollte man miteinander verbinden. Diese Möglichkeit gibt es landesweit zwar noch nicht, aber unser Ziel ist es, das möglich zu machen.
Welche Möglichkeiten kann die Kinder- und Jugendhilfe in Pandemie-Zeiten generell bieten?
Weiß: Der ganz reguläre Umgang, das, was junge Menschen lieben – ins Jugendzentrum gehen, zocken et cetera – das geht nicht mehr so einfach und in großen Gruppen. Beratungsstellen haben ihre Arbeit jedoch nie eingestellt. Nach Pandemiebeginn wurden schnell die Voraussetzungen geschaffen, die Beratung telefonisch und später auch in Videokonferenzen anzubieten. Aktuell müssen die Präsenz-Angebote in der offenen Kinder- und Jugendarbeit wegen der "Notbremse"-Regelungen leider wieder eingestellt werden. Aber die Fachkräfte der Heidelberger Jugendzentren sind weiterhin mit Beratungsangeboten für Kinder und Jugendliche vor Ort ansprechbar.
Wie sieht es mit digitalen Angeboten aus?
Weiß: Im ersten Lockdown ging es erstmal darum, diese Medien zur Verfügung zu stellen. Aber die vielen Fachkräfte haben schnelle und kreative digitale Möglichkeiten geschaffen. Alles, was sonst in den Freizeit-Angeboten auftaucht, gibt es mittlerweile auch online – vom Graffiti-Workshop bis zum Kochangebot für die ganze Familie. Auch die kommunale Suchtberatung hat ein Online-Programm aufgebaut, was Schulklassen zur Verfügung gestellt wurde. All diese Angebote haben sich mittlerweile eingespielt und werden angenommen. Es ist ein Stück weit Normalität geworden.
Kann die digitale Beratung den analogen Kontakt ersetzen?
Lasso: Wenn es darum geht, Stimmungen zu erfassen wie in der Beziehungsarbeit, dann ist der digitale Kontakt oft nicht ausreichend. Das heißt, wir müssen uns überlegen: Wie machen wir das eigentlich? Und da gibt es ganz viele Formate. Wir gehen nach wie vor in die Familien – unter entsprechenden Schutzvorkehrungen. Aber wir treffen uns auch draußen, gehen im Park spazieren. Wir haben uns einfach andere Formate überlegt.
Frau Lasso, Sie sagten vorhin, man werde die Folgen der Pandemie "nachhaltig spüren". Was können Sie tun, um den langfristigen Schaden für Kinder und Jugendliche möglichst gering zu halten?
Lasso: Wir müssen noch mehr auf die Kinder und Jugendlichen zugehen, uns den veränderten und sich verändernden Lebenswelten anpassen. Wir müssen uns die Frage stellen: Wie schaffen wir es, die Nöte, Sorgen und Bedürfnisse von Jugendlichen und ihren Eltern als Ganzes zu sehen. Und wir müssen dort sein, wo die Menschen sind, trotz Pandemie. Es liegt auch an uns als Verwaltung, Lösungen zu finden und Dinge zu ermöglichen. Ermöglichungskultur, das ist ja unsere Grundhaltung als Stadt – und das wollen wir auch für die Jugendlichen erreichen.
Bürgermeisterin Stefanie Jansen sagte im Ausschuss: "Wir werden aus der Pandemie lernen." Was nimmt die Kinder- und Jugendhilfe aus einem Jahr Pandemie mit in die Zukunft?
Lasso: Das Wichtigste, was wir gelernt haben, ist, dass wir das Thema Corona von verschiedenen Seiten aus betrachten müssen. Wir schauen sehr stark auf das Infektionsgeschehen, aber das ist nicht alles. Der Blick auf unsere Kinder, Jugendliche und Familien ist eben auch wichtig.
Weiß: Zuhören, auffangen, motivieren, unterstützen – das ist das, was die Jugendhilfe kann und Sozialarbeit tagtäglich tut. Und Perspektiven aufzeigen. Denn es wird auch wieder eine Zeit nach der Pandemie kommen.



