Heidelberg

Was die Bahnstadt zu bieten hat

Die Heidelberger Geografin Ulrike Gerhard führte Wissenschaftler durch den Stadtteil.

19.10.2022 UPDATE: 19.10.2022 06:00 Uhr 2 Minuten, 24 Sekunden
Foto: pne

Von Philipp Neumayr

Heidelberg. Sie ist das jüngste Quartier der Stadt und wird oft als Vorzeigeprojekt für umweltfreundliches Bauen gefeiert: die Bahnstadt. Rund 5800 Heidelbergerinnen und Heidelberger leben inzwischen hier – und nach allem, was man weiß, fühlen sich die meisten von ihnen dort ziemlich wohl.

Um das "Gute Leben in der Stadt" ging es vergangene Woche im Rahmen einer Konferenz des disziplinübergreifenden Forschungsnetzwerkes "Umwelten – Umbrüche – Umdenken" an der Universität. Aus diesem Anlass führte die Heidelberger Stadt- und Humangeografin Ulrike Gerhard eine Gruppe von Forscherinnen und Forschern aus aller Welt durch die Bahnstadt, erklärte, wie das Viertel entstanden ist, und wo aus heutiger Sicht seine Stärken und Schwächen liegen.

Wenn es eines gibt, was an dem Stadtteil offensichtlich gelungen ist, dann ist es sein Name. "Bahnstadt" – mit diesem Namen könne sich heute jeder identifizieren, sagte Gerhard zu Beginn des mehrere Stationen umfassenden Rundgangs im Zollhofgarten. 1997 fuhren und rangierten hier die letzten Güterzüge. Zwei Jahre danach gab es erste Planungen, neuen Wohnraum zu schaffen, damals noch unter dem Namen "Bahninsel", aus dem bald darauf der Arbeitstitel "Bahnstadt" wurde. Bei diesem, so entschied es der Gemeinderat, sollte es bleiben, während andere Vorschläge eines Namenswettbewerbs wie "Neustadt" oder "Bahnbogen" ausschieden.

Das Besondere an der Bahnstadt: Sie sei nicht gewachsen wie andere Siedlungen und Nachbarschaften in Heidelberg, erklärte die Stadtgeografin. Erstmals seit der Entwicklung des Emmertsgrundes Ende der 1960er-Jahre wurde mit der Bahnstadt wieder ein kompletter Stadtteil geplant und gebaut. Die Idee: Im Gegensatz zu den städtebaulichen Leitideen früherer Jahre sollte die Bahnstadt weder Vorstadt- noch Siedlungscharakter haben, sondern ein urbanes, dichtes und gemischt genutztes Stadtquartier sein, und noch dazu umweltfreundlich.

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Ob diese damaligen Ziele erreicht wurden – darüber wollte sich Gerhard, ganz Wissenschaftlerin, bei dem Rundgang kein abschließendes Urteil erlauben. Sie verwies allerdings auf Dinge, die bei der Entwicklung des Stadtteils gut und solche, die weniger gut gelaufen sind. Positiv hervor hob Gerhard etwa die Errichtung neuer Grünflächen wie der Bahnstadtpromenade mit ihren vielen noch jungen, im Wachstum befindlichen Bäumen. Positiv auch: der Bau breiter Ost-West-Achsen wie des "Langen Anger" oder des Zollhofgartens, die als Kaltluftschneisen dienen und so auch zur Verbesserung des Mikroklimas beitragen.

Vor- und Nachteile liegen in der Bahnstadt manchmal jedoch auch nah beisammen, das machte Gerhard klar. Während der "Lange Anger" dem Kaltlufttransport dient, hat ihm seine wenig abwechslungsreiche Bebauung den eher unrühmlichen Spitznamen "Stalin-Allee" eingebracht. Während die Wasserbecken entlang dieser Straße die Hitze im Stadtteil einerseits reduzieren, mussten sie andererseits schon kurz nach ihrem Bau wieder für viel Geld renoviert werden, da sich herausstellte, dass sie zu anfällig für die Bildung von Algen sind und schnell unangenehm riechen.

Während der Passivhausstandard sowohl den Energieverbrauch als auch den CO2-Ausstoß der Bahnstädter deutlich reduziert, wurde in eben diesen Gebäuden zuvor auch einiges an Zement verbaut und entsprechend viel CO2 ausgestoßen. Und während in dem Stadtteil besonders viele Kinder geboren werden und etliche Menschen mit ausländischen Wurzeln leben, sind es zugleich besonders wenig Ältere und kaum Menschen, die keinen höheren Bildungsabschluss haben.

Dass Heidelbergs 15. Stadtteil auch zehn Jahre, nachdem die ersten Bewohner eingezogen sind, in mancher Hinsicht noch immer "auf einem Weg" sei, wie Gerhard es nannte, wurde bei dem Rundgang immer wieder sichtbar: Etwa daran, dass die Pfaffengrunder Terrasse deutlich mehr Asphalt denn Grün aufweist. Oder daran, dass durch die Wasserbecken westlich davon noch immer kein Wasser fließt. Doch es sei "einfach", über das zu reden, was nicht funktioniere, sagte Gerhard – und betonte, dass der Stadtteil bei allen Mängeln und Kritikpunkten allgemein gut zugänglich und angebunden sei, und dass es sich hier bequem leben lasse.

Bei den Teilnehmern kam der zweistündige Rundgang gut an. Immer wieder stellten sie Fragen und brachten ihre eigene Sichtweise auf die Bahnstadt ein. Ein Forscher sagte es so: "Man wird den Stadtteil erst in einigen Jahrzehnten verstehen."

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