Viel Aufregung in der Marathonsitzung
Gemeinderat musste sich vertagen - Zuvor kochten die Emotionen hoch - Ärger über Satire-Stadtrat

Heidelberg. (hob/pne/tt) Es war die erste inhaltliche Sitzung des neuen Gemeinderats - und sie verlief alles andere als gewöhnlich. 86 Tagesordnungspunkte sollten die Stadträte letzten Donnerstag beraten. Doch daraus wurde nichts: Um 23 Uhr wurde die öffentliche Sitzung nach dem 27. Punkt unterbrochen, damit man noch den nicht-öffentlichen Teil beraten konnte. Die anderen 58 Tagesordnungspunkte werden auf die nächste Sitzung verschoben.
Auffällig war, wie emotional aufgeladen die Stimmung war - unter den Stadträten ebenso wie auf den voll besetzten Zuschauerrängen. Besonders bei der Diskussion um die Sperrzeiten und über die Zukunft des RNV-Betriebshofs ging es heiß her - und es war permanent sehr laut im Ratssaal. Im Publikum wurden Wortmeldungen ebenso diskutiert wie im Gremium, was zu erheblicher Unruhe führte. Immer wieder musste Oberbürgermeister Eckart Würzner das Publikum ermahnen, etwas ruhiger zu sein und von Meinungsbekundungen wie Applaus Abstand zu nehmen.
Zur Unruhe trug aber auch die schlechte Akustik im Saal und die miserable Verstärkung der Wortmeldungen durch die Mikrofonanlage bei. Für Zuschauer und Journalisten waren die Wortmeldungen mancher Räte kaum zu hören. Später beschwerten sich auch viele Stadträte, dass ihre Kollegen nur schwer zu verstehen gewesen seien.
Der große Aufreger der Sitzung war Björn Leuzingers Verhalten. Der Stadtrat der Satirepartei "Die Partei" sorgte nicht nur mit seinem Vorgehen bei der Abstimmung über die Verlagerung des Betriebshofes auf den Großen Ochsenkopf für Unmut. Diese hatte er vom Aufdruck des Kronkorkens eines Bieres - dem "Welde-Orakel" - abhängig gemacht. Beinahe hatte Leuzinger schon zuvor für einen Eklat gesorgt, als er sich zum Thema Sperrzeiten zu Wort meldete. Alleine der Begriff sei doch negativ behaftet, erinnere an "Einsperren" oder "Albert Sperr", witzelte der Satire-Stadtrat. Die Anwohner seien "Wirtschaftsflüchtlinge", die vor Wirtschaften flüchteten und in die Bahnstadt umgesiedelt werden sollten. Als er dann auch noch Analogien zu Tschernobyl ("ausgestorben") zog und behauptete, alle Anwohner litten unter Tinnitus und hörten in Wirklichkeit den Lärm von früher, platzte Oberbürgermeister Würzner der Kragen. "Sie sind Vertreter der Bürgerschaft", rief er Leuzinger zur Ordnung. Der Gemeinderat vertrage gerne auch ein bisschen Satire - aber keine Beleidigungen.
Einige Altstädter im Publikum waren empört über Leuzingers Wortwahl, der stets bemüht war, in seiner Rolle zu bleiben. Als etwa die FDP-Stadträte Karl Breer und Michael Eckert Sperrzeiten von 4 Uhr am Wochenende vorschlugen, sagte Leuzinger: "Es ist ja selten, dass ich der Spaßpartei zustimmen muss. Aber hier haben Sie recht." Eckert war es auch, der Leuzinger für sein Abstimmungsverhalten in Sachen Ochsenkopf gerügt hatte: "Wir arbeiten hier alle ehrenamtlich und treffen Entscheidungen mit dem nötigen Ernst. Ich finde das Auswürfeln von Entscheidungen nicht angemessen", sagte er.
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Auch die Nachfrage der RNZ, ob er vorher sichergestellt habe, dass auf dem Kronkorken ein "Ja" stehe, beantwortete Leuzinger nicht ernsthaft: "Als langjähriger Bierexperte habe ich bei der Auswahl gefühlt, dass es die richtige Flasche war." Das Welde-Orakel habe immer recht.