Für Gehörlose gibt es in der Stadt noch einige Barrieren
Markus Fertig engagierte sich vier Jahre lang im Beirat von Menschen mit Behinderungen und spricht im RNZ-Interview über die anstehende Wahl des Gremiums.



Engagiert sich im Beirat von Menschen mit Behinderungen
Von Anica Edinger
Heidelberg. Markus Fertig ist von Geburt an taub. Kein Vogelzwitschern, keine Automotoren, keine Stimmen: Der 55-Jährige ist komplett gehörlos. Es ist ihm wichtig, das so zu vermitteln. Schließlich gebe es verschiedene Arten von Hörbehinderungen, so Fertig. Und er gehört der Gruppe der "gebärdensprachorientierten Gehörlosen" an.
Das heißt, er ist auf die Deutsche Gebärdensprache (DGS) angewiesen – eine Sprache, die in ganz Deutschland verschiedenen Erhebungen zufolge nur rund 200.000 Menschen beherrschen, also rund 0,2 Prozent der Gesamtbevölkerung. Wie hoch die Barrieren sind, auf die Fertig im Alltag stößt, ist für Hörende kaum auszumachen.
Und das ist einer der Gründe dafür, weshalb sich Fertig von Mai 2019 bis August 2023 im Beirat von Menschen mit Behinderungen engagierte. In diesem Jahr wird das Gremium neu gewählt, noch bis zum 17. Mai können sich Menschen mit Behinderungen bewerben. Wieso Betroffene diese Chance ergreifen sollten, erklärt Fertig im RNZ-Interview
Herr Fertig, wieso ist es wichtig, dass man sich als Gehörloser im Beirat von Menschen mit Behinderungen engagiert?
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Gehörlose sind häufig in der Isolation. Wir sind eine kleine Gruppe – und wir werden zu oft vergessen. Überall im Alltag stoßen wir auf Barrieren. Ein Feueralarm beispielsweise ist immer ein auditives Signal, dabei müsste es auch visuell sein. Gehörlosigkeit sieht man nicht. Wir Gehörlose müssen uns sichtbar machen. Wir müssen für unsere Rechte einstehen und kämpfen. Deswegen ist es ganz wichtig, dass gehörlose Menschen im BMB dabei sind.
Mit welchen Barrieren für Gehörlose gilt es noch zu brechen?
Ein ganz wichtiges Thema für mich ist politische und kulturelle Teilhabe. Für mich findet kulturelles Leben in Heidelberg nicht statt. Bei fast keiner Veranstaltung gibt es Gebärdendolmetschende. Man muss immer selbst aktiv werden und bei den Veranstaltern nachfragen. Das ist nicht fair.
Nehmen wir das Theater: Gibt es eine Aufführung mit Dolmetschenden, stehen sie rechts an der Seite. Aber das Geschehen ist in der Mitte der Bühne. Das ist nicht barrierefrei.
Außerdem kann ich als Gehörloser etwa auf dem Bürgeramt oder Rathaus nicht einfach meine Angelegenheiten erledigen, denn es gibt weder eine feste Sprechstunde mit Gebärdensprachdometschenden noch DGS-kompetentes Personal. Es wird von uns erwartet, dass wir uns selbst um eine barrierefreie Kommunikation kümmern. Und auch in der Bildungslandschaft hapert es.
Inwiefern?
Das ist ein sehr großes Thema. Mir ist ganz wichtig, dass alle Kinder mit einer Hörbehinderung oder gehörlose Kinder einen fairen Start ins Leben haben. Deswegen kämpfe ich für Bilinguität, DGS inklusive, von Beginn an. Zu der Situation an den Schulen: Inklusive Schulsettings sind oft schwierig, weil meist ein gehörloses Kind in der Klasse ist, das durch eine Gebärdendolmetscherin begleitet wird. Dabei würde echte Inklusion heißen, dass die ganze Klasse Gebärdensprache lernen müsste. In den Pausen etwa ist das gehörlose Kind ansonsten komplett isoliert. Da gibt es noch sehr viel zu tun.
Was konnte denn erreicht werden für Gehörlose in Heidelberg durch Ihre Arbeit im BMB?
Die Menschen sind mittlerweile mehr sensibilisiert, auch in den politischen Gremien und Ausschüssen der Stadt. Aber wirklich zu verstehen, was es bedeutet, gehörlos zu sein, das ist in der Gesellschaft noch nicht angekommen. Es ist ein Prozess, der noch Zeit braucht.
Im BMB sind Menschen mit verschiedenen Behinderungen engagiert. Wie lief die Zusammenarbeit für Sie mit den Kolleginnen und Kollegen?
Die Solidarität im BMB untereinander ist super. Wir sind nur gemeinsam stark. Deswegen ist es wichtig, dass man sich kennenlernt und für die Bedarfe der anderen auch in den verschiedenen Ausschüssen einsteht. Das hat immer super funktioniert und war für mich ganz toll.
Fühlten Sie sich in der Zusammenarbeit mit der Stadt ernst genommen?
Absolut. Ich habe während meiner Amtszeit immer sehr gut mit Bürgermeister Wolfgang Erichson zusammengearbeitet. Da fühlte ich mich absolut verstanden, wahrgenommen und unterstützt. Insgesamt kann man sagen, dass die Zusammenarbeit zwischen der Stadt und dem BMB immer gut war.
Mitglied im BMB zu sein, das ist ein Ehrenamt. Wie hoch ist der Zeitaufwand?
Da muss ich ehrlich sein: Es ist ein großer Zeitaufwand. Das darf man nicht unterschätzen. Der Vorstand hat extrem viele Termine – das alles ehrenamtlich zu stemmen, ist eigentlich unglaublich. Aber, ohne Fleiß kein Preis. Wir bräuchten dennoch mehr hauptamtliche Mitarbeitende. Denn wir Betroffenen sind die Experten für die unterschiedlichen Themen, das müsste entsprechend noch mehr Anerkennung bekommen.
Info: Den Bewerbungsbogen und weitere Informationen zum BMB und zur Wahl gibt es im Internet unter www.bmb.heidelberg.de.
Markus Fertig lebt seit 2003 in Heidelberg. Er war viele Jahre Realschullehrer, zuletzt an der Lindenparkschule in Heilbronn, ein Staatliches Sonderpädagogisches Bildungs- und Beratungszentrum. Seit 2021 ist Fertig wissenschaftlicher Mitarbeiter und seit Februar stellvertretender Studiengangsleiter für Gebärdendolmetschen an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg.
Den Studiengang hat Fertig mit aufgebaut. Denn in Baden-Württemberg gibt es Fertig zufolge einen "heftigen Mangel an Gebärdendolmetschenden". Die ersten Absolventen feiern ihren Abschluss im nächsten Jahr. Circa 60 Studierende gibt es aktuell.