Heidelberg

Die Wut zu einer treibenden Kraft machen

Bei der Podiumsdiskussion über die Wut der Frauen und Gewalt gegen Frauen ging es um Historie, Hysterie und Wutkissen.

09.07.2025 UPDATE: 09.07.2025 04:00 Uhr 2 Minuten, 13 Sekunden
Sylvia Haller von Frauen helfen Frauen, Moderatorin Karen Nolte und Ciani-Sophia Hoeder Autorin des Buchs „Wut und Böse“ (v.l.), sprechen über „Gewalt gegen Frauen und feministische Wut“. Foto: Philipp Rothe

Von Birgit Sommer

Heidelberg. Die Wut der Frauen. Darf es sie geben? Wie blickt die Gesellschaft darauf? Und was kann man nun damit anfangen? Historische und aktuelle Perspektiven auf feministische Wut, aber auch auf Gewalt gegen Frauen bot eine Podiumsdiskussion im Karl-Jaspers-Zentrum der Universität.

Sie gehörte zum Begleitprogramm der aktuellen Ausstellung der Prinzhorn-Sammlung "normal#verrückt" bis 28. September, die die Auflösung der Grenze zwischen normal und verrückt thematisiert.

Vier Jahre lang hat sich auch eine Forschungsgruppe mit (Medizin)historikern, Kunst- und Literaturwissenschaftlern aus verschiedenen Universitäten damit beschäftigt, wie sich das auf Gesellschaft und Kultur auswirkte: "Frauen in verrückten Lebenswelten".

Aus dieser Gruppe waren Dr. Ulrike Klöppel und als Moderatorin Prof. Karen Nolte, die Heidelberger Medizinhistorikerin, dabei. Doch bei der Diskussion ging es auch um sehr Konkretes. Dafür standen Sylvia Haller vom Heidelberger Verein "Frauen helfen Frauen", der das Frauenhaus betreibt, und die Autorin und Journalistin Ciani-Sophia Hoeder mit ihrem Buch "Wut und Böse".

Feministische Wut sei treibende Kraft sozialer Bewegungen, gab Sandra Arendarczyk, die Heidelberger Gleichstellungsbeauftragte, vor. Und Bewegungen in Südamerika, Iran oder Polen zeigten: "Wut ist Teil der Lösung."

Die Statements waren klar. "Wut tritt auf, wenn ein anderes Bedürfnis nicht erfüllt wurde", so Hoeder. "Wut kann als Reaktion auf Ungleichheit auftreten, auch Wut auf politische Verhältnisse, und als Antrieb für individuelle und gesellschaftliche Veränderungen", sagte Haller.

Dass wütende Frauen in der Historie nicht akzeptiert und nicht ernst genommen wurden, dass man ihnen Hysterie bescheinigte – diese Unterdrückung hatte auch ernst zu nehmende Krankheiten zur Folge, erklärte Nolte.

Erst die Frauenbewegung der 60er Jahre nutzte die Wut laut Ulrike Klöppel politisch. Die Feministin Alice Schwarzer habe sie zum kollektiven Gefühlsausdruck und zu einer bestimmten Wut gemacht: "Keine von uns wird frei sein, bis wir über unseren Körper selbst bestimmen."

Damals erwachte auch die Idee der feministischen Therapie in den Psychiatrien, wo Frauen bis dahin viel mehr als Männer mit Tabletten ruhiggestellt und gedrängt wurden, sich auf ihre Hausfrauenpflichten zurückzuziehen. So entstanden in der Gestalttherapie die "Wutkissen", mit denen sie sich ausagieren und Wut in positive Kraft umwandeln konnten.

Im Frauenhaus, wo Frauen und Kinder ersten Unterschlupf finden, wenn sie zu Hause Gewalt erleiden, gilt Wut als Kraftquelle für die Frau, wie Sylvia Haller sagte. Dort herrsche zuerst oft Angst um die Kinder, das fehlende Geld oder gar das Ansehen in der Nachbarschaft, erst recht, wenn die gewalttätigen Männer strategisch motivierte Gegenanzeigen vorlegten.

Im Frauenhaus wende sich die Wut gegen das gesamte patriarchale System, das individuelle Gewalt ermögliche, und helfe den Frauen, selbstbestimmter weiterzuleben. Das neue Gewalthilfegesetz ist für Haller ein "Meilenstein". Der Anspruch auf kostenlose Unterbringung und Beratung wird ab 2032 einklagbar sein.

Ciani-Sophia Hoeder, die einen schwarzen Vater und eine weiße Mutter hat, thematisierte auch Stereotypen, die über schwarze Frauen gelegt werden, den Einfluss der Massenmedien und der Übernahme der Unterhaltungsformate der USA für Deutschland in den vergangenen Jahren.

Ihr Credo: Kollektive Wut schützt. "Nicht jeder Mensch kann allein rausgehen und wütend sein, aber im Kollektiv kann man ganz schön viel reißen." Und sie pries das schöpferische Gefühl, das dabei entstehe.

Wer sich engagieren will, ist etwa am 31. Juli bei der Demonstration "We reclaim the Night! (Wir holen uns die Nacht zurück!") des "Queerfeministischen Kollektivs Heidelberg" willkommen. Ihr Ziel: Frauen und queere Menschen wollen ohne Angst und unbelästigt ausgehen können.

Treffpunkt ist um 20 Uhr an der Schwanenteichanlage. Beim letzten Mal, am 31. Mai, wurden die Demonstranten in der Unteren Straße von Betrunkenen mit Glassplittern und Alkohol überschüttet, heißt es.

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