Soziales ist gut, mehr Soziales ist besser
Beim Neujahrsempfang der Grün-Alternativen Liste zeigten Wohlfahrtsakteure auf, wo Heidelberg noch mehr für Menschen in Not tun kann.

Von Philipp Neumayr
Heidelberg. Sie treten ein "für ökologische Erneuerung, soziale Gerechtigkeit und kulturelle Vielfalt": die Mitglieder der Grün-Alternative Liste, kurz GAL. Am Freitag lud die Liste, die gemeinsam mit Frank Beisel (Freie Wähler) eine Fraktionsgemeinschaft im Heidelberger Gemeinderat bildet, zum traditionellen Neujahrsempfang ins Deutsch-Amerikanische Institut (DAI) ein, der wegen der Pandemie erstmals seit 2019 wieder stattfinden konnte. Und die "Gallier" setzten zum Auftakt des kommunalpolitischen Jahres 2023 gleich mal ein Thema, das aktueller nicht sein könnte: die soziale Not, befeuert von den Krisen dieser Zeit.
Diese Not, sie ist real, erklärte Vorstand Gerd Guntermann in seiner Begrüßung der rund 80 Gäste, unter denen auffallend viele Stadträte der Grünen waren – jener Partei, mit der die "Gallier" bis zur Aufspaltung im Jahr 2009 gemeinsame Sache gemacht hatte. Guntermann warnte vor zunehmender Armut, die auch die Mitte der Gesellschaft erreiche, und die schnell zur existenziellen Armut werde. Je mehr Armut und je größer die Ungleichheit, desto stärker drifte die Gesellschaft auseinander – und desto mehr schwinde der Zusammenhalt. Seine Hoffnung: "Dass durch die Verschärfung der Krisen mehr soziale Sensibilität entsteht."
In Heidelberg ist man sich sozialer Schieflagen durchaus bewusst. Das machte Jörg Schmidt-Rohr klar, Geschäftsführer des Vereins zur beruflichen Integration (VBI) und Sprecher des Heidelberger Bündnisses gegen Armut und Ausgrenzung. Er diskutierte im Anschluss an Guntermanns Begrüßung gemeinsam mit den beiden Experten Stefanie Burke-Hähner und Gerd Schaufelberger darüber, ob und wie sich soziale Not und Armut auch in Heidelberg zeigen – und was dagegen zu tun wäre. "Heidelberg hat nicht die schlechteste soziale Infrastruktur", sagte Schmidt-Rohr. Aber es gebe nichts Gutes, das man nicht auch noch besser machen könne.
Bei der hiesigen Arbeiterwohlfahrt sei die Not derzeit in allen Abteilungen zu spüren, sagte Geschäftsführerin Stefanie Burke-Hähner. Sichtbar werde das an der gestiegenen Nachfrage nach Sozialberatung, die der Wohlfahrtsverband auf Wunsch der Stadtwerke Heidelberg inzwischen auch einmal in der Woche für deren Kunden anbietet. Denn dort glühe aufgrund der stark gestiegenen Energiepreise derzeit das Telefon. "Die Rentner, die bisher nicht in Armut waren, haben Angst, in eine Armut zu kommen." Dabei stehe "die große Aufwachphase" erst noch bevor, so Burke-Hähner.
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Besonders großen Unterstützungsbedarf sieht die Awo-Geschäftsführerin in Heidelberg bei alleinerziehenden Müttern von ein oder zwei Kindern. Wenn es um finanzielle Hilfe gehe, fielen sie oft durch das Raster – und könnten von Vergünstigungen, die etwa der Heidelberg-Pass für sozial schwache Menschen bietet, nicht profitieren.
Für Gerd Schaufelberger, Geschäftsführer der Jugendagentur, braucht es in Heidelberg auch mehr psychologische Unterstützungsangebote und entsprechende Beratungsstellen. "Es gibt einfach viel zu wenige therapeutische Plätze", sagte er. Dieser "eklatante Mangel" müsse angegangen werden – denn der Bedarf werde in den nächsten Jahren eher wachsen. Etwas, das Stefanie Burke-Hähner bestätigte: Beim Psychologischen Zentrum der Awo betrage die Wartezeit auf ein Therapiegespräch für Kinder und Jugendliche bis zu einem Jahr.
Bei aller (drohenden) Not richtete Jörg Schmidt-Rohr zum Abschluss einen Dank an die Kommunalpolitik. Insbesondere an die GAL, die bei sozialen Themen immer wieder ein "fester Fels in der Brandung" sei. Aber auch an den Gemeinderat als ganzen, der dafür sorge, dass das Thema Soziales in dieser Stadt nicht hinten herunterfalle. Und dennoch, appellierte Schmidt-Rohr an die Anwesenden, gelte es, Dinge neu zu denken, bestehende Strukturen weiterzuentwickeln und besser zu machen.
Wie das konkret aussehen könnte, skizzierten Stefanie Burke-Hähner und Gerd Schaufelberger. Der Chef der Jugendagentur wünscht sich drei Dinge: Dass es mehr Wohnraum in Heidelberg gibt, auch für Menschen mit wenig(er) Geld. Dass soziale Unterstützungsangebote und Hilfsleistungen Bedürftige besser erreichen. Und dass die psychotherapeutischen Möglichkeiten ausgebaut werden. Auch Awo-Geschäftsführerin Burke-Hähner wünscht sich, dass Hilfsmöglichkeiten besser vermittelt werden und dass Wohnen in Heidelberg künftig wieder allen Menschen möglich ist. Sie plädiert für soziale Familienzentren, an die sich alle Menschen richten könnten, ohne stigmatisiert zu werden. Und sie träumt von einer Stadt, die ohne Armut auskommt. Jedes Prozent arme Menschen, sagte Burke-Hähner, sei in Heidelberg eines zu viel.