Jetzt streitet auch der Landtag über Heidelbergs Ex-OB Neinhaus
Die SPD-Politikerin Dorothea Kliche-Behnke fordert einordnenden Kommentar an der Neinhaus-Büste. Die CDU-Fraktion warnt vor "pauschaler Verurteilung" und "Skandalisierung".

Von Denis Schnur
Heidelberg. In Heidelberg wurde die Debatte vergangenes Jahr intensiv geführt. Jetzt beschäftigt die Frage, wie man mit dem Erbe von Carl Neinhaus umgehen sollte, auch den Stuttgarter Landtag. Denn Neinhaus war nicht nur Heidelberger Oberbürgermeister – auch während der Nazi-Zeit und als Mitglied der NSDAP –, sondern nach dem Zweiten Weltkrieg als CDU-Mitglied auch Landtagspräsident. Deshalb steht seit Jahrzehnten eine Büste von ihm im Foyer des Landtages – ebenso wie von acht anderen ehemaligen Präsidenten.
Dass aber das NSDAP-Mitglied Neinhaus ganz selbstverständlich neben den anderen CDU-Politikern gezeigt wird, stört die Tübinger SPD-Abgeordnete Dorothea Kliche-Behnke: "Ich war verblüfft, dass sich der Landtag bislang ausschließlich mit den Opfern unter den Abgeordneten, nicht aber mit den Kontinuitätslinien nach 1945 auseinandergesetzt hat."
Sie hat vor einigen Wochen die Parlamentsverwaltung aufgefordert, die Neinhaus-Büste um eine "historisch-kritische Einordnung" zu ergänzen: "Die Büste muss mit einer Plakette oder sonstiger Kenntlichmachung versehen werden", ist sie überzeugt. Sie solle aber im Landtag bleiben: "Wir können unsere Geschichte nicht ungeschehen machen. Ich meine, es wäre nichts gewonnen, wenn wir die Büste einfach entfernen."
Auf ihren Vorstoß hin habe die SPD-Politikerin einige positive Rückmeldungen erhalten. "Aber es gab auch etliche negative Reaktionen, die zeigen, dass die Beschäftigung mit problematischen historischen Persönlichkeiten auch heute noch ein Politikum ist", fügt sie hinzu. "Manche meinten, es stünde mir nicht zu, eine verstorbene Persönlichkeit kritisch zu hinterfragen."
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Wenig begeistert zeigt sich auch die CDU-Fraktion im Landtag. Die NSDAP-Mitgliedschaft werfe unbestritten einen großen Schlagschatten auf das Lebenswerk von Neinhaus, erklärt ein Fraktionssprecher der RNZ. Er betont jedoch: "Historische Persönlichkeiten sind stets unter Berücksichtigung der Umstände, in denen sie lebten und wirkten, zu beurteilen." Es brauche eine kritische Aufarbeitung, keine "pauschale ex-post-Verurteilung".
Zu Neinhaus sagt er: "Für eine Skandalisierung seines Lebenslaufs sehen wir keinen Anlass." Für eine historische Einordnung der Vita des ehemaligen Mitgliedes zeigt sich die CDU aber offen. Diese müsse "sichtbar, vielleicht auch exemplarisch den Bruch in dessen Vita aufzeigen".
Dazu wäre es wichtig, das Wirken von Neinhaus vor, während und nach der NS-Diktatur darzustellen und so "aufzuzeigen, dass auch Gründungsväter unserer jungen Demokratie verschiedenste Arten des Umganges mit dem NS-Regime wählten". Das sei aber in einem einfachen Kommentar an der Büste kaum möglich.
In ihrer Bewertung beruft sich die CDU-Fraktion auch auf das Gutachten, das der Heidelberger Historiker Frank Engehausen 2022 für den hiesigen Gemeinderat angefertigt hatte. Engehausen schrieb in dem Papier, Neinhaus sei "ein politischer Opportunist gewesen, der die nationalsozialistische Machtübernahme als Chance sah". Opportunismus sei damals ein Massenphänomen gewesen – ohne dieses sei aber die NS-Herrschaft gar nicht denkbar gewesen.
Welche Konsequenzen daraus folgen sollten, wollte Engehausen aber nicht vorgeben: "Wie die nachfolgenden Generationen dieses Phänomen in ihrer Erinnerung an die Diktatur bewerten, ist eine politische Entscheidung, die im Beispielfall von Carl Neinhaus jetzt zu treffen ist."
Die große Mehrheit im Heidelberger Gemeinderat traf eine solche Entscheidung – und entzog Neinhaus seine letzte verbliebene Ehrung der Stadt: Seit 2022 ist sein Grab auf dem Bergfriedhof kein Ehrengrab mehr, das kostenlos gepflegt wird. Geht es nach Kliche-Behnke, folgt der Landtag diesem Beispiel und wählt einen kritischeren Umgang mit Neinhaus. Die Entscheidung liegt jedoch bei einer seiner Nachfolgerinnen: Parlamentspräsidentin Muhterem Aras (Grüne) will sich in den nächsten Wochen damit befassen.