Von Claudia Diemar
Der beste Drehort jemals", schrieb Schauspieler Ralph Fiennes ins goldene Buch der Stadt. Das englische Originalzitat lässt sich auf einem quietschbunten Straßenbahnwaggon lesen, der durch Görlitz tourt. Fiennes ist einer von vielen Stars in Wes Andersons märchenhaften Streifen "Grand Budapest Hotel", der zu weiten Teilen in Görlitz gedreht wurde. Das ehemalige Jugendstilkaufhaus der Stadt diente als Kulisse für die Innenaufnahmen, die Stadthalle hielt mit eigens angefertigtem Entrée-Vorbau für die Außenaufnahmen her, ein historisches Schwimmbad und ein barockes Bürgerhaus fungierten ebenso als Drehorte.
Ralph Fiennes verkörpert Monsieur Gustave, den stets mit reichlich Duftwasser bestäubten Concierge eines in die Jahre gekommenen Grand Hotels in der Republik "Zubrowka", irgendwo in osteuropäischen Gefilden. Zusammen mit einem jugendlichen Pagen namens Zéro Moustafa wirbelt Monsieur Gustave als kongeniales Duo durch die Tragikomödie. Der hier "Lobby Boy" genannte kecke Page wird von Tony Reveroni verkörpert. Grand Budapest Hotel wurde 2015 mit vier Oscars ausgezeichnet und war zuvor sogar in neun Kategorien nominiert.
Die Görlitzer waren stolz wie Bolle. Dabei war "Grand Budapest Hotel" bei weitem nicht der erste Streifen, der hier gedreht wurde. Schon zu DDR-Zeiten war Görlitz seit den 1950ern als Drehort gern gesehen. Inzwischen sind hier mehr als 100 Filmproduktionen entstanden, darunter weitere Oscar-Gewinner wie "Der Vorleser" oder "Inglourious Basterds".
Dreharbeiten zum Film „Inglourious Basterds“ in der Altstadt. Unten: Dreharbeiten zum Film „Goethe!“ mit künstlichem Schnee auf dem Untermarkt.Görlitz ist keine große Stadt. Zusammen mit dem am anderen Neiße-Ufer liegenden polnischen Zgorzelec hat man sich zur Europastadt deklariert. Auf deutscher Seite leben rund 56.000, auf polnischer Seite rund 31.000 Einwohner. Die seit 2004 bestehende neue Altstadtbrücke dient als verbindender Steg. Die temporäre Grenzschließung in Corona-Zeiten wurde hier als besonders bitter erlebt. Auch in Zgrozelec wurde bereits gedreht, etwa Szenen aus der Fernsehproduktion "Käthe Kruse". Und der Name eines polnischen Wodkas, den man hier überall kaufen kann, inspirierte Regisseur Wes Anderson zum Landesnamen im "Grand Budapest Hotel".
Warum aber ist Görlitz als Filmset so beliebt? Görlitz gilt mit rund 4000 Baudenkmälern aus Barock und Renaissance, Gotik und Gründerzeit als das größte Flächendenkmal Deutschlands. Der historische Stadtkern zählt zu den am besten erhaltenen Bauensembles in Mitteleuropa. "Görlitz ist die vielleicht schönste Stadt Deutschlands", so der ehemalige Vorsitzende der Stiftung Denkmalschutz Professor Gottfried Kiesow. Mit Ausnahme der gesprengten Neiße-Brücken erlebte die Stadt im Grenzgebiet zu Polen und Tschechien praktisch keinerlei Kriegszerstörungen. Doch die Randlage von Görlitz führte dazu, dass während der DDR-Ära die einst prachtvolle Bausubstanz immer mehr verfiel. Die Fassaden bröckelten allenthalben.
Die Wende erwies sich darum als Glücksfall – denn der Abriss weiter Teile der Altstadt war bereits in Planung. Görlitz reiche historische Bausubstanz überlebte in letzter Minute und mimte inzwischen in Filmen schon anno dazumal in Berlin, Paris und New York. Im "Vorleser" etwa gibt es das Heidelberg der 1960er-Jahre mit Kate Winslet als Schaffnerin in einer historischer Trambahn, die noch heute zuweilen über die Schienen rollt. 2017 wurde Görlitz von Cineasten zu Europas bester Filmlocation des Jahrzehnts gewählt.
Seit 2003 produziert Hollywood in Görlitz, was dazu führte, dass die Stadt nun den Beinamen "Görliwood" führt. Die Stars wiederum lieben Görlitz, denn hier gibt es keinen Rummel um die Prominenz. Kate Winslet ging völlig unbehelligt Schuhe kaufen und Emma Thompson, die in der Fallada-Verfilmung "Jeder stirbt für sich allein" vor der Kamera stand, stellte fest: "Görlitz ist sehr friedlich und seine Bewohner unglaublich freundlich". Vielleicht liegt die wohlwollende Diskretion der Görlitzer auch daran, dass etliche von ihnen schon als Komparsen eingesetzt waren und wissen, wie viel Aufwand und Mühe Dreharbeiten bedeuten. Und welch wichtiger wirtschaftlicher Faktor die Filmindustrie inzwischen für die Stadt darstellt.
Dreharbeiten zum Film „Inglourious Basterds“ in der Altstadt. Unten: Dreharbeiten zum Film „Goethe!“ mit künstlichem Schnee auf dem Untermarkt.Nun laufen freilich nicht alle Tage Dreharbeiten in Görlitz. Wie also nähert man sich am besten den Filmspots? Drehort-Spaziergänge in Eigenregie sind jederzeit mit der Broschüre "Willkommen in Görliwood" möglich, die gratis in der Tourist-Info am Obermarkt erhältlich ist. Echte Cineasten melden sich für die einmal im Monat stattfinden "Film ab!"-Rundgänge an. Oder man setzt sich in den knallroten Doppeldeckerbus, der mehrmals täglich startet und viel Wissenswertes und Spannendes vermittelt.
Etwa, wo die Wohnung liegt, in der der junge Vorleser seine ersten erotischen Erfahrungen macht. Oder warum der "Braune Hirsch" am Untermarkt immer wieder als Kulisse dient. Der Braune Hirsch ist ein barockes Prachtgebäude mit großem Saal, und eines der weitläufigsten Anwesen der Altstadt. Das Gebäude diente als Gasthof und Brauhaus ebenso wie als Arbeiter-und-Bauern-Fakultät während der DDR-Zeit. Im Hirschen lässt sich fast jede Illusion inszenieren. Seine Räumlichkeiten fungierten schon als Apotheke im Film "Der Zauberlehrling", als Kneipe im Streifen "Der junge Karl Marx" oder als Gelehrtendomizil in "Die Vermessung der Welt".
Überhaupt der Untermarkt: Mit seinen Arkaden ist er bei jedem Wetter der öffentliche Freiluftsalon der Stadt und vor allem in Historienfilmen wie "Die Bücherdiebin" oder "Goethe!" immer wieder zu sehen. In letztem Fall verwandelte sich der Untermarkt mitten im Sommer mittels Kunstschnee ins winterliche Straßburg des 18. Jahrhunderts. Aber eigentlich fühlt man sich auf diesem schönen Platz zu jeder Jahreszeit selbst wie ein Darsteller längst vergangener Epoche. Das findet auch Produzent Peter Hartwig: "Arbeiten und Leben auf höchstem Niveau. Am liebsten noch ganz viel Filme in Görlitz!"
Warum aber ist Görlitz heute wieder so schön? Das liegt an einer geradezu märchenhaften Geschichte, die auch als Film-Plot taugen würde. Von 1995 bis 2016 ließ ein unbekannter Gönner der Stadt jedes Jahr die sogenannte "Altstadt-Million" überweisen, zunächst exakt eine Million Mark, später den umgerechneten Betrag in Euro. Eine Stiftung sorgte dafür, dass mit diesem Geld ganze Straßenzüge von Grund auf renoviert wurden.
Und wo ist nun der Lobby Boy geblieben? Darsteller Tony Reveroni dreht weiter fleißig Filme, wie übrigens schon seit seinem zweiten Lebensjahr, und wurde 2018 in die ‚Academy of Motion Picture Arts and Sciences‘ berufen, die alljährlich die Oscars vergibt. Logisch eigentlich nach seinen in Görliwood gesammelten Meriten.
Informationen
Anreise: Mit dem Auto sind es rund 640 km von Heidelberg nach Görlitz. Filmstadt-Pauschale: 2 Übernachtungen mit Frühstück in Mittelklassehotel, 1 Abendessen in Drehort-Restaurant, Rundfahrt mit dem Görliwood-Entdecker-Bus, Informationsmaterial sowie Film auf DVD ab 145,00 Euro pro Person im DZ.
Filmstadt entdecken: Rundfahrten mit dem "Görliwood-Entdecker" - Doppeldecker-Bus 4 x tägl., Dauer: 1 h, 13 Euro/Erw, 9 Euro/Kinder. Geführte Film ab!-Rundgänge 1 x im Monat, Dauer: zwei Stunden, 8 Euro.
Weitere Auskünfte: www.goerlitz.de oder www.film-goerlitz.de