Spitzbergen/Norwegen

Auf einen Kaffee mit Huskys

Spitzbergens Hauptstadt Longyearbyen ist mehr als nur Start- und Endpunkt einer Expeditionskreuzfahrt in die Arktis.

17.10.2025 UPDATE: 18.10.2025 04:00 Uhr 5 Minuten, 19 Sekunden
Longyearbyen ist die nördlichste bewohnte Kleinstadt der Welt. Foto: Getty

Von Uwe Junker

Im Husky-Café ist an diesem Nachmittag jeder Platz besetzt. Genau genommen gäbe es noch zwei Sitzplätze auf einem Sofa. Die beansprucht aber eine Husky-Dame für sich. Ihren Kopf hat sie im Schoß einer Touristin gebettet, von der sie sich unterm Bauch kraulen lässt. Neben mir liegt ein Rüde auf seinem Kissen, gelegentlich stellt er sich auf die Hinterbeine und lässt sich von mir zwischen seinen Ohren streicheln. Mir gegenüber sitzt Martin, einer der drei Geschäftsführer, die das Café in Longyearbyen, der nördlichsten bewohnten Kleinstadt der Welt, vor drei Jahren gegründet haben. "Wir sind im Sommer fast durchgehend ausgebucht. Die Touristen finden es toll, hier schon hautnah einem Tier aus dem arktischen Alltag begegnen zu können", erzählt er stolz. Alle Hunde hier sind "Rentner", die in ihrem Leben viele Kilometer gelaufen und an Menschen gewöhnt sind. "Du solltest unseren Zimt- und Apfelkuchen probieren – unsere Bestseller", empfiehlt er. In der Tat sind beide köstlich.

Während ich sie genieße, erzählt Martin seine Geschichte: Aus Tschechien stammend hat er im niederländischen Delft städtische Architektur studiert, gönnte sich nach dem Examen vor acht Jahren eine Auszeit und blieb auf Spitzbergen. "Die Natur hat mich sofort in ihren Bann geschlagen. Und auch die vibrierende Atmosphäre dieser kleinen, internationalen Stadt." Zu dieser multikulturellen Mischung tragen nicht nur die Touristen bei, sondern auch die Studenten aus aller Welt, die hier einige Gastsemester verbringen. "Für alle, die Meeresbiologie oder Geowissenschaften studieren, ist Spitzbergen eine wissenschaftliche Fundgrube. Deshalb ist unser Studentenwohnheim immer ausgebucht", erklärt Martin.

Am nächsten Morgen sind wir mit einer solchen Studentin unterwegs: Julia aus Bremen studiert Meeresbiologie und finanziert sich ihr Studium durch die Tätigkeit als Fremdenführerin. Heute führt sie ihre Gruppe zunächst zum "Adventfjorden". Der ist Teil des ausgedehnten Isfjordsystems an der Westküste Spitzbergens und meeresseitig das Tor zur Stadt. "Mit Weihnachten hat der Name nichts zu tun", erklärt Julia. "Den haben ihm im 17. Jahrhundert englische Walfänger gegeben, die hier mit ihrem Schiff "Adventure" auf der Jagd waren."

Auf der anderen Straßenseite glitzert der Schmelzwassersee Isdammen in der Sonne, aus dem Longyearbyen sein Trinkwasser bezieht. "Und genau ab hier, wo der See beginnt, dürfen Touristen nur noch mit bewaffnetem Führer oder Einheimische mit Gewehr weiter gehen", warnt Julia und weist auf ein Eisbärenwarnschild hin, eines der am häufigsten fotografierten Motive in Longyearbyen.

Im Barentscamp schlug einst der Entdecker Spitzbergens mit seiner Mannschaft sein Quartier auf. Heute warten hier Huskys und ihre Führer. Foto: Junker/srt

Die Lebensgefahr durch Eisbären außerhalb der Stadt sei durchaus real. "In jeder Familie gibt es daher mindestens ein Gewehr, jeder Erwachsene ist verpflichtet, sich im Umgang damit ausbilden zu lassen", erklärt Julia. "Begegnet man einem Eisbären, wird zunächst ein Warnschuss abgegeben. Kommt das Tier trotzdem näher, wird es erschossen. Dieses Worst-Case-Szenario tritt zwar selten, aber regelmäßig ein", meint sie. Im Gegensatz zu den meisten anderen arktischen Regionen sei der Bestand an Eisbären auf Spitzbergen trotz des Klimawandels konstant. Allerdings hätten die Polarbären auch hier aufgrund des zurückgehenden Eises und weniger tragfähiger Eisschollen ihr Jagdverhalten verändert. So würden sie zum Beispiel an Hügeln grasende Rentiergruppen auseinandertreiben und dann ein abgesondertes Tier im Meer ertränken.

Julia fährt mit uns weiter ins Barentscamp inmitten arktischer Tundra, umgeben von Gletscherseen und schneebedeckten Bergen. Hier schlug der niederländische Seefahrer und Entdecker Spitzbergens Willem Barents mit seiner Mannschaft einst sein Quartier auf. Barents gab der Insel wegen ihrer typischen Bergformationen den Namen "Spitse Berge". Er war der erste europäische Entdeckungsreisende, der in der Arktis überwinterte.

Heute wartet hier Husky-Führer und Trainer Ove auf uns. Im Gegensatz zu ihren Artgenossen im Café sind die acht um ihn herum angeleinten Hunde voller Tatendrang und möchten am liebsten sofort losrennen. Sie können es kaum erwarten, vor die seifenkistenähnlichen Gefährte gespannt zu werden, die im arktischen Sommer Schlitten ersetzen. Doch bevor sie mit ihren Gästen eine Runde durch die Wildnis drehen, gibt uns Ove interessante Einblicke in den Lebenslauf eines Schlittenhundes: Die Welpenzeit bis zum sechsten Monat dient dem Spielen und der Sozialisierung, bis zum neunten Monat erfolgt die Gewöhnung ans Geschirr mit individuellen Läufen. Bis zum Ende des ersten Lebensjahres werden die Hunde für kurze und leichte Touren erstmals im Team eingesetzt, voll belastbar sind sie nach eineinhalb bis zwei Jahren. Ihr Rentenalter erreichen sie nach acht bis zehn Jahren Aktivität.

Wo habe ich dieses futuristische Gebäude schon mal gesehen? Zu lange lasse ich meinen Blick dort oben verweilen, ohne auf den glitschigen Boden zu achten. Schon packt mich die nächste Windböe und drückt mich samt meinem Mountainbike sanft in den oberflächlich angetauten Matsch des Permafrostbodens. Dort kommt die Erinnerung an den Ökothriller "Die Saat – Tödliche Macht" mit Heino Ferch in der Hauptrolle. Er spielt in dem Film einen Kommissar, der auf der Suche nach seinem Neffen in die kriminellen Machenschaften eines Saatgutkonzerns verwickelt wird.

Wir sind also auf dem Weg zum "Svalbard Global Seed Vault", dem globalen Saatgut-Tresor auf Spitzbergen. In einem Röhrensystem im Permafrost, das sich drei Kilometer tief ins Gebirge erstreckt, lagern hier mehr als eine Million Saatgutproben aus aller Welt – ein Backup für Schäden durch Kriege, Katastrophen und den Klimawandel. Mike, unser Guide, mit dem wir heute unterwegs sind, verwöhnt uns oben am Rastplatz mit Honig-gesüßtem Moltebeeren-Tee und Cookies. "Von nun an geht es nur noch bergab", versichert er uns. "Wir fahren jetzt in die Vergangenheit Longyearbyens als ehemaliges Zentrum des norwegischen Kohlebergbaus."

Unser nächster Stopp ist die "Zeche 3" in den Berghängen bei der kleinen Kirche. Dort laufen wir zwischen Spitzbergenrentieren herum, die dort oben grasen. "Die Zeche hier wurde 1996 geschlossen und dient heute als Museum", erklärt Mike. "Die ganze Infrastruktur des Kohlebergbaus hat der US-Amerikaner John Munro Longyear initiiert, nach dem die Stadt auch benannt wurde." Von hier oben hat man einen guten Blick auf das ausgeklügelte Seilbahnsystem, das die Kohlen von den insgesamt sieben Zechen hinunter zum Hafen transportierte. Auf dem Rückweg zum "Svalbard Adventure Center" lässt uns Mike noch an einer Eiderenten-Farm halten. "Hier entstehen die weichsten, aber auch teuersten Bettfedern der Welt", erklärt er. "Die Federn werden nicht gerupft, sondern von den Farmern nach der Brutzeit aus den verlassenen Nestern gesammelt. Dort haben die Eiderenten-Weibchen sie zuvor als Polstermaterial genutzt. Für ein Doppelbett mit Eiderenten-Daunen könnt ihr ungefähr 12.000 US-Dollar kalkulieren."

Die letzten Tage in Longyearbyen lasse ich am Abend in einem der gemütlichen Pubs, dem "Stationen" Revue passieren – bei Fish and Chips und einem Svalbard Pale Ale aus der Svalbard Bryggeri, der nördlichsten Brauerei der Welt. Ich bin gut angekommen in dieser so ganz anderen arktischen Welt, zu der auch dieses mit Gletscher-Schmelzwasser gebraute Bier gehört. Ich möchte noch tiefer in sie einzutauchen und freue mich umso mehr auf die Expeditionskreuzfahrt, die am nächsten Tag startet.


> Infos: 

> Anreise: Es gibt keine Fährverbindungen nach Longyearbyen. Daher reist man per Flug an via Norwegen, entweder über Oslo oder Tromsö, z.B. mit Lufthansa oder Scandinavian Airlines. Reisedauer ca. acht Stunden. Der Preis für Hin- und Rückflug liegt bei rund 400 Euro. Regelmäßige Verbindungen von Mai bis September.

> Hotels: Gjestehuset 102 ab ca. 100 Euro, Radisson Blu Polar Hotel ca. 180 bis 250 Euro, Funken Lodge ca. 300 bis 400 Euro. Alle Preise gelten pro Nacht und Zimmer und sind inclusive Frühstück.

> Anbieter und Preise: Es empfiehlt sich aus transfer- und versicherungstechnischen Gründen, Vorprogramme pauschal beim Anbieter einer Expeditionskreuzfahrt zu buchen. Bei HX Expeditions z.B. kann ein Flug- und Hotelpaket für einen Aufenthalt in Longyearbyen je nach Länge und Aktivitäten zwischen 490 und 590 Euro hinzugebucht werden.

Bei Hapag Lloyd Cruises sind Pakete für einen Aufenthalt in Longyearbyen zwischen 700 und 1000 Euro je nach Länge und Aktivitäten vor Ort zubuchbar.

Ponant bietet Flug- und Hotelpakete für einen Aufenthalt in Longyearbyen zwischen 600 und 1000 Euro je nach Länge und Aktivitäten vor Ort an.

Segelschiffe wie die Noorderlicht oder Rembrandt van Rijn bieten pauschal zubuchbare Vorprogramme in Longyearbyen.

> Tourveranstalter: Svalbard Adventures bieten ganzjährig E-Bike- und Schneemobil-Touren, Boots- und Hundeschlittenfahrten und Höhlenwanderungen an: www.svalbardadventures.com 

Better Moments ist spezialisiert auf kleine Gruppen mit Fokus auf nachhaltige Naturerlebnisse wie z. B. Walbeobachtungen, Gletscherwanderungen, Nordlichter: www.bettermoments.no 

Basecamp Explorer bietet Touren mit Wildnischarakter und Übernachtungen in rustikalen Unterkünften an: https://basecampexplorer.com 

> Beste Reisezeit: Juni bis August sind am besten für Tier- und Naturbeobachtung. Die Chancen, auch Wale, Eisbären, Walrosse und Polarfüchse zu sehen, sind groß. Die Temperaturen bewegen sich zwischen 0 und 8 Grad Celsius.

> Weitere Infos: www.visitnorway.com