Wie man jetzt auf Sylt Urlaub machen kann
Und warum sich der Urlaub trotz vieler Abstriche lohnt.

Von Katharina Eppert
Westerland. Langsam rollen die ersten Koffer über das Kopfsteinpflaster des Bahnhofs Westerland (Sylt), der blaue Autozug spuckt eine ganze Ladung – vorwiegend nobles Blech – aus Berlin, Hamburg, Hannover, aber auch München und sogar Österreich aus. Ein Ferrari röhrt von weitem, während zwei Möwen instinktiv um die Fischbude kreisen – hoffen spitzfindig, dass etwas für sie abfällt.
Endlich wieder Touris, denken sie sich. Endlich wieder Trubel, Glotzen, Futter. Der stürmische Empfang – kräftige Böen und ein Mix aus Sonne und Regen – ist auch nach sechsmonatiger "Zwangspause" nicht abgeflaut. Ja, so lieben wir DIE Insel, wie sie unter Kennern nonchalant genannt wird – inklusive Reizklima und Möwenschlag. Und dennoch ist etwas sichtlich anders: Maskenschutz, (mobile) Corona-Testzentren, QR-Codes, Hinweisschilder und Verpflichtungserklärungen.

Der Kreis Nordfriesland mit all seinen Inseln und Halligen hat sich erfolgreich als Modellregion für das Land Schleswig-Holstein beworben und nimmt somit an der testweisen Öffnung der Tourismusbetriebe teil. Seit dem 1. Mai gelten daher auch auf Sylt strikte "Spielregeln", die so manchen an "Mensch, ärgere Dich nicht" erinnern lassen. Wieso auch? Ich bin doch im Urlaub – und man kann überhaupt froh sein, wieder reisen zu dürfen, hört man sich selbst beschwichtigen. Und dennoch muss man kleine Abstriche machen.
Corona-Abstriche: Vor der Anreise einen negativen und nicht älter als 48 Stunden Test nachweisen – auf der Insel angekommen geht’s im "48-Stunden-Testus" weiter. Das negative Ergebnis muss unaufgefordert beim Gastgeber hinterlegt werden – via Mail, SMS, oder Whatsapp etc. Ohne Smartphone wäre man sicherlich aufgeschmissen. Zugelassen sind nach Vorgaben des Landkreises Nordfriesland neben PCR- auch Antigen-Schnelltests und Selbsttests, sofern sie von geschultem Personal abgestrichen werden.

Wer gemütlich ein Stückchen Kuchen in einem Café oder Fisch bei Gosch (der Gastronom und Multimillionär Jürgen Gosch feiert heute seinen 80. Geburtstag) essen möchte, muss für das kulinarische Abenteuer ein noch aktuelleres negatives Testergebnis vorweisen. Dieses darf nicht älter sein als 24 Stunden (nicht 48 Stunden), sonst steht der Gast sprichwörtlich draußen im Regen. Essen zum Mitnehmen oder ein Kaffee auf der Terrasse, wenn die Innenräume geschlossen sind, sind indessen auch ohne Corona-Test erlaubt. Juhu!
Damit alles ordnungsgemäß zugeht, wird mit Argusaugen kontrolliert. So wurde in einem Café auf Westerland einem älteren Gast den Zutritt verwehrt – er hatte kein aktuelles Testergebnis. Diskutiert wird hier nicht, er ging einsehend. Klare Sache für die Insulaner: Man kann und möchte es sich nicht leisten, fahrlässig zu werden – zu lange war Sylt für den Tourismus gesperrt, zu gefährlich wäre das "Aufs-Spiel-Setzen" der Sommersaison aufgrund hoher Inzidenzen – und: zu ehrfürchtig ist der evidenzprüfende Blick gen Tübingen, wo ein Corona-Modellprojekt erst Fahrt aufnahm und dann doch scheiterte

Sylt hat derzeit eine Inzidenz unter 30. Das soll so bleiben. Über 100 wäre der Modellversuch passé. Nikolas Häckel, Bürgermeister der Gemeinde Sylt, ist optimistisch. "Wir setzen auf engmaschiges Testen sowie eine gute Infrastruktur". Diese sei mit vier verschiedenen Anbietern und etlichen mobilen Testzentren gewährleistet. Rund 30.000 Tests können inselweit abgestrichen werden.
Und das geschieht im Vorbeigehen. So steht beispielsweise ein mobiles Testzentrum an der Strandpromenade in Wenningstedt. Termine braucht man nicht, nur seinen QR-Code, den man nach einmaliger Registrierung direkt aufs Smartphone geschickt bekommt.
Als geborener Sylter weiß Häckel genau, wo die Befindlichkeiten der Insulaner liegen. Vor der Pandemie fiel gelegentlich der Begriff Overtourism. 20.000 Menschen leben auf der Insel, Tausende pendeln zudem täglich zum Arbeiten vom Festland nach Sylt. Wohnraum ist teuer, für viele unbezahlbar. Andererseits hat sich die Zahl der Gäste in den vergangenen 30 Jahren fast verdoppelt. Von 60.000 Gästebetten ist die Rede dreimal so viel wie Einwohner.
Hintergrund
> Anreise: Mit dem Auto von Heidelberg in rund 11 Stunden nach Sylt. Man kann entweder den blauen Autozug/den DB-Sylt-Shuttle über den Hindenburgdamm nehmen (35 Minuten, Hin- und Rückfahrt circa 100 Euro, rechtzeitige Reservierung ratsam) oder mit der
> Anreise: Mit dem Auto von Heidelberg in rund 11 Stunden nach Sylt. Man kann entweder den blauen Autozug/den DB-Sylt-Shuttle über den Hindenburgdamm nehmen (35 Minuten, Hin- und Rückfahrt circa 100 Euro, rechtzeitige Reservierung ratsam) oder mit der Sylt-Fähre von Havneby auf der dänischen Insel Rømø nach List, dem nördlichsten Ort von Sylt, übersetzen (Hin- und Rückfahrt circa 83 Euro). Auch fliegen verschiedene Airlines Sylt an, Hin- und Rückflug mit Lufthansa ab Frankfurt, ab 400 Euro.
> Essen & Trinken: In wunderschöner Kiefernlandschaft Kaffee trinken, kann man in der Kupferkanne im Ort Kampen, derzeit nur Außengastronomie geöffnet, www.kupferkanne-kampen.de
> Unterkunft: Auf Sylt mietet man sich klassischerweise eine Ferienwohnung; Angebote gibt’s zum Beispiel unter www.travanto.de, www.wiking-sylt.de, www.ida-klein.de
> Reiseliteratur: Dumont-Bildatlas Sylt/Amrum/Föhr, 122 Seiten, 11,50 Euro
> Weitere Infos unter www.sylt.de
Zugleich ist die durchschnittliche Aufenthaltsdauer von 10,3 auf 7,45 Übernachtungen gesunken, wie Statistiken der Gemeinden zeigen. Zahlen, die Häckel sehr wohl im Blick hat, auch wenn man beispielsweise die Anzahl der Gästebetten spezifizieren müsse, wie er bemängelt.
Derzeit liege die Auslastung bei circa zwei Dritteln. Das sei bewusst so. Man wolle langsam hochfahren, nichts überstürzen, so der 47-jährige Politiker. Doch es wird lockerer. Ab kommenden Montag schon öffnet ganz Schleswig-Holstein wieder für Urlauber. Deshalb sollen ab dann auch in Nordfriesland die gleichen Regeln für den Tourismus gelten wie im ganzen Land. Überall müssen Gäste dann nur noch alle 72 Stunden zur Test-Station.
Ein achtsamer Tourismus sei für Bürgermeister Häckel – gerade im Zuge der Corona-Pandemie – unabdingbar geworden. Schließlich ist die mit 99 Quadratkilometern größte deutsche Nordseeinsel nicht nur Sehnsuchtsort vieler Reisender, sondern vor allem Lebensort der Natur. Zu einem Drittel ist Sylt von Dünen bedeckt, zehn Naturschutzgebiete verteilen sich auf rund 50 Prozent Inselfläche. Und dann wäre da noch der Landraub des "Blanken Hans". Berühmt ist in diesem Zusammenhang das Haus Kliffende in Kampen. Das reetgedeckte Anwesen, in dem Thomas Mann 1927 noch 50 Meter vom Strand entfernt nächtigte, stand nach einem Sturm 1999 direkt an der Kliffkante.
Egal, ob (Sturm-)Flut, nistende Vögel, Wattwürmer, blühende Heiden, Wanderdünen – menschliche Bewohner oder schlichtweg naturhungrige Touristen. Jeder möchte sich ein Stückchen Sylt einverleiben. Und selbst wenn das derzeit nur mit Abstrichen möglich ist. Das Gemüt wird auf Sylt bei Möwenschlag und Reizklima positiv gestimmt – solange der Corona-Test negativ bleibt.