Ekosem verliert den Auftrag für Moskau-Dialog
Russlands größter Milchproduzent mit Sitz in Walldorf schweigt bislang zum Krieg. Jetzt legt die Bundesregierung die Kontakte auf Eis.

Von Daniel Bräuer
Walldorf. Seit 30 Jahren berät der "Deutsch-Russische Agrarpolitische Dialog" die Duma in Moskau bei der Modernisierung der Landwirtschaft. Organisiert Fachtagungen, Messebesuche, Branchentreffs zwischen Fachpolitikern und Unternehmern aus beiden Ländern.
Bis jetzt. Angesichts des Ukrainekriegs hat das Bundesagrarministerium (BMEL) das Projekt auf unbestimmte Zeit auf Eis gelegt. Und mehr noch: Es hat der Unternehmensgruppe Ekosem aus Walldorf den Auftrag gekündigt, den "Dialog" weiterhin zu organisieren. Ein laufender Dreijahresvertrag mit einem Budget von bis zu 800.000 Euro jährlich werde zu Ende April gekündigt, erklärte eine Sprecherin des Ministeriums gegenüber der RNZ.
Ekosem ist die Holding des Unternehmensnetzwerks von Stefan Dürr. Der gebürtige Eberbacher hat seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion in Russland ein großes Agrarimperium aufgebaut: als Saatgut-Händler, als Importeur von John-Deere-Landmaschinen und inzwischen als größter Rohmilchproduzent des Landes. Auf rund 600.000 Hektar in sechs Regionen weiden rund 180.000 Rinder und produzieren mehr als 750.000 Tonnen Milch im Jahr (Unternehmensangaben von Ende 2019). Hinzu kommt inzwischen eine eigene Marke für Milchprodukte in russischen Supermärkten unter dem Namen EkoNiva. Insgesamt kommt die Gruppe auf 12.000 Mitarbeiter
Während zahlreiche deutsche Unternehmen den russischen Angriff auf die Ukraine klar verurteilt haben und zum Teil ihr Russland-Geschäft eingestellt haben, herrscht in der Walldorfer Agrar-Holding Schweigen. In aktuellen Börsenmitteilungen ist denn auch vom "Russland-Ukraine-Konflikt" oder den "Entwicklungen der letzten Tage" die Rede, nicht von Krieg.
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Dürr hat in der Vergangenheit seine guten Kontakte zu Wladimir Putin betont, von dem er 2015 auch die russische Staatsbürgerschaft erhalten hat. "Putins Liebling" oder "Putins Milchmann" nennen ihn Medienporträts. Putin sei "ganz anderer, als er in Deutschland dargestellt wird", sagte Dürr zum Beispiel 2015 in einem Interview. Er sei "sicher kein Diktator", der eine Aggression plane. An der damaligen Eskalation sei die Ukraine "mindestens" zu gleichen Teilen schuld gewesen. Aktuell gibt es von Dürr keine Äußerungen zur politischen Lage. Auch Wolfgang Bläsi, Ekosem-Finanzvorstand, will sich dazu nicht äußern.
Die Kündigung des Auftrags, den Dialog mit Russland zu organisieren, habe mit der Person Dürr nichts zu tun, betont das BMEL. "Wir wollten den Dialog beenden", sagt eine Sprecherin von Minister Cem Özdemir. Schon in den Jahren zuvor war das Budget nicht vollständig abgerufen worden – Corona-bedingt waren keine Reisen und Treffen möglich. Ekosem habe an dem Dialog-Budget "mitnichten Geld verdient", betont Finanzvorstand Bläsi. "Wir haben daraus keinen aktiven wirtschaftlichen Nutzen gezogen."
Dass die geknüpften Kontakte nicht von Schaden sind, ist allerdings auch klar. Nach der Annexion der Krim bekannte sich Dürr offen dazu, dass er Putin als Reaktion auf westliche Sanktionen – die er "unverständlich" fand – zu Gegensanktionen geraten habe. Das Importverbot für Lebensmittel aus der EU und das Ziel Russlands, unabhängiger zu werden, gaben dem Aufbau der eigenen Molkereimarke Rückenwind.
Bei der Zurückhaltung spielt auch eine Rolle, dass Russland westlichen Unternehmen bereits mit Verstaatlichung droht. Gerade hatte Ekosem eine feindliche Übernahme wichtiger Unternehmensteile durch die russische Agrarbank abgewendet. Von den aktuellen Sanktionen ist Ekosem direkt bislang nicht betroffen, da das Hauptgeschäft ausschließlich innerhalb Russlands stattfindet. "Wir stehen auf keiner Sanktionsliste, und wir machen keine Geschäfte mit Personen, die darauf stehen", so Bläsi. Indirekt bekommt die Gruppe die Verwerfungen dennoch zu spüren. Der Rubel verfällt, Kreditzinsen haben sich verdoppelt, Kunden können Lieferungen nicht bezahlen, weil Banken kein Geld aus Russland mehr annehmen. Eine Prognose für 2022 hat das Unternehmen jüngst verschoben; auch der Jahresabschluss 2020 ist vertagt worden.
Wie es mit dem "Dialog" nach einem Ende des Krieges weitergeht – und ob dann Dürr und seine Firmen wieder ins Spiel kommen – das bleibt offen. "Wir sind immer am Austausch interessiert", sagt das BMEL. Das Ministerium hoffe, dass es Russland irgendwann wieder als Partner ansehen könne. "Das ist derzeit nicht abzusehen", so die Sprecherin, eine Fortsetzung werde es "auf absehbare Zeit nicht geben."