Von Sören S. Sgries
Heidelberg/Stuttgart. Baden-Württemberg gilt als "Kernland der Autoindustrie". Jeder zehnte Arbeitsplatz hängt an der Branche. Gleichzeitig träumt der derzeitige grüne Verkehrsminister Winfried Hermann in seiner "kleinen Geschichte der Mobilität" davon, wie die Landeshauptstadt Stuttgart im Jahr 2051 zum Fußgängerparadies geworden ist, Hauptverkehrsstraßen zu Flaniermeilen umgewidmet wurden und eine Flotte von Elektro- und Wasserstoffbussen den Verkehr im einstigen Feinstaub-Kessel dominiert. Doch wie blicken die Baden-Württemberger heute, im November 2021, auf die Verkehrspolitik in ihrem Bundesland? Dieser Frage ging das Institut Allensbach im zweiten "BaWü-Check" im Auftrag der Tageszeitungen im Land nach. Vom 11. bis zum 23. November wurden über 1000 repräsentativ ausgewählte Bürger befragt.
> Nahverkehr zu teuer: Gefragt nach den größten verkehrspolitischen Problemen stehen "zu hohe Preise" ganz oben auf der Liste der Befragten. 52 Prozent haben hier ein Problem. Es folgen "zu viele Staus" (50 Prozent), der schlechte Zustand vieler Straßen (45), zu wenige Parkmöglichkeiten in den Innenstädten (43) und eine Überlastung dieser durch den Verkehr (41).
> Besondere Probleme im ländlichen Raum: Auffällig ist, wie sich die Einschätzung je nach Wohnlage unterscheidet. Würde nur die Landbevölkerung befragt, sähe das "Problemranking" nämlich ganz anders aus. Der Preis des ÖPNV, der für 60 Prozent der Großstädter ein Ärgernis darstellt, wird hier nur von 38 Prozent der Befragten genannt. Kein Wunder: Größtes Übel ist hier schließlich ganz allgemein die Verkehrsanbindung – hier sieht jeder Zweite Probleme (50 Prozent; Großstadt: 28 Prozent). Und "zu wenige Verbindungen des öffentlichen Nahverkehrs" beklagen 42 Prozent der Dorf-, aber nur 23 Prozent der Großstadtbewohner. Dafür stören Staus deutlich weniger als in den Städten (Dorf: 48; Großstadt: 57 Prozent).
> Investitionsstau bei der Infrastruktur: Befragt nach dem Zustand von Straßen, Brücken, usw. sagten fast zwei Drittel (64 Prozent), dass hier in den letzten Jahren zu wenig investiert wurde. Ausreichend fanden die Investitionen neun Prozent, unentschieden zeigten sich 27 Prozent.
> Autobahnen besser als andere Straßen: Den Zustand der Autobahnen empfindet die Hälfte der Befragten (50 Prozent) als "gut" oder "sehr gut". Von eher schlechtem oder sehr schlechtem Zustand sprechen hingegen 30 Prozent. Damit fällt das Urteil über die wichtigsten Bundesstraßen leicht besser aus als über die Straßen "in der näheren Umgebung". Die empfinden 46 Prozent als sehr gut oder eher gut. 39 Prozent beklagen einen schlechten oder sehr schlechten Zustand.
> Jüngere wünschen ÖPNV-Ausbau: Angesichts begrenzter Finanzmittel stellt sich die Frage: Wo künftig eher investieren? In den öffentlichen Nahverkehr oder in die Sanierung des Straßennetzes? "Beides gleichermaßen", sagt eine Mehrheit der Befragten von 56 Prozent. Eine Bevorzugung des Straßennetzes wünschen 17 Prozent. Für den Nahverkehr sprechen sich 23 Prozent aus. Allerdings: Bei den jüngsten Befragten, in der Altersgruppe zwischen 18 und 29 Jahren, sieht das anders aus. Hier gibt es eine deutliche Präferenz für den ÖPNV: 43 Prozent der Befragten wollen hier einen Schwerpunkt setzen (Straße: 20 Prozent; beides gleichermaßen: 34 Prozent).
> Auto-Verzicht kaum vorstellbar: Weniger mit dem Auto, dafür öfter mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren: Bei denjenigen, die aktuell noch mehrfach in der Woche auf den eigenen vier Rädern unterwegs ist, stellt das für eine Zwei-Drittel-Mehrheit der Befragten (68 Prozent) keine ernsthafte Alternative dar. Nur jeder fünfte (20 Prozent) könnte sich das vorstellen. Allerdings ist auch hier ein Generationenunterschied festzustellen: In der Altersgruppe der 18- bis 29-Jährigen können sich 32 Prozent für eine Abkehr vom Auto erwärmen.
> Jeder Zweite gegen E-Auto: Auf ein Elektroauto umsteigen: Das kann sich in den kommenden Jahren nur ein Drittel der Befragten (33 Prozent) vorstellen. Für 48 Prozent kommt das nicht in Frage, 17 Prozent sind unentschieden. Die Altersgrenze verläuft hier höher: 38 Prozent der Unter-45-Jährigen zeigten sich offen für einen elektrischen Antrieb, während in den Altersgruppen darüber das Interesse unterdurchschnittlich ist. Die Autoren der Umfrage weisen darauf hin, dass die Potenziale für E-Autos im Südwesten trotzdem "deutlich über dem Bundesschnitt" liegen.
> Ambivalentes Urteil über die Politik: Die Verkehrspolitik der grün-schwarzen Landesregierung kommt bei 31 Prozent der Befragten gut oder sehr gut an, eine eher schlechte Meinung haben 39 Prozent.
> Verkehrsminister eher unbekannt: Vom verantwortlichen Minister Winfried Hermann (Grüne) haben nur 12 Prozent eine gute, aber 26 Prozent eine eher schlechte Meinung. 36 Prozent sind unentschieden. 26 Prozent gaben an, Hermann nicht zu kennen.
> Mehr Industriepolitik? Gefragt wurde auch, ob die Autoindustrie durch die Politik stärker unterstützt werden müsste. Das sehen 22,3 Prozent der Befragten so. 27,6 Prozent beklagen zu viel Unterstützung für die Branche. Für 27,3 Prozent gibt es ausreichend Hilfe.
> Tempolimits denkbar: Für die Einführung von Tempolimits auf Autobahnen gibt es laut Umfrage eine relative Mehrheit. 47 Prozent sprachen sich dafür, 34 Prozent dagegen aus. Wenn es dazu käme, hätte eine Begrenzung auf 130 km/h die höchste Zustimmung: 37 Prozent der Befragten sprachen sich dafür aus. Aber auch 140 km/h halten 31 Prozent für angemessen. Nur 16 Prozent wäre für eine Höchstgeschwindigkeit von 120 km/h.
> Stuttgart 21 begeistert nicht: Im November 2011 stimmten 58,9 Prozent beim Volksentscheid für das Bahnprojekt Stuttgart 21. Neun Jahre später halten nur noch 27 Prozent das Projekt für richtig, 40 Prozent sind dagegen. Allerdings ist es auch einem Drittel der Befragten in der Umfrage egal bzw. sie haben kein Urteil dazu.