Symbolfoto: Arno Burgi/dpa
Von Jens Schmitz, RNZ Stuttgart
Stuttgart. Wenn Kindern Gefahr für Leib und Leben droht und Eltern nicht kooperieren, spielt das Jugendamt eine zentrale Rolle: Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten können regulär nämlich nur seine Mitarbeiter eine Inobhutnahme anordnen. Umso wichtiger ist es, dass etwa die Polizei sie auch außerhalb von normalen Bürozeiten erreicht.
Die meisten Kreise in Baden-Württemberg kommen dieser Verpflichtung durch Rufbereitschaft von Fachkräften nach, die in kurzer Zeit einsatzbereit sind. Mancherorts kommen noch Profis im sogenannten Hintergrunddienst dazu, mit denen sich Wachhabende in schwierigen Fällen abstimmen. Doch offenbar können sich Minderjährige nicht überall auf die gleichen Standards verlassen. "Die Wahrnehmung der Schutzverpflichtung muss durch die Jugendämter zu allen Tages- und Nachtzeiten gewährleistet sein", stellt Sozialminister Manfred Lucha (Grüne) in seiner Antwort auf eine SPD-Anfrage zwar fest. Eine Anlage, die Rückmeldungen von 32 Jugendämtern zusammenfasst, belegt aber sehr unterschiedliche Interpretationen.
Dass in der Stadt Karlsruhe donnerstags zwischen Dienstschluss und Rufbereitschaft eine halbe Stunde verstreicht, gehört noch zu den kleineren Lücken. So gibt es beim Landratsamt Emmendingen zwar ein Bereitschafts-Mobiltelefon, dessen Nummer der Polizei bekannt ist. "Die Zeit zwischen 22 Uhr und 7 Uhr ist aber nicht verbindlich", heißt es dazu. "Es wird gewährleistet, dass das Mobiltelefon regelmäßig auf eingegangene Anrufe überprüft wird." Ob das im Fünf-Minuten-Takt geschieht oder regelmäßig beim Aufstehen, bleibt unklar. In Villingen-Schwenningen gibt es gar kein Bereitschaftshandy. Dort liegen den Ordnungshütern die privaten Rufnummern aller Fachkräfte vor. Ob jemand abnimmt, ist offenbar Glückssache: "Die Polizei versucht, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter telefonisch zu erreichen", heißt es zu Krisen außerhalb der Bürozeit. Das gleiche Modell wird in Ulm praktiziert.
Im Landkreis Ravensburg unterhalten die Leitungskräfte eine "freiwillige Rufbereitschaft". Bei Gefahr könne die Polizei Minderjährige "selbstständig" in einer Jugendhilfeeinrichtung unterbringen, so die Behörde - das Polizeigesetz ermöglicht bei unmittelbarer Gefahr ein "Tätigwerden für andere Stellen".
Die Stadt Konstanz hat ein eigenes Jugendamt, das über ein professionelles Notrufsystem verfügt. Im Kreis will man sich daran jetzt ein Beispiel nehmen: Zum 1. November soll dort eine Jugendamts-Rufbereitschaft eingerichtet werden, "vorbehaltlich der Zustimmung durch den Personalrat". Auch Villingen-Schwenningen will noch in diesem Jahr eine professionelle Lösung einführen. In Ulm heißt es, eine "Weiterentwicklung" werde "erarbeitet". Und der Landkreis Esslingen hat Rufbereitschaftszeiten aufgelistet, die ab 2019 gelten sollen - welche Bedingungen aktuell herrschen, wird nicht ausgeführt.
Zu 14 der 46 Jugendämter im Land hat Lucha gar keine Antwort erhalten. Dennoch kommt das Sozialministerium zu dem Schluss: "Die Jugendämter in Baden-Württemberg haben sichergestellt, dass deren Fachkräfte auch außerhalb der regulären Öffnungszeiten der Verwaltungen erreichbar sind, die Ausgestaltung ist örtlich aber unterschiedlich." Auf Nachfrage unserer Zeitung erklärte ein Sprecher, der Kommunalverband für Jugend und Soziales (KVJS) habe bestätigt, "dass an sämtlichen Jugendämtern entsprechende Regelungen bestehen".
Die Emmendinger SPD-Abgeordnete Sabine Wölfle sieht das nicht so. "Der Verweis auf die Polizei oder auf Jugendhilfeeinrichtungen freier Träger ist nicht zulässig", rügt die Initiatorin der Anfrage. Das Sozialministerium müsse rasch verlässliche Regelungen einfordern. Wölfle will nun Auskunft über die Kreise einholen, die in der Antwort der Landesregierung nicht vorkommen.