Die August-Lämmle-Straße am Stadtrand von Heilbronn erinnert an den „Heimatdichter, der 1933 in die NSDAP eingetreten und ein „Aktiver“ der Partei war. Foto: Brigitte Fritz-Kador
Von Brigitte Fritz-Kador
Straßennamen, wie auch die Benennung von Schulen, sind ein Kapitel für sich: Sie machen Geschichte und erzählen Geschichten, gereichen dem Namensgeber und der Stadt zur Ehre, aber manchmal auch nicht. Auch Heilbronn hat da Lehrgeld bezahlt und ebenso noch einiges aufzuarbeiten – der Präzedenzfall Wilhelm Hoffmann ist noch nicht vergessen. Nach dem zunächst hochgeachteten Heilbronner Pädagogen war unter anderem in Heilbronn eine Schule benannt. Gefeiert als Wegbereiter der modernen Sonderschulpädagogik, kam erst 2010, 15 Jahre nach seinem Tod, seine NS-Vergangenheit zu Tage; danach musste man den Träger des Bundesverdienstkreuzes in neuem Lichte sehen.
Warum aber konnte sich August Lämmle so lange halten? Nach dem einst so populären "Heimatdichter" sind vielerorts Schulen und Straßen benannt, auch im Heilbronner Osten. Gerade hat der Gemeinderat die Namen für neue Straßen im Neckarbogen beschlossen, und nur die wenigsten Namensgeber, renommierte Architektinnen und Architekten, haben irgendeinen Bezug zur Stadt. Da ging es wohl eher darum, was im Werbe-Deutsch "Imagetransfer" heißt. Umgekehrt, das zeigt sich jetzt, kann das aber auch der Fall sein.
Vor fünf Jahren zählte man in Heilbronn 1120 Straßen, Gassen, Wege, Brücken. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte man mächtig damit zu tun, die Namen für sie zu ändern, die das Dritte Reich der Stadt beschert hatte. Was dabei dann unter anderen Vorzeichen geschah, ist nicht allein mit dem "Kalten Krieg" zu erklären. Die Rigorosität, mit der man damals nach Sozialisten benannte Straßen umtaufte, vorwiegend im "roten" Böckingen, ist bemerkenswert. Betroffen davon waren unter anderem der von den Nazis verfolgte und schließlich im KZ umgebrachte Erich Mühsam. Auch Rosa Luxemburg musste weichen, und wer weiß noch, dass die Christophstraße einmal nach dem ebenfalls von den Nazis ermordeten Arbeiterführer Ernst Thälmann benannt war? Dafür wartet man auf eine Walter-Vielhauer-Straße bis heute vergeblich. Ein Heilbronner Widerständler und KZ-Häftling, wie er, passt ja auch nicht in die "Neckarbogen-Bogen-Idylle".
August Lämmle hatte vielfältige Beziehungen zu Heilbronn: In den 1920er-Jahren pflegten er, sein Heilbronner Verleger Eugen Salzer – dieser hatte später einiges an brauner Literatur in seinem Verlagsprogramm –, und über ihn auch Theodor Heuss Umgang miteinander. Im feinen Heilbronner Osten, unterhalb des Jägerhaus-Waldes, störte sich bislang niemand an den nach August Lämmle und nach der Lyrikerin Isolde Kurz benannten Straßen, die sich hier weltanschaulich wie auch geografisch begegnen. Der aus Kirchheim/Neckar stammende Lehrer Dieter Rebstock gehört zu jenen, die sich intensiv mit Lämmle, NSDAP-Mitglied seit 1933, befassten. Nicht nur Regionalzeitungen, auch "Die Zeit" berichteten beispielsweise über die Umbenennung der August-Lämmle-Schule in Leonberg. Der Beschluss des dortigen Gemeinderates, Lämmle auch nicht mehr als Ehrenbürger zu führen, fiel allerdings erst nach der Einholung eines Gutachtens. Darin lieferte der Historiker Peter Pogunke den Nachweis, den man auch schon vorher hätte haben können – ein Zitat daraus: "In der NS-Zeit stilisierte sich Lämmle – aus welchen Gründen auch immer – als bedingungsloser Anhänger der NS-Ideologie und des NS-Staates mit Adolf Hitler an der Spitze, ohne dass es für ihn die Notwendigkeit gegeben hätte." Auch in Kusterdingen (Landkreis Tübingen) gibt es nach öffentlicher Auseinandersetzung keine Lämmle-Schule und -Straße mehr.
In Heilbronn aber herrscht dazu immer noch Schweigen. Eine RNZ-Nachfrage zum Thema vom Dezember ist bis heute unbeantwortet. Unter dem Eindruck einer anderen Benennung (siehe Hintergrund) ließ Oberbürgermeister Harry Mergel in der jüngsten Gemeinderatssitzung lediglich verlauten, dass sich das Stadtarchiv im Rahmen einer wissenschaftlichen Arbeit mit den Heilbronner Straßennamen befassen werde. Dort ist vor allem Archivdirektor Christhard Schrenk seit Jahren intensiv damit beschäftigt, die Heilbronner NS-Vergangenheit aufzuarbeiten.
Der Gemeinderat wird sich bei einer Umbenennung wohl kaum zieren. Stadtrat Malte Höch (Freie Wähler) sagt dazu: "Da wir einen besonnenen Umgang mit den Erfahrungen aus der NS-Zeit leben müssen, gehört die Sensibilisierung auch bei der Verwendung von Namen von Persönlichkeiten in der Vergangenheit dazu." Sein Hinweis "wir sollten es nicht der Stadt überlassen, als Gewissenshüter diese Überprüfung alleinig für sich zu proklamieren" aber trifft den Punkt. Als ein Kriterium sieht er an, dass es in der Sache schon ein Unterschied sei, "ob ich zur Vermeidung von Repressalien mitgelaufen bin, oder ob ich es aktiv befürwortet und gefördert habe." Lämmle war, das stehe unzweifelhaft fest, ein "Aktiver".
Das 2005 erschienene Buch "Die Heilbronner Straßennamen" von Rainer Makowski und Gerhard Schwinghammer enthält viele Information, lässt andere jedoch vermissen. Man stößt da auf Widerständler, wie etwa die mutige NS-Gegnerin und Hebamme Elsie Heß (Biberach), nach der heute kein Hahn mehr kräht, die Lämmle-Straße wird hingegen in dürren Worten abgetan, ebenso die Eugen-Dühring-Straße. Sie ist seit 1938 nach dem 1923 verstorbenen Philosophen und Wegbereiter des NS-Rassenwahns benannt, der in "Die Judenfrage als Racen-, Sitten- und Culturfrage" die "weltgeschichtliche Antwort" gab, Juden seien "eines der niedrigsten und mißlungensten Erzeugnisse der Natur". Das Buch war eine der Unterlagen der Nürnberger Rassengesetze. Und auch eine Isolde-Kurz-Straße muss nicht sein. Die Stuttgarter Lyrikerin (1853-1944), nach ihr sind vielerorts, wie auch in Heilbronn, Straßen benannt, schilderte der Literaturkritiker Tilman Krause erst jüngst als jemanden, der in der NS-Zeit kaum Schwierigkeiten hatte "sich auf den ’neuen Geist‘ einzuschwingen", wofür sie 1943 von Goebbels mit der Goethe-Medaille ausgezeichnet wurde.