Am Kleinstcomputer "Calliope" lernen Schüler Grundlagen des "Codens". Per Tablet wird er programmiert. Foto: Uwe Deck
Von Simon Sachseder
Karlsruhe. Zehn Schüler stehen zu Beginn ihrer Mittagspause mit leuchtenden Augen vor der Tür des "Wunderlandes". Das hat in der Pause eigentlich immer geöffnet. An diesem Dienstag muss der Schulleiter der Ernst-Reuter-Schule in Karlsruhe, Micha Pallesche (44), seine Schützlinge aber abweisen - zwei Delegationen aus Bayern und Berlin sind für eine Besichtigung gekommen.
Rund 700 Besucher haben sich die Gemeinschaftsschule im vergangenen Jahr nach Angaben des Rektors angesehen. Aus gutem Grund: Hier ist seit Jahren Technik im Einsatz, die viele andere deutsche Schulen mit dem seit Mitte Mai in Kraft getretenem Digitalpakt erst bekommen sollen.
Eine zentrale Rolle spielt dabei ein Raum des Wunderlandes: der "Makerspace". Im letzten Jahrtausend hätte man vielleicht noch Werkraum an die Tür geschrieben. Das Zimmer ist unter anderem mit Roboterbausätzen, einem Filmstudio und einem 3D-Drucker ausgestattet. Kleine Computer, genannt "Calliope mini", sollen den Schülern spielerisch das Programmieren beibringen. Auf der handflächengroßen Platine sitzen unter anderem mehrere Leuchtdioden, Taster, ein Lautsprecher und ein elektronischer Kompass. Einmal programmiert kann daraus so ziemlich alles werden - zum Beispiel ein einfaches Klavier, ein Schere-Stein-Papier-Gegner oder ein Schalter für Funksteckdosen.
In den Klassenräumen der Ernst-Reuter-Schule hängen keine Tafeln mehr an der Wand, sondern sogenannte Activeboards, eine Art digitale Tafel mit Touchscreen. Und die Schüler arbeiten regelmäßig mit Tablets. 150 Stück gibt es für die rund 320 Schüler. Auf die Frage, wie die Schüler die außergewöhnliche Ausstattung ihrer Schule finden, antworten viele erstmal mit einem Schulterzucken. Die 17-jährige Sara sagt: "Für uns ist es normal, aber die anderen kommen hierher und sagen wow."
Schulleiter Pallesche, der parallel an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg im Bereich Mediendidaktik promoviert, sieht die Ausstattung als Mittel zum Zweck. Entscheidend sei aber etwas anderes: Menschen müssten in Zukunft mehr in Teams arbeiten um die allgemein komplexer werdenden Aufgaben der Zukunft noch lösen zu können. Diesen gestiegenen Anforderungen wird man laut Pallesche mit klassischem Frontalunterricht nicht mehr gerecht. Das könne kein Lehrer mehr leisten.
In Zukunft werde ein Lehrer deshalb immer mehr die Rolle eines Moderators übernehmen, weniger die eines Wissensvermittlers. Denn das Wissen ist in der digitalen Welt verfügbar und einfach zugänglich. Zum Beispiel könne ein Schüler, der in einem Thema fit ist, einen Erklärfilm für die anderen Kinder produzieren. Schwächere Schüler können sich den Film anschauen. Das hat für den Rektor Vorteile. "Der Film erklärt es mir halt fünfmal, wenn es sein muss. Den kann ich auch mal anhalten oder zurückspulen." Auch der Filmproduzent profitiert - er durchdringt das Thema noch tiefer.
Die Direktorin des Institutes für Schulentwicklungsforschung an der TU Dortmund, Nele McElvany sagt, dass Schüler digitale Medien für ihren weiteren Lebensweg zwingend kennenlernen müssen. Sie sagt aber auch, dass die Erwartungen, die an die Digitalisierung in Schulen geknüpft werden, überhöht sind. Folge man der Diskussion, habe man den Eindruck, dass ein Tablet und schnelles WLAN alle Herausforderungen des Bildungssystems lösen könnten.
Es reiche jedoch nicht, einfach die Geräte zur Verfügung zu stellen. Die pädagogischen Konzepte müssten angepasst werden, damit die Technik sinnvoll genutzt werden könne. Schulleiter Pallesche befürchtet, dass mit dem neuen Digitalpakt genau das oft nicht passiert. Er geht davon aus, dass viele Schulen mit dem Geld erstmal einfach einkaufen.