Betroffene fordern schon lange Maßnahmen zur Luftverbesserung in Stuttgart. Foto: dpa
Von Sascha Meyer und Andreas Hoenig
Leipzig/Berlin. Im Kampf gegen zu schmutzige Luft können Städte einzelne Straßen für ältere Diesel sperren - Fahrverbote für größere Innenstadtbereiche sind aber nicht so leicht möglich. Das geht aus der schriftlichen Begründung des Bundesverwaltungsgerichts hervor, das Verbote schon grundsätzlich für zulässig erklärt hatte. Knapp drei Monate nach den Urteilen erläutern die Richter nun näher ihre zentrale Anforderung, dass Beschränkungen "verhältnismäßig" sein müssen. Die Begründung war mit Spannung erwartet worden.
Streckenbezogene Verbote: Sollen nur einzelne Straßen oder Abschnitte gesperrt werden, sehen die Richter keine größeren Hürden. Denn solche Einschränkungen gingen in ihrer "Intensität" nicht über andere Halte- oder Durchfahrtverbote hinaus, "mit denen Autofahrer stets rechnen und die sie grundsätzlich hinnehmen müssen". Eine uneingeschränkte Anfahrt "bis unmittelbar vor die Haustür" gehöre in Ballungsräumen nicht zum Kernbereich von Möglichkeiten für Anlieger. Es sind aber auch Ausnahmen etwa für Handwerker zu prüfen.
"Zonale Verbote": Geht es um größere City-Bereiche wie etwa schon existierende Umweltzonen, listen die Richter Bedingungen auf. Denn der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verbiete es, so "weitreichende Verkehrsverbote ohne Berücksichtigung der damit für die Betroffenen verbundenen wirtschaftlichen Folgen auszusprechen". Zu prüfen ist demnach eine "phasenweise Einführung", bei der Verbote zunächst nur für ältere Autos etwa bis zur Abgasnorm Euro 4 kommen. Für neuere Euro 5-Wagen komme das "nicht vor dem 1. September 2019" in Betracht. Zudem seien Ausnahmen zu prüfen - und auch Übergangsfristen bei einer Nachrüstung von Euro-5-Wagen.
Gesundheitsschutz: Die Richter verweisen auf EU-Richtlinien mit dem Tenor: Gesundheitsschutz hat Vorrang. Demnach sind Überschreitungen von Schadstoff-Grenzwerten "so kurz wie möglich" zu halten. Dies setze aber nicht voraus, "dass die zu erreichenden Maßnahmen auf einen Schlag zur Zielerreichung führen".
Wertverlust: Viele Kfz-Halter fürchten Wertverluste. Hier schützen die Bundesrichter vor allem Euro-5-Autos, für die ganze Cityzonen nicht vor 1. September 2019 gesperrt werden dürften. Dies ist vier Jahre nach Inkrafttreten der folgenden Abgasnorm 6 für alle Neuwagen zum 1. September 2015 und sichere eine "uneingeschränkte Mindestnutzungsdauer" über die ersten drei Jahre hinaus, in denen erfahrungsgemäß hoher Wertverlust eintritt. Generell sei durch lokale Verbote kein "Zusammenbruch des Gebrauchtwagenmarktes" zu erwarten. Bei verhältnismäßigen Verboten seien auch keine Entschädigungsregelungen zu treffen.
Blaue Plakette: Bei der praktischen Umsetzung kommt es darauf an, Autos zu unterscheiden. Umweltschützer und Grüne fordern eine neue "blaue Plakette", mit der moderne Diesel von Verboten ausgenommen werden könnten - die Bundesregierung ist bisher dagegen. Die Richter erklären, ohne eine solche Kennzeichnung wäre der Vollzug "deutlich erschwert", wenn auch nicht rechtswidrig.
Politischer Streit: In der Großen Koalition dringt die SPD angesichts der EU-Klage verschärft auf Umbauten an Motoren älterer Diesel. Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) und Kanzlerin Angela Merkel (CDU) haben erhebliche Bedenken gegen Hardware-Nachrüstungen. Heikel ist das Thema auch für die grün-schwarze Landesregierung in Stuttgart. Ein Regierungssprecher sagte, man wolle das Urteil respektieren, aber auch alles tun, um Fahrverbote zu vermeiden.