Baden-Württemberg

Die Freien Wähler wollen den Südwesten erobern

Die Partei, die bislang vor allem in Bayern erfolgreich ist, will 2021 in den Stuttgarter Landtag einziehen - Der kommunal fest verankerte Landesverband ist dagegen

31.08.2020 UPDATE: 01.09.2020 06:00 Uhr 2 Minuten, 48 Sekunden
Der Wirtschaftsminister aus München: Bundes-Parteichef Hubert Aiwanger. Foto: dpa

Von Roland Muschel, RNZ Stuttgart

Baden-Baden. Die Nominierungsversammlung ist offiziell beendet, als Hubert Aiwanger am Samstagabend nochmal selbst Hand anlegt. Das Rednerpult schiebt der bayerische Vize-Ministerpräsident und Wirtschaftsminister tatkräftig zur Seite. Auf der holzvertäfelten Bühne des Löwensaals soll Platz sein für ein Foto mit dem frisch gekürten Kandidaten der Freien Wähler für den Landtagswahlkreis 33, Baden-Baden, Tommy Schindler, und weiteren Mitstreitern.

Aiwanger, 49, dunkler Anzug, gestreifte Krawatte, bayerischer Zungenschlag, ist als Bundesvorsitzender Kopf und Motor der Partei Freie Wähler, und Schindler, 63, ein Kandidat, der wie gemalt ist für die überregionalen Ambitionen des charismatischen Niederbayern: Mit seiner Vita entspricht der Kandidat dem Selbstbild der bodenständigen, bürgernahen "Partei der Mitte", mit dem sie im März 2021 auch in Baden-Württemberg punkten will: Polizist im Ruhestand, Stadtrat, örtlicher Faschingspräsident.

Ziel müsse es sein, auch im Stuttgarter "mehr gesunden Menschenverstand einfließen zu lassen", hat Aiwanger vor der Nominierung die 80 Zuhörer im unter den Corona-Bedingungen vollen Saal auf das Ziel eingeschworen, die Freien Wähler auch im Südwesten in eine höhere Liga zu hieven. "Ich wette, dass es für dieses Land besser wäre, wenn es anstelle von 15 Prozent AfD zehn Prozent Freie Wähler gäbe."

In Bayern ist Aiwanger ein Riese, seine Freien Wähler hat er 2018 mit 11,6 Prozent als Juniorpartner der CSU in die bayerische Landesregierung geführt. Für seinen bundespolitischen Ehrgeiz aber fehlt ihm bislang eine weitere zentrale Größe: Baden-Württemberg. In keinem anderen Bundesland sind freie Wählervereinigungen bei Gemeinderatswahlen erfolgreicher, 2019 verteidigten sie mit im Schnitt 31 Prozent ihre Position als stärkste kommunale Kraft. Allein: Der Landesverband der Freien Wähler, dem tausende Gemeinde- und Kreisräte formal angehören, will mit der gleichnamigen Partei nichts zu tun haben. Das Prinzip, rein kommunal zu arbeiten, hat der Landesvorsitzende und Renninger Bürgermeister Wolfgang Faißt gerade erst wieder zum Markenkern erklärt. In der CDU haben sie das mit Wohlgefallen registriert.

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Dass die Fronten bröckeln, zeigt indes der Abend in Baden-Baden: Von den 80 Besuchern, die Aiwanger gebannt zuhören, gehören fast alle einer Freien-Wähler-Gruppierung an. Stimmberechtigt und damit Mitglied der Freien-Wähler-Partei sind aber nur zehn.

Man werde in allen 70 Wahlkreisen antreten, sagt Landesparteichef Klaus Wirthwein, der die Parole "70 für sieben" ausgegeben hat: Jeder Kandidat soll sieben Prozent holen, dann reicht es beim baden-württembergischen Einstimmen-Wahlrecht locker für den Einzug in den Landtag. Bei der Europawahl 2019 habe man im Südwesten bereits 3,2 Prozent geholt, mehr als die Linkspartei.

"Herr Faißt will uns zu Bonsai-Gewächsen degradieren. Wir haben aber das Potenzial, dass wir zur großen deutschen Eiche wachsen können", feuert Martin Ernst, Ratsfraktionschef der Liste Freie Bürger für Baden-Baden, im Löwensaal eine Salve Richtung Renningen ab. Wenn es keine "Heckenschützen" in den eigenen Reihen gebe, "dann sind wir mit einem zweistelligen Ergebnis dabei", ruft auch Aiwanger die Zuhörer auf, den "großen Schatz" zu heben und die kommunalpolitischen Erfolge auf die Landesebene zu übertragen.

Der Freiburger Politikwissenschaftler Ulrich Eith sieht das kritisch. "Die Partei versucht, auf der Reputation der kommunalpolitischen Vereinigung zu surfen und deren Reputation auf ihre parteipolitischen Mühlen zu lenken", sagt Eith am Telefon. Im kommunalen Bereich hätten sich die Freien Wähler den Ruf einer pragmatischen Politik erarbeitet. "Aber überregional stelle sich die Frage: Wofür steht diese Partei?" Nur auf den angeblich gesunden Menschenverstand zu verweisen, sei "ein bisschen wenig", um den Wählern Orientierung zu geben, findet Eith. Bis jetzt, sagt der der Politikprofessor, sehe er "keine Anzeichen, dass die Partei in Baden-Württemberg Fuß fassen kann".

Das sehen Aiwanger und seine Mitstreiter im Südwesten, die im Wahlkampf für die Rückkehr zum neunjährigen Gymnasium (G9) , Bürokratieabbau, den Ausbau des ÖPNV und die schnellere Abschiebung abgelehnter Asylbewerber kämpfen wollen, anders. "Ich bin überzeugt, dass wir in Baden-Württemberg ein noch größeres Potenzial als in Bayern haben", sagt Aiwanger am Nachmittag beim Gespräch in einem Baden-Badener Biergarten. "Die CSU ist im bürgerlichen Lager präsenter als es die Südwest-CDU ist, und die AfD-Chaoshaufen in Baden-Württemberg hat den bürgerlichen Protestwählern gezeigt, dass Stimmen für diese Partei verlorene Stimmen sind."

Ein strategischer Nachteil im Wahlkampf könnten die Corona-Bedingungen sein. "Als Bürgerpartei sind wir immer nah an den Leuten gewesen, jetzt soll man auf Abstand zu den Bürgern bleiben." Andererseits würden sich die Bürger mehr für Politik interessieren, für "bodenständige Alternativen". Daher sei er überzeugt, "dass wir 2021 auch den Sprung in den Stuttgarter Landtag schaffen werden".

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