Theresia Bauers Abschied

Mit Ministerinnen-Freude am Risiko

Als Wissenschaftsministerin hat Theresia Bauer sich für die Autonomie von Forschung und Kunst eingesetzt. Jetzt hat sie ihr Amt abgegeben.

28.09.2022 UPDATE: 28.09.2022 06:00 Uhr 3 Minuten
Ein letzter Auftritt als Ministerin: Theresia Bauer am Dienstag bei der Regierungspressekonferenz in Stuttgart. Foto: Bernd Weißbrod

Von Jens Schmitz, RNZ Stuttgart

Stuttgart. Zum Abschied gibt‘s eine Wohlfühlreise: vertrautes Parkett, Herzensthemen. "Ich bin ja im Moment unterwegs auf einer Tour durchs Land, um gezielt das Thema Klimaschutz in Hochschulen mal genauer unter die Lupe zu nehmen", sagt Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Grüne) im lichten Zeichensaal der Hochschule Biberach (HBC). Die HBC will ihren Campus bis 2030 klimaneutral gestalten. Bauer gefällt besonders, dass Studierende so gleich in der Praxis lernen, Zukunftslösungen zu entwickeln. "Weil man hier Teil ist einer Veränderung, die die Gesellschaft braucht", zeigt sie sich überzeugt. Genauso wichtig seien allerdings die Vermittlung von "Power" und "Zuversicht", von "guter Laune" und "positiver Energie" anstelle von Verzagtheit oder Zynismus.

Powerwörter, Superlative, Dynamik: Bauer klotzt lieber als zu kleckern, verströmt lieber Optimismus als Grübelei. Baden-Württemberg hat die HBC offiziell zur Piloteinrichtung erklärt. Der kommende Haushalt soll einen ersten Bauabschnitt für 19 Millionen Euro ermöglichen. "Da hat ein Land oder eine Ministerin gut zugehört", sagt Rektor André Bleicher zufrieden. Bleicher gehört zum Vorstand des Vereins der Hochschulen für Angewandte Wissenschaften (HAW) im Land. Gerade erst hat Bauer mit dem Promotionsrecht für HAWen einen der wenigen verbliebenen größeren Konflikte in ihrem Bereich abgeräumt. Ihr Abschied in der laufenden Legislatur mag für die Regierung ungelegen kommen – inhaltlich ist er fast eine Punktlandung.

"Wenn’s am schönsten ist, soll man aufhören", sagt die 57-Jährige später im Auto. "Und Heidelberg geht nur jetzt." In ihrer langjährigen Heimatstadt hat Bauer den Hut als grüne Herausforderin von Oberbürgermeister Eckart Würzner (parteilos) in den Ring geworfen. An diesem Mittwoch, am 28. September, soll ihre Nachfolgerin, die bisherige Kunst-Staatssekretärin Petra Olschowski (Grüne), ins Amt eingeführt werden.

Olschowski muss große Fußstapfen füllen. Gleich viermal ist Bauer in ihrer 2011 begonnenen Ägide von den Mitgliedern des Deutschen Hochschulverbands zur "Wissenschaftsministerin des Jahres" gewählt worden. Nach außen am sichtbarsten waren die Abschaffung der allgemeinen Studiengebühren und die Wiedereinführung der Verfassten Studierendenschaft 2012. Die Hochschulen erfuhren einen beträchtlichen Aufwuchs ihrer Mittel. Gleichzeitig sorgte Bauer für ein Ende von Bestrebungen, sie stärker von Unternehmen abhängig zu machen. "Darauf bin ich wirklich stolz", sagt sie, wenn man sie nach ihrer eigenen Bilanz fragt. "Ich glaube, dass das mein größtes Verdienst ist."

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Bauer hat die Freiheit der Wissenschaft und der Kunst hochgehalten, für Exzellenz gekämpft und dafür, diese Exzellenz so zu konzentrieren, dass sie international Strahlkraft entwickeln kann. Das "Cyber Valley" zwischen Stuttgart und Tübingen, mittlerweile Europas größter Forschungsverbund zu Künstlicher Intelligenz, ist das erfolgreichste dieser Projekte.

Ihr Fokus auf wissenschaftlicher Hochleistung hat Bauer allerdings auch Kritik eingetragen: Dass die Lehre und der Ausbau der Studienplätze ihr nicht in vergleichbarem Maße wichtig gewesen seien. Dass sie die Universitäten bevorzugt behandelt habe. Studenten nahmen ihr übel, dass sie 2017 klarstellte, dass der Verfassten Studierendenschaft kein allgemeinpolitisches Mandat zustehe, und dass sie für ausländische Studierende und Zweitstudien schließlich wieder Gebühren einführte. Bauer selbst rechnet den fortbestehenden Sanierungsstau zu ihren Niederlagen. Sie hätte den Hochschulen da gern mehr eigene Kompetenzen verschafft, doch: "Ich habe das nie so richtig geknackt gekriegt."

Die schwierigste Phase erlebte sie während des Untersuchungsausschusses "Zulagen Ludwigsburg" 2017 bis 2019. Das Gremium bestätigte Bauer mit der Regierungsmehrheit, rechtskonform gehandelt zu haben, auch juristisch blieb nichts an ihr hängen. Der Verwaltungsgerichtshof bescheinigte der geschassten Ex-Rektorin der Hochschule Ludwigsburg allerdings, Opfer einer Intrige an der Einrichtung geworden zu sein. Die Rektorin hatte erklärt, Bauer habe sie als Dienstherrin nicht gegen Intriganten verteidigt. Beim Streit um den damaligen Intendanten des Badischen Staatstheaters in Karlsruhe fand die Ministerin sich 2020/21 erneut im Spannungsfeld zwischen der Autonomie von Wissenschafts- und Kunstbetrieben und ihren Aufsichts- und Fürsorgepflichten.

Bauer ist in einem Dorf in der Westpfalz aufgewachsen. Dass drei von vier Kindern Abitur machen konnten, obwohl der Vater Hilfsarbeiter war und die Mutter Hausfrau, schreibt sie dem Mut ihrer Mutter zu. Wiewohl aus der Kirche ausgetreten, hält sie ihr politisches Engagement ohne die positiven Erfahrungen in der katholischen Jugendarbeit für kaum denkbar.

Die Politikwissenschaftlerin wurde 1988 Mitglied der Grünen und hat sich seither dort auch gegen Skeptiker behauptet. Ihre an objektivierbaren Fakten orientierten Positionen etwa in den Bereichen Homöopathie, Tierversuche oder Gentechnik schmecken auch in der Landtagsfraktion nicht jedem.

Politische Wegbegleiter bescheinigen ihr durchaus Machtbewusstsein. Den Begriff Ellbogen mag sie aber nicht. "Vielleicht ist ja die Wahrnehmung von anderen eine andere. Aber ich bin eigentlich eher ein Typ, der gerne mit anderen zusammenarbeitet." Schüchternheit muss man trotzdem nicht ausstrahlen. "Ich arbeite hart daran, keine Angst zu haben", sagt Bauer. "Ich glaube, wenn man die Freude am Risiko verliert, dann sollte man keine Politik machen."

Am 6. November ist in Heidelberg Wahl. Wenn es nicht klappt mit dem Wechsel ins Rathaus, will Bauer ihr Landtagsmandat bis zum Ende der Legislatur wahrnehmen, aber dann nicht mehr antreten.

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