Bauer will zuhören und mit Attacke ins Rathaus (plus Video)
Lange machte Theresia Bauer einen Wohlfühl-Wahlkampf, doch beim Spaziergang mit der RNZ kritisiert die Grüne den Amtsinhaber Eckart Würzner scharf.

Von Sebastian Riemer
Heidelberg. Der Termin mit der RNZ ist eigentlich längst vorbei. Aber der Kellner bringt die Rechnung nicht. Also noch eine letzte Frage: Was macht der Amtsinhaber denn gut? Im OB-Wahlkampf vermied Theresia Bauer bisher, Eckart Würzner anzugreifen, setzte lieber auf positive Botschaften. Jetzt zögert sie kurz, ihre Mundwinkel heben sich, sie lacht: "Er hat so einen rattenscharfen Mallorca-Hut." Ein Witz über die Kopfbedeckung, die Würzner den ganzen Sommer trug. Dann legt sie nach: "Aber im Ernst: Was er wirklich gut macht, ist PR, also Eigenwerbung." Damit leitet sie einen weiteren Frontalangriff auf den amtierenden Oberbürgermeister ein.

Zweieinhalb Stunden vorher, Marlene-Dietrich-Platz, Südstadt. Theresia Bauer – seit elf Jahren und nur noch wenige Tage lang Wissenschaftsministerin des Landes, 57 Jahre, dunkelblaue Hose, hellblaue Bluse, die Ärmel hochgekrempelt – kettet ihr E-Bike an. Der Platz ist leer, aus dem neuen Karlstorbahnhof dringt Baulärm, bald wird er eröffnet. Bauer hat den Ort als Startpunkt für den Spaziergang gewählt. "Schauen Sie sich um!", sagt sie. "Bei Hitze kann man sich hier nicht aufhalten. Alle Sitzgelegenheiten in der prallen Sonne!"
Kaum Bäume, wenig Schatten, zu viel versiegelt – das ist das Leitthema der grünen OB-Kandidatin beim Spaziergang mit der RNZ. Es hat 22 Grad, ist bewölkt. Doch sobald die Sonne durchblitzt, macht Bauer ihren Punkt. Wenig später am Mark-Twain-Spielplatz: "Die Bänke in der prallen Sonne, die wenigen Bäume zu weit weg." Die kleine Anlage für Skater: "In der prallen Sonne!" Daneben der Parkplatz vor der Julius-Springer-Schule: "Nur zum Parken viel zu schade! Da müssen Bäume hin oder ein Dach für Photovoltaik." Alle Plätze und Schulhöfe in Heidelberg müsse man angesichts der Klimakatastrophe neu bewerten.
Hintergrund
> Spaziergang mit Einkehr: Das ist das Konzept der RNZ-Porträts zur OB-Wahl. Vorgestellt werden die fünf Bewerberinnen und Bewerber, die von Parteien im Stadtrat unterstützt werden: Eckart Würzner (parteilos), Theresia Bauer (Grüne), Sören Michelsburg (SPD), Bernd Zieger
> Spaziergang mit Einkehr: Das ist das Konzept der RNZ-Porträts zur OB-Wahl. Vorgestellt werden die fünf Bewerberinnen und Bewerber, die von Parteien im Stadtrat unterstützt werden: Eckart Würzner (parteilos), Theresia Bauer (Grüne), Sören Michelsburg (SPD), Bernd Zieger (Linke) und Björn Leuzinger (Die Partei). Den Weg für den Spaziergang und das Lokal für die Einkehr haben die Kandidaten gewählt.
Im Vorbeigehen lobt Bauer die gemeinschaftlichen Wohnprojekte in der Südstadt: "Sie schaffen bezahlbaren Wohnraum und eine ganz andere Vielfalt." Dafür brauche es mehr Unterstützung. "In Tübingen gibt es 200 solche Projekte, in Heidelberg acht." Und für günstigen Wohnraum brauche es eine viel aktivere Bodenpolitik: "Die Stadt muss die Hand drauf haben und Grundstücke kleinteilig vergeben."
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Die Ministerin wirkt gut gelaunt. Die Frage, wie sie aufgewachsen ist, überrascht sie kurz, sie hat ja ihren eigenen Plan für diesen Spaziergang, der jetzt die Bahnstadt ansteuert. Aber dann erzählt sie gerne von Kübelberg in der Westpfalz, dem 1500-Seelen-Dorf ihrer Kindheit. "Ich war ein katholisches Mädchen vom Lande, mein Vater war Hilfsarbeiter, meine Mutter verdiente mit Putzen etwas dazu." Dass sie und zwei ihrer drei Geschwister Abitur machten, als erste in der Familie, schreibt Bauer auch ihren Eltern zu: "Sie wurden im Krieg um ihre Bildung betrogen — und sagten uns: Die Schule ist die einzige Chance für euch."
Die jugendliche Theresia will in Kübelberg etwas auf die Beine stellen. Nicht so einfach, auf dem Dorf. Also macht sie Jugendarbeit in der Katholischen Kirche, trägt mit Anderen alte Möbel in einen Raum, den man ihnen gibt: "Und dann haben wir da ein kleines demokratisches Gebilde geleitet – und viele Konflikte mit den Herrschaften von der Pfarrei ausgekämpft. Ohne diese Erfahrung bin ich als politischer Mensch gar nicht denkbar." Vier Jahrzehnte später leitet Bauer daraus eine Überzeugung ab: "Wir müssen junge Leute mehr machen lassen, ihnen auch mal Räume überlassen, ohne sie immer zu betreuen." Es gebe zu viel Misstrauen gegenüber der Jugend – "auch in Heidelberg".
Hintergrund
Theresia Bauer
> Alter: 57 Jahre
> Parteizugehörigkeit: Die Grünen
> Beruf: Landeswissenschaftsministerin (noch bis 28. September 2022) und Landtagsabgeordnete
> Wohnort: Pfaffengrund
> Aufgewachsen
Theresia Bauer
> Alter: 57 Jahre
> Parteizugehörigkeit: Die Grünen
> Beruf: Landeswissenschaftsministerin (noch bis 28. September 2022) und Landtagsabgeordnete
> Wohnort: Pfaffengrund
> Aufgewachsen in: Kübelberg (Pfalz)
> In Heidelberg seit: 1985
> Familienstand: getrennt, zwei erwachsene Söhne
> Ausbildung: Magisterstudium Politikwissenschaft, Volkswirtschaft und Germanistik (Universität Heidelberg)
> Bisherige Ämter: Landtagsabgeordnete (seit 2001), Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg (2011-2022), Kreisvorsitzende Grüne Heidelberg (2003-2011), Hochschulpolitische Sprecherin, stellvertretende Fraktionsvorsitzende und parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Landtagsfraktion (2001-2011).
Bahnstadt-Promenade, jetzt scheint die Sonne: "Ich war hier mit meiner Mutter, sie ist 86. Es war so heiß, sie ist fast eingegangen." In der Tat stehen alle Bänke "in der prallen Sonne". Kurz darauf am Gadamerplatz: "2017 geplant, vor fünf Jahren, mitten in der Klimakrise. Und was baut man? Einen der heißesten Plätze der Stadt!" Den Umgang Heidelbergs – also Würzners – mit dem Klimawandel findet Bauer "absolut unzureichend": "Wir müssen viel ernsthafter priorisieren, mit richtigen Steuerungsprozessen und einer konsequenten Kontrolle." Die Stadtwerke bräuchten viel mehr Geld, sagt sie, und die städtische Wohnungsgesellschaft auch, für Wärmedämmung.
Aber woher die Millionen nehmen? Bauer antwortet mit einem Seitenhieb auf Würzner: "Zum fünften Mal einen Neckarufertunnel vorzuschlagen, bessert die finanzielle Situation der Stadt jedenfalls nicht." Der Vorschlag von SPD-Kandidat Michelsburg, die B37 an Sommerwochenenden zu sperren, sei "sehr gut", Würzners Tunnel aber "klima- und verkehrspolitisch nutzlos". Es sei nicht die Zeit für Prestigeprojekte: "Wir müssen in die richtigen Sachen investieren, nicht in Nice-to-haves."
Mit dem Leihrad geht es von der Bahnstadt durch die Felder in den Pfaffengrund, wo Theresia Bauer seit über 20 Jahren wohnt – zur Miete in einem Haus. Einst zog sie hier mit ihrem Mann Ubaldo und den zwei Söhnen Pablo (24) und David (27) ein. Das Ehepaar lebt inzwischen getrennt, aber Pablo ist übergangsweise wieder bei ihr eingezogen. "Ich bin nicht der Typ, um alleine in einem großen Haus zu leben." Jahrelang wohnte eine junge Syrerin bei ihr. Per Zufall hatte die Ministerin die Geflüchtete kennengelernt. "Ich hatte Platz, sie zog bei mir ein", erzählt Bauer. Die junge Frau hat in der Stadt Fuß gefasst, wohnt heute ganz in der Nähe. "Zwischen uns hat sich eine tolle Freundschaft entwickelt."
Hintergrund
Mehr zur Heidelberger OB-Wahl 2022 finden sie auf www.rnz.de/obwahlhd.
Mehr zur Heidelberger OB-Wahl 2022 finden sie auf www.rnz.de/obwahlhd.
Es geht jetzt Bauers Joggingstrecke entlang, den Heinrich-Menger-Weg, den im Stadtteil alle "Rentnerweg" nennen. Mindestens drei Mal die Woche läuft sie um die fünf Kilometer. "Ich versuche, dabei nichts zu denken, keine Probleme zu wälzen im Kopf." Manchmal schaffe sie es dabei in einen fast meditativen Zustand.
Angekommen in der "Himmelswiese", dem kleinen Biergartenparadies in der Nähe von Bauers Haus. Die Grünen-Politikerin bestellt ein alkoholfreies Bier und ein Schafskäse-Pfännchen. Aber erstmal holt sie eine Tupperbox voller roter Trauben aus ihrer Handtasche: "Die sind aus meinem Garten, die können wir als Vorspeise essen!" Bauer liebt das Kochen, erzählt sie, aber im OB-Wahlkampf kommt sie kaum noch dazu: "Jetzt mache ich mir abends häufig nur noch einen Smoothie."
Ist der Wahlkampf eine Belastung? Bauer schüttelt den Kopf: "Es macht riesigen Spaß, ich lerne so viel dazu und jeden Tag neue spannende Menschen kennen." Die vier Mal zur Wissenschaftsministerin des Jahres gewählte Politikerin sagt, es sei spannend, nicht mehr alles durch die Fachbrille ihres Ressorts zu sehen: "Das ist wie ein Jungbrunnen für mich."
Und was macht die Frau, die den Heidelberger Grünen-Kreisverband früher mal anführte, in erster Linie aber immer Landespolitikerin war, zum geeigneten Stadtoberhaupt? "Ich kann die verschiedenen Menschen und Interessen in dieser Stadt zusammenführen." Ein anderer Führungsstil sei gefragt. "Wissen Sie, in Stuttgart kam ich in ein 60 Jahre von der CDU geführtes Ministerium, das war eine Herausforderung. Aber das Vertrauen war schnell da." Sie habe die Leute nicht nach dem Parteibuch gefragt, alle mitgenommen. Sie stehe für ein "echtes, konstruktives Miteinander" – darauf könnten sich Gemeinderat, Verwaltung und Bürgerschaft freuen.
Bauer hat binnen zwei Jahrzehnten immer mehr Heidelberger von sich und ihrer Partei überzeugt: Von 15,1 Prozent bei der Landtagswahl 2001 steigerte sie ihr Ergebnis von Wahl zu Wahl auf letztes Jahr 41,7. Doch OB-Wahlen sind anders: Wie sieht sie ihre Chancen gegen den bei vielen beliebten Amtsinhaber? "Mich verblüfft die Stärke der Wechselstimmung", sagt sie. "Viele sagen: 24 Jahre im Amt wären nicht gut, auch Menschen, die Würzner nahestehen. Da ist einfach zu viel angestaubte Routine."
Bauer erinnert an die Bürgerentscheide, die Würzner-Pläne kippten. Er wolle viel zu sehr "mit dem Kopf durch die Wand". Die Bürgerbeteiligung müsse erneuert werden, etwa durch eine Befragungs-App, mit der man "sehr früh Voten einholen und Stimmungen aufnehmen kann".
Und wann kommt Bauers Programm für Heidelberg? "Klar werde ich Leitlinien, Ziele und Schlüsselprojekte vorstellen", sagt sie, aber sie habe keinen fertigen Plan. "Ich bin keine Politikerin, die allen erklärt, wie’s läuft. Ich höre auch zu."
Beim Äußern von Ideen sei sie aber noch aus einem anderen Grund zurückhaltend: "Zurzeit wird ja jede unserer Ideen gekapert." Sie meint: von Würzner. Ein Beispiel sei die Öffnung des Airfields, auf die Grüne und andere Fraktionen gedrängt hatten: "Wie soll ich mir denn sonst erklären, dass das plötzlich doch kurzfristig möglich war?" Jüngst hatten die Grünen Würzner auch bei seinem Tiny-House-Konzept Ideenklau vorgeworfen.
Die Frage, was Würzner gut macht, scheint Bauer provoziert zu haben. Nach dem Mallorca-Hut-Gag ist sie in Fahrt: "Mit seiner Selbst-PR übertüncht er alles, was nicht gut läuft in dieser Stadt." Es gebe zu wenig bezahlbaren Wohnraum, zu wenig Freiräume für junge Menschen – und die Klimabilanz sei viel schlechter als sie "sein könnte", sagt sie. "Er schafft es, dass die New York Times schreibt, in Heidelberg seien Autos nicht willkommen – bremst aber alle Initiativen aus, die dem Fahrrad Vorrang einräumen wollen." Diese "PR-Politik", wie Bauer es nennt, schade Heidelberg: "Die Frage für einen OB darf doch nicht sein: Wo stehen wir im Ranking? Sondern: Welche Probleme müssen wir lösen für die Menschen in dieser Stadt?"
Bauer wirkt aufrichtig empört. Man merkt ihr an, wie viel auf dem Spiel steht für sie – und ihre Partei. Hat sie Angst vor einer Niederlage? "Nein." Monatelang habe sie geprüft, ob sie diese Kandidatur wirklich wolle. "Ich habe es mit allen Facetten durchdacht", sagt sie, "und dann voller Überzeugung entschieden – aus Liebe zu dieser Stadt."
Die 57-Jährige steigt schwungvoll aufs Rad, auf zum nächsten Termin. Dass die Verpflichtungen im Ministerium Ende September enden, das sei schon eine Entlastung, sagt sie noch. "Ich freue mich auf 100 Prozent Heidelberg."