Von Roland Muschel, RNZ Stuttgart
Stuttgart. Günther Oettinger sagt, er finde das Bild "treffend". Es sei "eine sinnbildliche Darstellung, dass in der Politik auch scharf geschossen wird". Auf keinen Fall aber sei es eine Anspielung auf seinen Vorgänger oder seinen Nachfolger.
Der EU-Kommissar ist zurück an alter Wirkungsstätte. Im Stuttgarter Staatsministerium wird sein Porträt enthüllt, für die Ahnengalerie der baden-württembergischen Regierungschefs. Es zeigt ihn stehend, mit ernstem, entschlossenen Gesichtsausdruck, den Betrachter fixierend. Auf Kopfhöhe, leicht versetzt, hat die Künstlerin ein Einschussloch gezeichnet. "Tatort Baden-Württemberg: knapp daneben, gesundgeblieben, aber doch angreifbar gewesen", sagt der 62-Jährige.
Als wäre der Termin nicht schon Politikum genug. Als hätte die Tatsache, dass Oettinger die Enthüllung des Bildes jetzt, wenige Wochen vor der Wahl, ausgerechnet mit dem grünen Regierungschef Winfried Kretschmann zelebriert und der mit ihm, nicht schon genügend Interpretationsspielraum geboten.
Kretschmanns rote Koalitionspartner waren jedenfalls nicht amüsiert, als sie von der Veranstaltung hörten: Eine bildreiche Umarmung der Beinahe-Koalitionspartner von 2006 wenige Wochen vor dem Urnengang am 13. März 2016, dessen Ergebnis den Umfragen zufolge ja eben Schwarz-Grün sein könnte.
Dabei hatte SPD-Spitzenkandidat Nils Schmid den Grünen erst jüngst zugerufen, dass sie sich ruhig stärker zur Fortführung der gemeinsamen Koalition bekennen könnten. Nun der Termin mit Oettinger, und das zeitgleich zu einer von Schmid weit früher angemeldeten Pressekonferenz, die bei dieser Konkurrenz medial untergeht.
Dass Kretschmann an diesem Morgen eine schwarz-grün-gestreifte Krawatte trägt, passt ins rotgefärbte Bild. In seiner Laudatio erinnert der 67-Jährige daran, dass Oettinger und er 2006 über ein schwarz-grünes Bündnis verhandelt hätten. "Der, der es verhindert hat, wird dereinst zwischen uns hängen", sagt er mit Blick auf den damaligen CDU-Fraktionschef und späteren Kurzzeitregierungschef Stefan Mappus. Die "List der Geschichte" aber sei es, dass er 2011 an Mappus’ Stelle Regierungschef geworden sei. "Sonst könnten wir dann nicht nebeneinanderhängen." Frühestens nach 2021, schiebt er hinterher.
Bei der erst jüngst abgeschlossenen Renovierung der Villa Reitzenstein, sagt Oettinger, hätten die Grünen "nicht gekleckert, sondern geklotzt". Das hätte sich die CDU so nicht getraut. "Es wäre schade, wenn man jetzt ausziehen müsste", zieht er den Grünen auf.
Er sei mit Kretschmann befreundet, hat Oettinger kürzlich das Publikum bei einem CDU-Neujahrsempfang vor den Toren Stuttgarts wissen lassen. Der sei "charakterlich integer". Und: "Kretsch᠆mann ist konservativer als jeder hier im Saal." Aber nun gönne er ihm einen "langen und erfüllten Ruhestand".
Noch führen CDU und Grüne ja gegeneinander Wahlkampf. Auch wenn Oettinger wie Kretschmann beteuern, das sie bei der Terminierung der Porträt-Enthüllung den 13. März nicht im Blick hatten, stellt sich die Frage, welcher Seite sich davon mehr versprechen darf. Kretschmann hat an Schwarz-Grün kein Interesse mehr; die alte Wunschkoalition wäre jetzt sein Ende als Regierungschef. Das wäre, aus grüner Sicht, ein List der Geschichte zu viel. Den Saboteuren der Sondierungsgespräche vor zehn Jahren nochmal vorzuführen, was sie letztlich davon hatten, gefällt Kretsch᠆mann gleichwohl. Unter Oettinger, führt er genüsslich aus, sei für die CDU ein Wahlziel von 40 Prozent plus X noch realistisch gewesen.
Von Freigeist Oettinger darf man annehmen, dass er den Termin mit CDU-Spitzenkandidat Guido Wolf nicht abgesprochen hatte. Für die Schwarzen, die sich im Gegensatz zu 2011 eine Koalition mit den Grünen offenhalten, ist es gleichwohl eine schöne Geschichte: Sie können damit suggerieren, dass die Grünen zwar wortreich gegen die CDU schießen, im Fall des Falles aber wenig Berührungsängste hätten.
Bleibt die Botschaft des Porträts nebst Einschussloch. Die Kunst-Professorin Anke Doberauer sagt über ihr Werk, es solle auch ein "Spiegel der Zeit" sein, einer Zeit des Terrors. "Als einflussreicher Politiker ist man Zielscheibe, angreifbar." Das Einschussloch war ihre Idee, Oettinger hat das Bild vor wenigen Tagen erstmals gesehen.
Dass man es als Anspielung auf politische Heckenschützen deuten könnte, wo ihm Vorgänger Erwin Teufel und Nachfolger Stefan Mappus jeder auf seine Weise das Regieren schwer gemacht haben, ist allen bewusst. Kretschmann sei deswegen "unruhig" gewesen, spottet Oettinger. Er ist es offenbar nicht. Er hat schon mehr überstanden als weitgehende Interpretationen.