Krisengipfel Gas

Kretschmann appelliert an die "Schwarmintelligenz"

Die Regierung einigt sich beim Krisengipfel auf ein Energiespar-Programm.

26.07.2022 UPDATE: 26.07.2022 06:00 Uhr 2 Minuten, 56 Sekunden
Gasgipfel im Neuen Schloss: Mannheims Oberbürgermeister Peter Kurz als Präsident des Städtetags Baden-Württemberg, Innenminister Thomas Strobl (CDU), Ministerpräsident Winfried Kretschmann. Umweltministerin Thekla Walker (beide Grüne), EnBW-Vorstandschef Frank Mastiaux, IHK-Vizepräsident Christian Erbe und Handwerkspräsident Rainer Reichhold. Foto: Murat

Von Jens Schmitz, RNZ Stuttgart

Stuttgart. Die grün-schwarze Landesregierung hat bei einem "Krisengipfel Gas" am Montag zusammen mit Vertretern aus Kommunen, Wirtschaft und Verbänden eine kurzfristige Energiespar-Initiative beschlossen. Das Land selbst will in öffentlichen Behörden und Einrichtungen den Wärme- und Stromverbrauch senken.

"Der russische Angriffskrieg bedroht nicht nur die Ukraine, sondern auch uns", heißt es in einer gemeinsamen Erklärung, die gut 40 Vertreter von Politik und verschiedenen Interessengruppen im Stuttgarter Neuen Schloss verabschiedet haben. Die Gaslieferungen aus Russland würden als Waffe genutzt, um in Deutschland im Winter Versorgungslücken und eine Wirtschaftskrise herbeizuführen. "Wir lassen uns jedoch nicht erpressen und auseinandertreiben."

Land, Kommunen, Arbeitgeber und Gewerkschaften, Handwerk und Energieversorger, Wohlfahrtsverbände und Verbraucher wollen ein kurzfristig wirksames Sparprogramm umsetzen und Vorsorge treffen, um die kritische Infrastruktur stabil zu halten. "Zugleich arbeiten wir mit Hochdruck daran, den Ausbau der erneuerbaren Energien weiter zu beschleunigen."

Der "Krisengipfel Gas", den Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) medienwirksam einberufen hatte, stand unter dem Motto "Baden-Württemberg rückt zusammen"; er sollte nicht zuletzt dazu dienen, "Solidarität in ein Bild zu gießen", wie EnBW-Chef Frank Mastiaux erklärte. Schon bei der Begrüßung dankte Kretschmann seinen Gästen "für dieses Signal der Geschlossenheit". Zu den Teilnehmern gehörten auch die Chefs der Landtags-Opposition.

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Das Programm reduziere den Kostendruck, heißt es im verabschiedeten Dokument; im Fall einer Notlage werde das aber nicht ausreichen. Die Teilnehmer appellieren deshalb an den Bund, Hilfen für bedürftige Privathaushalte, Kommunen oder Unternehmen bereitzustellen.

"In ihrem eigenen Wirkungsbereich verpflichten sich die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner aktiv für weniger Energieverbrauch und mehr Energieeffizienz einzusetzen", heißt es in dem Papier weiter. Das Dokument enthält auch einen Appell an die Bürger: "Unterstützen Sie uns und helfen Sie mit, Energie zu sparen. Jede Kilowattstunde zählt!!"

Bei Außentemperaturen von deutlich über 30 Grad im Schatten war der Konferenz-Saal im Neuen Schloss am Montag klimatisiert. Künftig soll aber ein Fünf-Punkte-Plan in Behörden und Einrichtungen des Landes Energie sparen. "Wir stellen Klimaanlagen grundsätzlich ab, abgesehen von extremen Hitzetagen", heißt es darin beispielsweise. Im Winter sollen Räume maximal auf das gesetzliche Minimum beheizt werden; zugleich will das Land beim Bund dafür werben, dass Arbeitgeber die Raumtemperatur "im Einzelfall" auf 18 Grad absenken können.

Der zweiseitige Maßnahmenkatalog ist nach den Aspekten Wärme, Vorsorge, Strom, Homeoffice und Sharing-Strategien sowie Information unterteilt. Unter anderem sollen die Bürger "Energiesparbüchle" erhalten. "Das geht jetzt eben nur, wenn man aus Peanuts ’ne große Nuss macht", erklärte Kretschmann zum Sinn auch kleinerer Einsparungen. Unter dem Schlagwort "Cleverländ – zusammen Energie sparen" plant das Land nach der Sommerpause eine Kampagne. Maßnahmen auf kommunaler Ebene wie etwa bei Schwimmbädern wollen die jeweils vor Ort Verantwortlichen erarbeiten.

Zu Beginn der nichtöffentlichen Besprechung hatte der zugeschaltete Präsident der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, Szenarien für unterschiedliche Gas-Bestände präsentiert. Kretschmann zeigte sich nach der dreistündigen Runde zuversichtlich, dass das Land gut durch den Winter komme, wenn es gelinge, jetzt 20 Prozent weniger Gas zu verbrauchen. Man brauche nun Schwarmintelligenz. "Spare in der Zeit, dann hast du in der Not", appellierte Energieministerin Thekla Walker (Grüne). Innenminister Thomas Strobl (CDU) erklärte aber auch: Bei Erreichen der nächsten Alarmstufe werde es zu harten Maßnahmen mit Ge- und Verboten kommen. Er wies darauf hin, dass Bund und Länder in Baden-Württemberg schon 2018 das Szenario eines Gasmangels mit gleichzeitigem Cyberangriff geübt hätten. Beim Chef der Bundesnetzagentur habe man den Anspruch auf Gleichbehandlung bei der Gasverteilung noch einmal "klar und deutlich" hinterlegt.

Die Präsidenten von Städte-, Gemeinde- und Landkreistag begrüßten die Initiative. Es bedürfe eines koordinierten und strukturierten Vorgehens. Rainer Reichhold, Präsident des Baden-Württembergischen Handwerkstages, und Christian Erbe, Vizepräsident des Baden-Württembergischen Industrie- und Handwerkskammertages, betonte, die Gesellschaft könne die Krise nur solidarisch überstehen.

FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke dagegen betonte am Abend, durch die neue Lieferdrosselung Russlands sei der Gipfel schon wieder überholt. "Kretschmanns 20-Prozent-Einspar-Rechnung basierte auf einer 40-Prozent-Lieferannahme durch Putin. Mit dieser Halbierung wird nun klar, dass durch homöopathische Einsparungen allein eine Gasmangellage nicht verhindert werden kann." Er forderte, die Gasverstromung zu beenden und durch eine AKW-Laufzeitverlängerung zu ersetzen.


Runter vom Gas? Verbraucher können mit einer Anwendung im Internet überprüfen, wie weit sie beim Gassparen sind. Die EnBW-Tochter Netze BW hat einen "Gastacho" entwickelt, den auch Nicht-Kunden nutzen können. Damit kann man die Daten und Zählerstände des letzten Abrechnungszeitraums eingeben sowie den aktuellen Zählerstand. Dann wird berechnet, ob man zuletzt mehr oder weniger Gas verbraucht hat. Das Ergebnis wird mit Hilfe einer farblich abgestuften Tachoscheibe dargestellt. Der Gas-Tacho diene nur zur Orientierung und sage keine Kosten voraus, so EnBW.

Infowww.netze-bw.de/gastacho 

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