Kleistarchiv, Literaturhaus oder beides?
Stadt Heilbronn muss einen Nachfolger für das renommierte Institut finden, außerdem neue Räume und auch eine neue Ausrichtung

So skizziert das Wiener Architekturbüro Maresch van Laere die Möglichkeit, das Haus von Jürgen Stein in der Kirchbrunnenstraße umzubauen, um Platz für das Kleist-Archiv oder ein Literaturhaus zu schaffen. Der Büro-Inhaber ist mit Stein befreundet und Schüler des berühmten Architekten Hans Hollein. Visualisierung: Maresch van Laere
Von Brigitte Fritz-Kador
Heilbronn. Am 6. September erhielt eine Reihe von Heilbronner Gemeinderäten "dicke" Post. Es war ein "Abschiedsgeschenk" von Günther Emig an sie. Der Direktor des Kleistarchivs Sembdner in Heilbronn (KLAS) war wenige Tage zuvor in den Ruhestand gegangen. Seither ist das Archiv geschlossen. Einen Nachfolger für Emig zu suchen, hatte man nicht als dringlich erachtet. In den umfänglichen Schreiben legte Emig nochmals dar, warum man das KLAS der Partner- und Kleist᠆stadt Frankfurt/Oder als Dauerleihgabe überlassen sollte. Dort wäre die wissenschaftliche Arbeit vor allem auch dank entsprechender Personalausstattung möglich.
Emigs Plädoyer dafür war auch eines in eigener Sache. Er befürchtet, dass die unzweifelhafte wissenschaftliche Reputation des KLAS durch eine inzwischen bekannt gewordene Neuausrichtung auf dem Spiel steht. Emig verantwortetet in seiner nahezu 30-jährigen Tätigkeit für das KLAS neben ausgiebiger Forschung und Dokumentation auch eine Vielzahl von oft hochgelobten Veröffentlichungen. Genau dies aber wurde ihm zum Abschied von der Verwaltung und von Teilen des Gemeinderates zum Vorwurf gemacht. Die genauso wertvolle publizistische Tätigkeit des Stadtarchivs wird hingegen mit Lob bedacht. Das konnte man schon vor und nun auch nach Emigs Ausscheiden in Blättern wie der FAZ, der Süddeutschen oder auch dem Staatsanzeiger nachlesen.
Entgegen erster Vorbehalte sprachen sich Oberbürgermeister Harry Mergel und Kulturdezernentin Agnes Christner doch dafür aus, das KLAS in Heilbronn zu behalten und es nunmehr neu aufzustellen, inhaltlich und örtlich. Die bisherigen Räume im K3 gehen an die Erweiterung der Stadtbibliothek. Wie es inhaltlich weiter gehen soll, zeigt die Ausschreibung, die zunächst als "öffentliche" angekündigt war, jetzt aber eine interne ist, ohne dass die Gründe dafür kommuniziert würden. Dabei steht, eben "intern", der künftige Direktor, ein Literaturwissenschaftler, schon längst fest.
Hintergrund
Hintergrund Kleist-Archiv
Schon 2012 hatte sich Emig an die Verwaltung wegen der Zukunft des Kleist᠆Archivs gewandt. Vor seinem Ruhestand schrieb er OB Mergel, dass er den Gemeinderat nie als "Verhinderungsinstanz" gesehen habe und: "Ihr Problem ist
Hintergrund Kleist-Archiv
Schon 2012 hatte sich Emig an die Verwaltung wegen der Zukunft des Kleist᠆Archivs gewandt. Vor seinem Ruhestand schrieb er OB Mergel, dass er den Gemeinderat nie als "Verhinderungsinstanz" gesehen habe und: "Ihr Problem ist die Sammlung. Sie ist die Achillesferse, mit der Sie langfristig leben müssen, wenn Sie sie jetzt nicht befriedigend lösen. Die Sammlung muss laut Vertrag betreut werden, und das frisst leider sehr viel Arbeitszeit, ohne dass ein erkennbarer Nutzen entsteht. Wenn Sie diese Aufgabe schleifen lassen, gibt es irgendwann Prügel. Also geben Sie die einfach weg und machen daraus noch eine großherzige Gabe und eine Huldigung an den Dichter, für die Sie sich feiern lassen. - So macht man das!" (bfk)
Die Ausschreibung lautet auf "Betreuung der Sammlung Sembdner, Veranstaltungen/neue Formate, in Heilbronn, aber auch überregional breitere Verankerung, Einbindung in weitere kulturelle Angebote in Heilbronn, Projektkonzepte/Drittmittelakquise, Profilierung außerschulischer Bildungsangebote vor allem im literarischen Bereich." Das liest sich gut, dennoch war und ist die "überregional breite Verankerung" des KLAS schon längst breiter als in der Stadt selbst, und Veranstaltungen unterblieben seit Jahren, unter anderem, weil man die Räume aus Brandschutzgründen sperrte - und zwar alternativlos.
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"Betreuung der Sammlung" bedeutet wohl, dass es keine Forschungs- und Dokumentationsarbeit mehr geben wird. Mit dieser Ausschreibung wird eine Profilierung des KLAS erstens nicht einfach sein und zweitens auch von der Personalausstattung und sonstigen Mitteln abhängen. Und "Drittmittelakquise" heißt nichts anderes als betteln gehen.
Doch es gibt auch einen Glücksfall: Der in Heilbronn geborene und in Wien lebende Literaturwissenschaftler Dr. Jürgen Stein besitzt ein Haus in der Kirchbrunnenstraße, schräg gegenüber der Kilianskirche. Er möchte, dass hier auf Dauer "etwas mit Literatur" gemacht wird, könnte es sich als neuen Ort für das KLAS ebenso vorstellen wie als "Literaturhaus". Ein solches hat OB Mergel schon lange versprochen, verfolgt die Idee auch weiter. Das Haus ist nicht besonders groß, wäre für die Zwecke aber ausreichend aus- und umzubauen, wenn man dafür Geld in die Hand nähme.
Stein war mit seiner Idee schon bei Mergel und beim Baurechtsamt. Was er auf dem Rathaus als Antwort bekam, geht in die Richtung "vielleicht". Wenn ein solches Angebot eingeht - zumal in dieser Lage und von einem Heilbronner kommend, dessen finanzielle Ambitionen weit hinter den ideellen stehen -, dann darf der Bürger erwarten, dass die Machbarkeit ernsthaft geprüft wird und man sich damit nicht allzu lange Zeit lässt.
Ein possenähnliches Vorkommnis zum KLAS gab es dieser Tage im Gemeinderat. Finanzbürgermeister Martin Diepgen hatte die gesamte Verwaltung um Sparvorschläge gebeten, nun lag die Liste dazu vor. Auf ihr stand unter anderem die komplette Streichung des KLAS (230.000 Euro im Jahr), und dies, nachdem sich OB und Kulturdezernentin schon für dessen Verbleib und Erhalt ausgesprochen hatten. Politische Unterstützung dafür gibt es vor allem in den Reihen der FDP.



