Heilbronn

Harald Lesch und das Merlin-Ensemble in der "Experimenta"

Wie man mit Kunst und Kenntnis der Katastrophe begegnet, erfhrt man in der Lehrstunde und Sternstunde zum Klimawandel.

09.02.2022 UPDATE: 10.02.2022 06:00 Uhr 2 Minuten, 7 Sekunden
Der Wissenschaftler und Moderator Harald Lesch (Mitte) und das Merlin-Ensemble brachten dem Publikum in der „Experimenta“ die Klimakatastrophe und ihre Folgen auf ungewöhnliche, aber eindringliche Weise näher. Foto: „Experimenta“

Von Brigitte Fritz-Kador

Heilbronn. Als Antonio Vivaldi im Jahr 1725 in Venedig sein längst zum Klassik-Hit gewordenes Concerto grosso "Die vier Jahreszeiten" schrieb, wollte er unterhalten, erfreuen und vielleicht auch vom Frieren ablenken. In jenen Jahren der abklingenden "Kleinen Eiszeit", sie dauerte vom 15. Jahrhundert bis ins 19. Jahrhundert, brauchte man das auch in der ebenfalls zugefrorenen Lagunenstadt – und heute auch in Heilbronn. Das "Immer-wieder-Bewusstmachen" der Klimaveränderung und ihrer Gefahren – wer könnte das besser als Professor Harald Lesch (ZDF Nano; Leschs Kosmos), der weiß, wie man Menschen anspricht und Wissenschaft erklärt?

Wenn ihm zur Seite noch das renommierte Merlin-Ensemble aus Wien mit seinem Primarius Hans Walch steht, wenn sich Musik – das Element der Empfindung – und die Wissenschaft – als unbestechliche Faktenlieferantin – zusammenfinden, dann ist etwas Besonderes zu erwarten. Bei allen drei Auftritten war der "Science Dome" der "Experimenta" ausverkauft. Und säße man in dessen Sesseln nicht so bequem, es hätte einen vom Stuhl hauen können.

Aus ihrem gemeinsamen Auftritt, aus Wort und Musik, wurde eine stimmige Darbietung, die ohne den erhobenen Zeigefinger und Dirigierstab auskommt. Diese Dualität hatte auch eine gut durchdachte Dramaturgie. Das Publikum – nachdenklich gemacht, berührt und aufgestört von Leschs manchmal fast poetischen, oft auch mit bitterer Ironie oder einer Prise Humor gewürzten Texten – wurde zugleich eingefangen und glücklich gemacht von der hohen und unmittelbaren Musizierkunst des Merlin-Ensembles. Und diese Dualität trug bis in die letzte Minute hinein. Der "Science Dome", sparsam, aber in effektvoller Lichtregie in den Jahreszeiten-Farben ausgeleuchtet, ist ein guter Ort für solche Veranstaltungen – und war auch diesmal der richtige.

Mit kongenial aufeinander abgestimmten Akteuren fing das Jahr musikalisch mit dem Frühling an – und mit Leschs Schilderung von der Entstehung der Erde. Die folgende physikalische Lehr- und Lernstunde und die musikalische Sternstunde – natürlich spielten hier neben "Mutter Erde" auch die Planeten, die Sonne und der Mond ihre erdgeschichtliche Rolle – verging wie im Flug.

Auch interessant
Experimenta Heilbronn: Premiere von "Schwarze Schwäne" im Science Dome
Science & Theatre: Das Wissenschaftstheater geht in die zweite Runde
Eberbach/Heilbronn: Ein alter Schiffsbauch lädt ein, die Welt neu zu entdecken

Walchs Interpretation der "Jahreszeiten", mit den von ihm so fantastisch ins Publikum hineingespielten Solopassagen, mit einem kongenialen Ensemble, das zeigte auch: Jede Generation nimmt Musik anders wahr. Da gab es keinen Perückenstaub, das war "Vivaldi modern": fetzig, nicht nur im Donnergrollen des Gewitters und in der flirrenden Hitze des Sommers. Radikal ließ Walch den Geigenbogen in Satellando-Technik auf die Saiten schlagen, gläsern hart in der Eiseskälte des Winters, unbeschwert bei den Erntefeiern und zum Dahinschmelzen, wäre dieses Wort aktuell nicht so gefährlich, wie im Largo e pianissimo des Frühlings – und das alles immer weit entfernt davon, nur im verführerischen Schönklang des Werkes aufzugehen.

Walchs kurzer Textbeitrag zu den Instrumenten war mehr als ein historischer Gag: Er spielt auf einer Violine aus Venedig, 322 Jahre alt; das Instrument von Cellist Luis Zorita ist noch älter, es kommt aus Brescia, "Baujahr" 1675. Aber woher kommt ihre einmalige Klangqualität? Es ist auch das Holz, besonders langsam gewachsen in der "Kleinen Eiszeit".

Die Sonne als der größte aller Kernfusionsreaktoren, Epochen, die sich in Milliarden von Jahren definieren, Regen, der als der "Terrorist von heute" gelten kann, das "Brennglas-Phänomen", unter dem die Klimakatastrophe entsteht, aber nicht betrachtet wird. Außerdem 32 Grad im Frühsommer im "eisigen" Sibirien, statt Schnee an Weihnachten nur Regen in Spitzbergen, und der Mount Everest, der jedes Jahr messbar kleiner wird, während die Meeresspiegel steigen – Lesch zählt auf, belegt alles mit Fakten, schildert es so, dass man sich die Anklage dazu selber denken kann, und sagt zum Schluss: "Mit der Natur kann man nicht verhandeln!"

(Der Kommentar wurde vom Verfasser bearbeitet.)
(zur Freigabe)
Möchten sie diesen Kommentar wirklich löschen?
Möchten Sie diesen Kommentar wirklich melden?
Sie haben diesen Kommentar bereits gemeldet. Er wird von uns geprüft und gegebenenfalls gelöscht.
Kommentare
Das Kommentarfeld darf nicht leer sein!
Beim Speichern des Kommentares ist ein Fehler aufgetreten, bitte versuchen sie es später erneut.
Beim Speichern ihres Nickname ist ein Fehler aufgetreten. Versuchen Sie bitte sich aus- und wieder einzuloggen.
Um zu kommentieren benötigen Sie einen Nicknamen
Bitte beachten Sie unsere Netiquette
Zum Kommentieren dieses Artikels müssen Sie als RNZ+-Abonnent angemeldet sein.