Von Köln bis Freiburg – Zur Debatte um sexuelle Gewalt
Sexualstraftaten lösen immer wieder erbitterte Diskussionen aus, vor allem wenn Migranten beteiligt sind. Das BKA hat bei diesen Delikten eine Zunahme registriert. Experten nennen eine Vielzahl von Gründen.

Von Thomas Burmeister
Freiburg. Ganze Gruppen von Männern, die sich an Frauen vergehen: Nach dem "Silvesterschock" von Köln vor fast drei Jahren sind auch andere Orte in Deutschland Schauplatz von aufsehenerregenden Sexualstraftaten geworden: von Belästigungen, Nötigungen, Vergewaltigungen und sogar Morden. Die Verunsicherung, die gerade Fälle mit Migranten als Täter auslösen, ist groß. Bei Frauen, bei ihren Angehörigen und auch in der Gesellschaft insgesamt.
Jetzt ist die mutmaßliche Gruppenvergewaltigung einer 18-jährigen Studentin nach einem Disco-Besuch in Freiburg in den Schlagzeilen. Acht Männer sitzen in Untersuchungshaft, sieben Syrer und ein Deutscher. Und in München sind fünf Verdächtige in U-Haft: Dort soll es um ein Sexualverbrechen an einer Jugendlichen gehen. Die Behörden halten sich wegen der laufenden Ermittlungen äußerst bedeckt zu dem Fall und sagen auch nichts zur Nationalität der Verdächtigen. Medienberichten zufolge soll es sich um Ausländer handeln.
Eines ist allen Fällen mit Tatbeteiligung von Migranten gleich: Beinahe reflexartig wird die Frage gestellt, ob Zuwanderer Sexualstraftaten häufiger begehen als Einheimische. Dabei gab es zuletzt auch spektakuläre Fälle von Gruppenvergewaltigung mit deutschen Verdächtigen und Tätern, etwa im Ruhrgebiet und in Hamburg.
Die meisten in der Polizeilichen Kriminalstatistik 2017 erfassten mutmaßlichen Sexualstraftäter sind Deutsche. Insgesamt wurden 39.829 mutmaßliche Sexualstraftäter erfasst - unter ihnen 11.439 Nichtdeutsche. Das entspricht einem Anteil von 28,7 Prozent.
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Experten blicken differenziert auf die Lage. Zwar weisen Statistiken des Bundeskriminalamtes eine Zunahme der von Zuwanderern begangenen Sexualstraftaten aus: 2017 wurden demnach 5258 Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung erfasst, bei denen mindestens ein Zuwanderer als Tatverdächtiger ermittelt wurde - das waren 1854 mehr als im Jahr 2016. "Aber man muss berücksichtigen, dass die Reform des Sexualstrafrechts statistisch zu höheren Fallzahlen geführt hat", gibt Bundeskriminalamt-Sprecherin Sandra Clemens zu bedenken.
Die 2016 in Angriff genommene Reform war auch eine Reaktion auf die erschreckenden Silvesternacht-Übergriffe am Fuße des Kölner Doms. Nach dem Grundsatz "Nein heißt Nein" macht sich jemand nun nicht erst dann strafbar, wenn er Sex mit Gewalt oder Gewaltandrohung erzwingt. Als Straftaten erfasst - und wo immer möglich auch geahndet - werden heute auch Formen sexueller Belästigung wie das Begrapschen von Körperteilen, insbesondere wenn dies aus einer Gruppe heraus erfolgt. Die Fallzahlen sind dadurch generell gestiegen.
Lässt man aus der Statistik jene Fälle sexueller Belästigung heraus, die bis 2016 noch unter "sonstige Straftatbestände" erfasst wurden, ergibt sich für das Jahr 2017 eine Gesamtzahl von 3597 Sexualdelikten unter Beteiligung von Zuwanderern - und damit eine vergleichsweise geringere Steigerung um 193 Fälle im Vergleich zu 2016. Eine Vergleichszahl der Delikte mit Deutschen als Beteiligten, die um die nach der Stzrafrechtsreform zusätzlich erfassten Fälle bereinigt ist, liegt nicht vor.
Unter den 2017 ermittelten nichtdeutschen Verdächtigen bei Sexualstraftaten kamen den Angaben zufolge 12,6 Prozent aus Syrien, 10,7 Prozent aus Afghanistan und 10,6 Prozent aus der Türkei.
Nichtdeutsche seien bei Sexualdelikten im Vergleich zu ihrer Beteiligung an der sonstigen Kriminalität überproportional vertreten, hat im vergangenen Jahr Professor Jörg Kinzig, Direktor des Tübinger Instituts für Kriminologie, erklärt: "Das kann Sorgen machen."
Aber woran liegt das? Sind Flüchtlinge krimineller, sind sie stärker frauenfeindlich, brutaler sexualisiert? "Für die Beurteilung ist ein Faktum wichtig, das von der AfD gemieden wird wie die Pest", sagt der Kriminologe Professor Christian Pfeiffer. "Die Anzeigequote bei Sexualdelikten ist deutlich höher, wenn es sich bei den Tätern um Fremde handelt." Ein Grund dafür seien unterschwellige Ängste und Bedrohungsgefühle. "Das ist ein internationales Phänomen, in jedem Land der Welt werden Fremde eher angezeigt als Einheimische."
Experten verweisen auch darauf, dass unter Flüchtlingen der Anteil junger Männer etwa drei Mal so hoch sei wie in der einheimischen Bevölkerung. Zudem - so Pfeiffer - herrsche in islamisch-konservativ geprägten Ländern "eine schlichte Macho-Kultur vor, die wir ungewollt importieren". Jungen Männern aus solchen Ländern sei vermittelt worden, "dass Frauen sich zu fügen haben".
Ein Patentrezept haben die Experten nicht. Aber einen wichtigen Schlüssel sehen sie in der Bildung: "Sprachkurse müssen immer zugleich Kulturkurse sein", sagt Pfeiffer. "Es muss diesen Kerlen von vornherein klar gemacht werden, dass Frauen bei uns selbstbestimmt und gleichberechtigt sind."
Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Annette Widmann-Mauz, fordert, Asylbewerber über Sexualität und Gleichberechtigung in Deutschland zu informieren. Dazu gehöre auch, dass es für sexuellen Missbrauch und andere Gewalttaten null Toleranz gibt, sagte die CDU-Politikerin dem RedaktionsNetzwerk Deutschland.
Und was ist mit den anderen Tätern? "Ganz egal, aus welcher Religion sie kommen, müssen die Männer lernen, ihr Aggressionspotenzial zu regulieren", hat die Psychologin Maggie Schauer von der Universität Konstanz bereits 2017 gesagt.