Wie haben es die Bayern mit G9 gemacht?
Alle reden von der Rückkehr zum neunjährigen Gymnasium. Das Nachbarland hat gerade das letzte G8-Abi hinter sich gebracht.

Von Tanja Wolter, RNZ Stuttgart
Stuttgart. Nach langem Zögern vollzieht im Schuljahr 2025/26 auch Baden-Württemberg die Abkehr vom Turbo-Abitur. Wer dann von der Grundschule auf ein allgemeinbildendes Gymnasium wechselt, wird in der Regel erst nach neun Jahren das Abitur machen.
Mehrere andere Bundesländer sind diesen Schritt bereits gegangen, darunter Bayern. Beim Nachbarland, mit dem sich Baden-Württemberg gerne vergleicht, ging in diesem Jahr das letzte G8-Abitur über die Bühne.
Die Erfahrungen im Freistaat sind bisher überwiegend positiv: "Die Rückmeldungen aus den bayerischen Schulen zeigen, dass der Aufwuchs des neunjährigen Gymnasiums gründlich durchdacht und die erforderlichen Umsetzungsschritte gut und langfristig vorbereitet wurden", teilte das bayerische Kultusministerium auf Anfrage mit. Auch der Bayerische Philologenverband (bpv) ist mit der Umsetzung an sich zufrieden.
"Nach der politischen Entscheidung hatten wir einen sehr guten Dialogprozess, in den Lehrkräfte, Schüler, Eltern und Verbände eingebunden waren", betont der bpv-Vorsitzende Michael Schwägerl gegenüber unserer Redaktion. Ein Vergleich beider Länder zeigt, wo die Gemeinsamkeiten und Unterschiede liegen:
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Zeitrahmen
In Baden-Württemberg wurde das G8 vor 20 Jahren eingeführt, die ersten G8-Abiturienten verließen 2012 die Schule. Im Schuljahr 2025/26 wird das Rad nun zurückgedreht, zunächst in den Klassen 5 und 6. Das letzte G8-Abi findet 2031 statt, das erste G9-Abi 2033. Bayern hatte das G8 ebenfalls 2004/05 eingeführt, die Rückkehr zu G9 wurde aber bereits 2017 beschlossen und dann ab 2018/19 umgesetzt.
Nach dem letzten G8-Abi in diesem Jahr gibt es im neuen Schuljahr nur Abi-Prüfungen für Durchgefallene vom Vorjahr, für "Überspringer" und für Schüler aus früheren G9-Pilotschulen. Das Kultusministerium geht von rund 5000 Teilnehmern aus. 2026 folgt der Umstieg auf das G9-Abi.
Verkürzung
Baden-Württemberg will es den Gymnasien überlassen, ob sie neben dem G9 weiterhin einen G8-Zug anbieten wollen. Die Grundsatzentscheidung soll schon beim Übertritt von der Grundschule erfolgen. Wie groß die Nachfrage sein wird, ist noch völlig offen.
Bayern hat dagegen eine "Überholspur" geschaffen, damit leistungsbereite Schülerinnen und Schüler auf acht Jahre verkürzen können. Die Vorentscheidung fällt in Klasse 8, in der neunten und zehnten Klasse erhalten die Teilnehmer dann eine zusätzliche Förderung. Ziel ist, dass sie die Jahrgangsstufe 11 überspringen können.
Laut Kultusministerium haben das Angebot im vergangenen Schuljahr insgesamt 4.300 Schüler wahrgenommen, die Nachfrage liegt damit bei knapp sechs Prozent. Ersten Erfahrungen zufolge nutzen nicht wenige Schüler die gewonnene Zeit lieber für ein Auslandsjahr, statt das Abitur vorzuziehen.
Inhalte
In Baden-Württemberg geht mit der Rückkehr zu G9 die Einführung neuer "Innovationselemente" einher. In der Unterstufe werden Deutsch, Mathe und die erste Fremdsprache gestärkt. Im MINT-Bereich soll in den Klassen 7 bis 11 das neue Pflichtfach Informatik/Medienbildung den Stundenplan bereichern, außerdem gibt es mehr Physik und Chemie.
Auch in Demokratiebildung wird mehr Zeit investiert, und in die berufliche Orientierung. Die meisten Innovationselemente sollen auch in den G8-Zug eingearbeitet werden, heißt es.
Bayern hat dagegen weitgehend am früheren Unterricht festgehalten, diesen neu geordnet und mehr Zeit für Vertiefungen oder Projekte eingebaut. Außerdem wurde der Informatikunterricht in Klasse 11 zum Pflichtfach. Der Nachmittagsunterricht wurde reduziert.
Voraussetzung
In Baden-Württemberg wird die Grundschulempfehlung neu geregelt. Entscheidend sind künftig Durchschnittsnoten in Klasse 4 mitsamt Einschätzung der Lehrkräfte, eine Kompetenzmessung (Kompass 4) und der Elternwille. Zwei der drei Bedingungen müssen erfüllt sein, um aufs Gymnasium wechseln zu dürfen. Ist dies nicht der Fall, kann als letzte Chance noch ein Potenzialtest absolviert werden.
In Bayern bilden ebenfalls Noten und eine Einschätzung der Grundschule die Basis. Ist der Notendurchschnitt in Deutsch, Mathe sowie Heimat- und Sachunterricht schlechter als 2,33, können Kinder noch an einem Probeunterricht mit Tests teilnehmen, um die Hürde doch noch zu überspringen. Die Akzeptanz der Grundschulempfehlung gilt aber als groß.
Finanzierung
Das Kultusministerium in Stuttgart rechnet im Endausbau 2032/33, wenn es voraussichtlich rund 38.000 Schüler mehr gibt, mit einem Zusatzbedarf an 861 Lehrerstellen und Mehrkosten von jährlich knapp 98 Millionen Euro. Geplant ist, die Lehrer teilweise schon vorher einzustellen und zunächst an anderen Schularten einzusetzen. Das wird aber von Haushaltsverhandlungen abhängen.
In Bayern hieß es im ursprünglichen Beschluss, dass es im Endausbau, wenn im nächsten Schuljahr der erste G9-Jahrgang in die 13. Klasse übertritt, 1000 neue Lehrerstellen für die G9-Umsetzung geben soll.
Die Besetzung wird schwierig: Nach der jüngsten Lehrerbedarfsprognose gibt es 2025 eine Deckungslücke von rund 1400 Lehrerstellen an den Gymnasien. Der Philologenverband plädiert unter anderem dafür, ähnlich wie in Baden-Württemberg die Teilzeit aufzustocken und mehr Quereinsteiger einzustellen.
Pilotschulen schon seit zwölf Jahren
Wegen der großen G8-Skepsis bei Eltern hatte Bayern schon Jahre vor der offiziellen Rückkehr zu G9 an landesweit 47 Pilotschulen eine "Mittelstufe plus" eingeführt. Schülerinnen und Schüler, bei denen es pädagogisch sinnvoll erschien, konnten an diesen Schulen die Lernzeit um ein Jahr verlängern.
Es gab dort eine Wahlmöglichkeit. In Baden-Württemberg gibt es einen ähnlichen Schulversuch mit 44 Modellschulen, an denen das Abitur erst nach neun Jahren erworben werden kann. Er startete vor zwölf Jahren und war zunächst auf sieben Jahre angelegt, wurde danach aber verlängert.