Spielräume fehlen wegen sinkender Steuereinnahmen
Klare Prioritäten statt langer Wunschlisten. Es fehlen Spielräume für neue Programme und zusätzliches Personal.

Von Roland Muschel, RNZ Stuttgart
Stuttgart. Baden-Württemberg muss in den Jahren 2023 und 2024 mit sinkenden Steuereinnahmen rechnen. Das ist das Ergebnis der auf Baden-Württemberg heruntergebrochenen Mai-Steuerschätzung. Danach fehlen dem Land in diesem Jahr 345 Millionen Euro gegenüber der letzten Steuerschätzung vom Herbst 2022. Für kommendes Jahr sagt die Prognose Mindereinnahmen in Höhe von 69 Millionen Euro vorher. Im Doppelhaushalt 2023/24 fehlen damit 423 Millionen Euro.
"Das ist eine Zäsur", sagte Finanzminister Danyal Bayaz (Grüne) bei der Veröffentlichung der Zahlen. Jahrelang hätten die Steuerschätzungen stetig steigende Einnahmen prognostiziert. Damit sei es jetzt erst einmal vorbei. "Wir müssen uns auf eine neue finanzpolitische Realität einstellen, in der zusätzliche Aufgaben nicht mit frischem Geld, sondern mit klaren politischen Prioritäten angegangen werden müssen. Anders wird es nicht gehen."
Bayaz‘ Worte können als Ordnungsruf auch in Richtung der eigenen grün-schwarzen Landesregierung interpretiert werden. Denn in den Regierungsfraktionen von Grünen und CDU existieren keine Streichlisten, wohl aber lange und teure Wunschlisten für neue Projekte und zusätzliches Personal. Die Hoffnungen ruhen auf einem möglichen Nachtrag zum Doppelhaushalt 2023/24, in dem Zusatzmaßnahmen untergebracht werden sollen. Erst jüngst hatten die Fraktionsspitzen von Grünen und CDU überraschend das Ende der Gebühren für ausländische Studierende verkündet, was die Einnahmeseite des Landes schmälert.
Gleichzeitig steigt der Druck auf der Ausgabenseite. So haben sich Bund und Kommunen für ihre Beschäftigten jüngst auf Tarifsteigerungen in Rekordhöhe geeinigt. Sie gelten als Maßstab für die auf Herbst terminierten Verhandlungen des Landes. Eine inhaltsgleiche Übernahme des Tarifergebnisses von Bund und Kommunen auf die Landesbediensteten würde den Landeshaushalt, auf 24 Monate gerechnet, mit rund drei Milliarden Euro zusätzlich belasten.
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Als Gründe für die nun prognostizierten Mindereinnahmen werden die Steuerentlastungspakete des Bundes, aber auch ein Einbruch der Grunderwerbssteuer – deren Einnahmen allein den Ländern zustehen – infolge des Einbruchs der Baukonjunktur genannt.
Die aktuellen Zahlen sind sogar noch düsterer als die Prognose: Danach hat das Land in den ersten vier Monaten des laufenden Jahres brutto insgesamt 1,5 Milliarden Euro weniger an Steuern eingenommen als eingeplant. Das heißt, die Konjunktur muss deutlich anziehen, damit die im Vergleich dazu glimpfliche Jahresprognose von 345 Millionen Euro an Ausfällen überhaupt Realität werden kann.
"Zusätzliche finanzielle Spielräume wird es vor diesem Hintergrund nicht geben", sagte Bayaz. Ein Nachtragshaushalt ist für den Finanzminister zum jetzigen Zeitpunkt kein Thema. Zum einen, weil im Etat noch nennenswerte Reserven für Haushaltsrisiken wie Steuermindereinnahmen schlummern. Zum anderen, weil ein Nachtrag zunächst einmal Tilgungspflichten im höheren dreistelligen Millionenbereich auslösen und damit den finanziellen Spielraum weiter verkleinern würde.
Die Folgen der Mai-Steuerschätzung werden in der Landespolitik kontrovers diskutiert. Der Finanz-Experte der Grünen-Fraktion, Markus Rösler, sprach sich für "klare Prioritäten" bei den Ausgaben aus: "Für uns Grüne heißt das, in Bereiche zu investieren, die die Steuereinnahmen von morgen generieren: konsequenter Klimaschutz, moderne Mobilität und gute Bildung." Der CDU-Finanzexperte Tobias Wald hielt sich mit einer inhaltlichen Festlegung noch zurück, betonte aber, dass die Schuldenbremse gelte.
FDP-Finanzexperte Stephen Brauer hielt Grün-Schwarz vor, zu wenige Vorsorge für mögliche Mindereinnahmen getroffen zu haben. Dagegen nannte SPD-Finanzexperte Nicolas Fink die Ausgangslage des Landes "unverändert gut". So habe das Land im vergangenen Jahr über 1,8 Milliarden Euro an Mehreinnahmen verbuchen können. Finks Fazit: "Der Finanzminister sollte weniger jammern, sondern mehr handeln und endlich anpacken!"
Auch DGB-Landeschef Kai Burmeister warnte davor, nun auf die Bremse zu treten. Anstehende Mammutaufgaben wie Klimaschutz, Energie- und Mobilitätswende, der klimaverträgliche Umbau der Wirtschaft und die Sicherung der Arbeitsplätze "und nicht schwankende Steuereinnahmen müssen die finanzpolitische Richtschnur sein."