Milliarden für benachteiligte Schüler
Mit dem "Startchancen"-Programm sollen über zehn Jahre ausgewählte Schulen gezielt gestärkt werden. 540 Standorte im Land profitieren.

Von Axel Habermehl, RNZ Stuttgart
Stuttgart. Das "Startchancen-Programm" gilt als wichtigstes Bildungsprojekt der Ampel-Regierung. Nach der Einigung im Februar mit den Bundesländern, die das Förderprogramm für Schulen mit sozial benachteiligter Schülerschaft zur Hälfte bezahlen sollen, wird es nun konkret.
Auch die Landesregierung von Baden-Württemberg treibt die Umsetzung voran. Im Sommer soll das Projekt anlaufen. Das geht aus einem Konzept von Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne) für die Kabinettssitzung am Dienstag hervor.
Hintergrund
Die drei Säulen des Programms
Das "Startchancen-Programm" ruht auf drei Säulen:
> Ein Investitionsprogramm für Baumaßnahmen und Ausstattung. Ziel sei "eine zeitgemäße und förderliche Lernumgebung". Dafür sind rund 40 Prozent der
Die drei Säulen des Programms
Das "Startchancen-Programm" ruht auf drei Säulen:
> Ein Investitionsprogramm für Baumaßnahmen und Ausstattung. Ziel sei "eine zeitgemäße und förderliche Lernumgebung". Dafür sind rund 40 Prozent der jährlichen Bundesförderung vorgesehen.
> Ein "Chancenbudget", das die jeweilige Schulleitung "für bedarfsgerechte Lösungen zur Schul- und Unterrichtsentwicklung" verwenden kann. (30 Prozent der Bundesförderung)
> Ein Topf für Personal: Damit sollen an den geförderten Schulen "multiprofessionelle Teams" finanziert werden – also nicht Lehrer, sondern etwa Sozialarbeiter, Erzieher, Psychologen oder Bildungs-Quereinsteiger. (30 Prozent der Bundesförderung)
Noch 2024 flössen von Bund, Land und Kommunen knapp 115 Millionen Euro an die Schulen, heißt es in dem Papier, das dieser Zeitung vorliegt. Ab 2025 sollen die Investitionen deutlich steigen. Insgesamt werde das Land in dem Zusammenhang bis 2034 gut 1,3 Milliarden Euro vom Bund erhalten. Die gleiche Summe soll vom Land kommen, so dass für die Schulen über den gesamten Zeitraum letztlich 2,6 Milliarden Euro zur Verfügung stehen.
"Von diesen sollen im Land circa 540 Startchancen-Schulen mit einem hohen Anteil an sozioökonomisch benachteiligten Schülerinnen und Schülern profitieren. Ziel ist es, mit dem Programm rund 134.000 Schülerinnen und Schüler zu erreichen", kündigt Schopper in dem Papier an, das dazu dient, nötige Vereinbarungen mit dem Bund vorzubereiten.
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Deutschlandweit sollen bis 2034 gut 20 Milliarden Euro in Infrastruktur und Personal von etwa 4000 Schulen fließen. Erklärtes Ziel ist mehr Chancengerechtigkeit. Bildungserfolge hängen in Deutschland stark vom Elternhaus der Schüler ab. Dieser Zusammenhang solle "weiter aufgebrochen werden", heißt es in dem Papier, das auch erstmals konkrete Ziele auf Ebene der Schülerleistungen nennt: "Die Anzahl der Schülerinnen und Schüler, die die Mindeststandards in den Fächern Deutsch und Mathematik verfehlen, soll an den Startchancen-Schulen halbiert werden."
Welche 540 Schulen das im Südwesten sind, ist offen. Rund 60 Prozent sollen Grundschulen sein, 40 Prozent weiterführende Einrichtungen. Ausgewählt werden sollen sie auf Basis von Daten: "Als Mindestanforderung für die Auswahlkriterien sind die Benachteiligungsdimensionen Armut und Migration zugrunde zu legen."
Ein Sozialindex, über den das Land bereits eigene Förderprojekte für benachteiligte Grundschüler steuert, soll dabei "zur Orientierung dienen", hat das Kultusministerium bereits früher angekündigt. Der Index weist unter anderem Migrantenanteil, durchschnittliche Kaufkraft und Bildungsniveau eines Schulbezirks aus.
Schwieriger ist die Auswahl der weiterführenden Schulen, da die Einzugsgebiete größer sind und keine Schulbezirksbindung herrscht. Schopper sagte dieser Zeitung: "Wir werden die Auswahl der weiterführenden Schulen auf Basis eines Sozialindex für Sek-I-Schulen treffen. Er muss genauso treffsicher sein, wie bei den Grundschulen, wo wir eine etwas einfachere Datenlage haben."
Aus Kreisen der kommunalen Schulträger verlautete, es sei zu klären, ob man die geförderten Schulen öffentlich mache. Zwar kämen den Schulen die hohen Investitionen massiv zugute, jedoch drohe eine Stigmatisierung als "Brennpunktschule". Auch sorge die hohe Dichte an Bundes-Förderprogrammen für unnötige Komplexität.
Offen ist, ob Schoppers Plan aufgeht, ohne zusätzliches Geld aus dem Landeshaushalt auszukommen. Zwar dürfen laut der Vereinbarung mit dem Bund keine eingesetzten Landesmittel durch das frische Bundesgeld ersetzt werden, jedoch können die Länder bestehende Programme mit gleicher Zielwirkung umwidmen.
Diese Möglichkeit will die Landesregierung offenbar komplett nutzen: Für die Kofinanzierung würden "nach der aktuellen Einschätzung des Kultusministeriums keine zusätzlichen Haushaltsmittel benötigt", heißt es im Konzept. Schopper selbst sagt: "Wir haben bereits erfolgreiche Förderstrukturen aufgesetzt, die der Bund im Rahmen des Startchancen-Programms explizit anerkennt. Es macht Sinn, weiter in diese zu investieren, anstatt bestehende Strukturen aufwendig zu beenden und neue hochzufahren."
Ob der Bund das akzeptiert, ist wohl Verhandlungssache: "Die Berücksichtigung des beabsichtigten Kofinanzierungsbeitrags bedarf einer bilateralen Verständigung zwischen dem Bund und dem Kultusministerium Baden-Württemberg vor Programmbeginn", heißt es im Papier.
Die Frage ist heikel, da in Stuttgart Verhandlungen für den letzten Doppelhaushalt der grün-schwarzen Koalition anstehen. Das Bündnis plant seine Ausgaben für 2025 und 2026. Finanzminister Danyal Bayaz (Grüne) hat schon zum Sparen aufgerufen. Davon ausgenommen werden soll ein Sprachförderprogramm für Kitas und Grundschulen, das Schopper seit Monaten ankündigt und das dem Vernehmen nach ebenfalls pro Jahr rund 100 Millionen Euro kosten soll – das dürfte nun offenbar zu großen Teilen mit "Startchancen-Geld" bezahlt werden.