Wie geht es weiter nach dem Pisa-Schock?
Mithilfe von regelmäßigen Datenerhebungen sollen sich deutsche Schulen an die Bedürfnisse von Schülern anpassen.

Symbolfoto: dpa
Von Anna Moreno Grupp, RNZ Berlin
Berlin. Der Pisa-Schock, den Deutschland nach dem Jahr 2001 nun zum zweiten Mal erfährt, ist ein deutliches Signal: Die Förderansätze müssen sich ändern. In den Fächern Mathe, Deutsch und Naturwissenschaften schnitten deutsche Schüler so schlecht ab wie noch nie. Welche Ansätze braucht es, um dem Leistungsniedergang ein Ende zu setzen? Und was kann man aus den Förderprogrammen, die seit damals entwickelt wurden, lernen?
Es werden "keine Maßnahmen allein aufgrund der Ergebnisse von Pisa ergriffen", sagte etwa eine Sprecherin des bayerischen Kultusministeriums, Stephanie Neumeier. Das Ministerium will nun aber das Grundschul-Lesetraining "FilLBY" ausweiten.
Kai Maaz, geschäftsführender Direktor des Leibniz-Instituts für Bildungsforschung und -information sowie Mitglied des unabhängigen Beratungsgremiums der Kultusministerkonferenz, findet das Vorgehen richtig: "Anstatt immer neue Programme zu entwickeln, sollte man bestehende Ansätze, die positive Veränderung in der Vergangenheit bewirkt haben, neu aufbereiten, fachlich weiterentwickeln und an die jetzige Situation anpassen."
Die erste Pisa-Studie, veröffentlicht im Dezember 2001, beruhte auf Schülervergleichstests im Sommer 2000 ("Programme for International Student Assessment"). Maaz räumte ein, dass bei der Entwicklung und Umsetzung von Förderprogrammen drei konkrete Fehler aufgetreten sind, die auch heute noch bestehen: "Das erste Problem ist, dass die Schulen teilweise mit den vielen verfügbaren Förderprogrammen überfordert sind."
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So wüssten die Schulen oft nicht genau, welches der vielen Lese-Förderprogramme sie wählen sollen, um die Schüler maximal zu unterstützen. Ein zweites Problem sei, dass zu sehr in "Förderprogramm-Logiken" gedacht werde und bestehende Maßnahmen in den Ländern nicht im Kontext der einzelnen Schulen betrachtet würden. "Die Programme müssen aber an jede Schule individuell angepasst werden, nicht die Schulen an die Programme", so Maaz.
"Ein drittes Problem ist, dass nach dem letzten Pisa-Schock 2000 in den Förderprogrammen sehr stark die Verbesserung des Unterrichts in den Fokus gerückt wurde." Der Unterricht sei jedoch das letzte Glied im schulischen Handeln. "Wir müssen Entwicklungsmaßnahmen für den Unterricht auch stärker mit Ansätzen, die die Schule als Organisation weiterentwickeln, kombinieren."
Gelingen soll das durch eine datengestützte Schul- und Unterrichtsentwicklung. Erste Ansätze verfolgt Baden-Württemberg, mit dem Credo "Von Daten zu Taten". Seit diesem Schuljahr wurde im Südwesten ein "Landesfahrplan" erstellt, der Qualitätsstandards für Schulen, Schulaufsicht und Lehrkräfteaus- und fortbildungen vorgibt. Auch datenbasierte Bedarfsanalysen sollen für eine "passgenaue und zielgerichtete Qualitätsentwicklung" sorgen, so das Ministerium.
Ab nächstem Schuljahr sollen diese Ansätze umgesetzt werden. Ein Sprecher des Stuttgarter Kultusministeriums vergleicht dieses Konzept mit einem Beispiel aus dem Sport: "Ein Sportler wird besser, wenn er weiß, woran er trainieren muss. Er erhebt und analysiert seine Leistungsdaten und zieht seine Schlüsse daraus, die er immer wieder überprüft."
Doch auch in Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern finden datengestützte Fördermaßnahmen statt. "Das Programm ‚Schule macht stark‘ nimmt 200 Schulen in herausfordernden Lagen in ganz Deutschland in den Blick", erklärt Maaz, der das Projekt ebenfalls betreut. 31 bayerische und 26 baden-württembergische Grundschulen und weiterführende Schulen nehmen daran teil, um sozial benachteiligte Schüler zu unterstützen.
Zusammen mit Wissenschaftlern werden datengestützte Bedarfsanalysen bis 2025 durchgeführt. In einer zweiten Phase sollen die erarbeiteten Strategien bis 2030 auf möglichst viele Schulen übertragen werden.
Die größte Initiative ist das Startchancen-Programm, das 2024/25 eingeführt werden soll. Geplant ist, 20 Milliarden Euro über zehn Jahre an 4000 Schulen mit einem hohen Anteil sozial benachteiligter Schüler zu verteilen.