Keine Schule ist chancenlos

Bund gibt Milliarden für Brennpunkt-Schulen

Ab dem Schuljahr 2024/25 investieren Bund und Länder zehn Jahre lang jährlich zwei Milliarden Euro in strukturschwache Schulen.

03.02.2024 UPDATE: 03.02.2024 06:00 Uhr 2 Minuten, 54 Sekunden
Grundschüler im baden-württembergischen Laichingen machen im Unterricht mit. Baden-Württemberg kann zusätzlich mit 134 Millionen Euro pro Jahr vom Bund für strukturschwache Schulen rechnen. Foto: dpa

Von Florian Enslein und Thomas Vitzthum, RNZ Berlin

Berlin. Es ist eine märchenhafte Geschichte. Sie beginnt mit einem Brief, mit einem Brief der Lehrer an alle. An alle draußen, die nicht sehen wollten oder konnten, was alles schief läuft im deutschen Schulsystem und in der Rütli-Schule in Berlin-Neukölln im Besonderen. 2006 war das.

Die Rütli-Schule wurde zum Symbol für den Niedergang des Schulwesens; wenn der Begriff "Brennpunktschule" ein Gesicht hat, dann das von Rütli. Heute ist der Campus Rütli eine Vorzeigeschule. Er ist der Beweis, was geht, wenn auf Brennpunktschulen genau geachtet wird. Er ist aber auch ein Beweis dafür, dass es nicht mit Geld allein geht.

Geld steht jetzt in rauen Mengen zur Verfügung. Zumindest für 4000 Schulen. Ab dem Schuljahr 2024/25 investieren Bund und Länder zehn Jahre lang jährlich zwei Milliarden Euro in strukturschwache Schulen. Die Rahmenbedingungen für das insgesamt 20 Milliarden schwere Startchancen-Programm wurden bei einem Treffen zwischen Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) und den Kultusministern der Länder festgezurrt.

Es sei an der Zeit "groß zu denken", sagte sie. "Wir können es uns nicht länger leisten, nicht in das Potenzial junger Leute zu investieren." Bildung sei der wichtigste Faktor für den Wohlstand Deutschlands. Unter anderem die Ergebnisse der jüngsten Pisa-Studie gaben Anlass zur Sorge. Die deutschen Schüler schnitten historisch schlecht ab. Das Programm will vor allem Rechnen, Schreiben, Lesen fördern. Im Fokus stehen Grundschulen.

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Denn zu sehr bestimmt die Herkunft noch immer über den sozialen Aufstieg und die Bildungschancen hierzulande. Stark-Watzinger und die Kultusminister sind sich einig: Das muss sich ändern. Deshalb wird ein Teil der Bundesgelder danach aufgeteilt, wie viele Kinder und Jugendliche in den Bundesländern einen Migrationshintergrund haben oder von Armut gefährdet sind. Es sei wichtig, die finanziellen Mittel "nicht mit der Gießkanne zu verteilen", so die Bildungsministerin. Das Geld solle dort ankommen, wo es gebraucht werde.

Rund eine Million Kinder und Jugendliche sollen profitieren – also in etwa zehn Prozent aller Schüler. In Bayern kommt das Startchancen-Programm 146.000 Schülern zugute, wie die RNZ aus Kreisen der Ampel-Regierung erfuhr. Der Freistaat erhalte jährlich 146 Millionen vom Bund. Bayern steht damit an Stelle zwei der Bundesländer. Entsprechend der Vereinbarung legt der Freistaat die gleiche Summe oben drauf. Baden-Württemberg könne nach Angaben des zuständigen Kultusministeriums jährlich mit 134 Millionen vom Bund rechnen.

Eigentlich wird jeder Kommentar einer Bildungsministerin zu Lehrermangel, Sanierungsstau oder Lehrinhalten in den Kultusministerien als übergriffig empfunden. Insofern ist es fast so etwas wie ein Wunder, dass es das neue Programm überhaupt gibt. Und auch, dass die Länder ihre Milliarde jährlich beisteuern. Lieber gaben sie nämlich in den vergangenen Jahren finanzielle Zuständigkeiten an den Bund ab. So trägt der Bund seit 2015 das BAföG allein. Das machten die Länder zur Bedingung, damit der Bund bei der Hochschulfinanzierung mitspielen durfte.

Auch dieses Mal wurde lange über Kompetenzen und die Verteilung der Gelder gestritten. Die Länder dürften mehr Geld für die Digitalisierung von Schulen bekommen. Der Einigungsdruck war groß: Die Länder wissen, dass kein Bürger ihren Verweis auf Zuständigkeiten noch hören will. Auch steigt der Anteil der Schüler mit Migrationshintergrund kontinuierlich. Sie brauchen oft mehr Zuwendung, viele können nicht gut Deutsch. In Grundschulklassen bilden sie oft die Mehrheit. Deshalb dürften Schulen mit vielen Migrantenkindern im Fokus stehen.

Doch man wolle nicht nur "neues Geld ins System geben", wie Karin Prien (CDU), die Bildungsministerin Schleswig-Holsteins, sagte. Es müsse von Schule zu Schule individuell entschieden werden, was gebraucht werde. So ist ein Teil der Fördersumme für "multiprofessionelle Teams" gedacht. Damit könnten im einen Fall beispielsweise Sozialarbeiter gemeint sein, an anderer Stelle eine Schulkrankenschwester. Solche Teams sind mancherorts schon im Einsatz. Die Erfahrungen damit sind in der Regel gut.

Doch dafür braucht es auch die motivierten Lehrer. Und genau an dem Punkt krankt das neue Programm trotz seines großen Budgets. Die in der Bildungsforschung grundstürzende Studie des Neuseeländers John Hattie "Visible Learning – Lernen sichtbar machen" stellt deutlich heraus, dass es auf nichts so sehr ankommt, wie auf das Lehrpersonal. Die Lehrer-Schüler-Beziehung ist die entscheidende Größe für den Schulerfolg der Kinder. Wie groß die Klassen sind, wie viel digitale Hilfsmittel zum Einsatz kommen, selbst die Familienstruktur hat eine nachgeordnete Bedeutung.

Wollte man den Brennpunktschulen also wirklich helfen, müsste man jeweils Dutzende neue Lehrer anstellen. Und genau das geht nicht. Für Extra-Lehrpersonal ist das Geld nicht vorgesehen. An der Rütli-Schule hatte sich die Leiterin nach der Gründung des Campus durch die Vereinigung mit Nachbarschulen ihre Lehrer selbst ausgesucht. Doch generell streben junge Pädagogen keine Anstellung dort an, wo es besonders hart ist. Idealismus muss man aushalten.

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