Baden-Württemberg

Ein Schuljahr-Start mit Sorgenfalten

Hoher Lehrermangel, mehr Flüchtlingskinder und viel Unsicherheit in Corona-Fragen: Das Bildungssystem steht vor Problemen.

10.09.2022 UPDATE: 10.09.2022 06:00 Uhr 2 Minuten, 26 Sekunden
In Baden-Württemberg werden die Schülerinnen und Schüler am Montagmorgen wieder die Unterrichtsräume stürmen. Für die Kinder und Jugendlichen im Südwesten beginnt nach den Sommerferien erneut der Unterricht. Foto: dpa

Von Axel Habermehl, RNZ Stuttgart

Stuttgart. Vor Beginn des neuen Schuljahrs am Montag gefährdet weiterhin vor allem der Lehrermangel planmäßigen Unterricht, besonders an Grund- und Sonderschulen. Politik und Verwaltung bemühen sich um Linderung, stehen aber auch vor neuen Herausforderungen. Ein Überblick:

Wie ist die Lage? "Es hat sich bei mir ehrlicherweise an den Sorgenfalten nicht sehr viel geändert", sagte die baden-württembergische Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne) am Donnerstag. Sie sprach von drei großen Herausforderungen: Lehrermangel, Corona-Pandemie und die steigende Zahl junger Flüchtlinge, vor allem aus der Ukraine.

Wie schlimm ist der Lehrermangel diesmal? Landesweit ist er im Vergleich zum Vorjahr erheblich gestiegen. 890 Lehrerstellen sind laut Kultusministerium bislang noch unbesetzt, vergangenes Jahr waren es zum Schulstart 625 – ein Anstieg um gut 40 Prozent. Allerdings gab es dieses Jahr mit 6065 besonders viele Posten neu zu besetzen. 2021 waren es 5435.

Wie stellt sich das in der Praxis dar? Ganz unterschiedlich: Wie schon in den vergangenen Jahren, ist die Not an Grund- und Sonderschulen besonders groß. Während es in Fächern wie Deutsch, Englisch oder Geschichte genug Bewerber gibt, fehlen sie in Naturwissenschaften und im Kunst- und Musik-Bereich. 

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Außerdem ist die Lage regional höchst unterschiedlich. Kamen in Freiburg oder Heidelberg rechnerisch rund 20 Bewerber auf eine freie Grundschulstelle, meldeten sich im Landkreis Waldshut nur 17 Personen für die zu besetzenden 52 Jobs. Auch Karlsruhe ist bei Lehrern beliebt, dagegen hat die Verwaltung in einigen ländlichen Regionen, aber auch im Raum Stuttgart, Schwierigkeiten, Schulen mit Personal zu versorgen.

"Was die Lehrkräfteversorgung angeht, wird das kommende Schuljahr herausfordernd", so Schopper. Lehrerverbände und Opposition kritisierten die Regierung dafür, die Situation nicht verhindert beziehungsweise sehenden Auges in Kauf genommen zu haben.

Was tun die Verantwortlichen gegen den Lehrermangel? Ministerium und Schulverwaltung suchen wie schon seit Jahren händeringend nach Personal. Man versucht, Gymnasiallehrer zur Arbeit an Grundschulen zu bewegen, bittet Pensionäre um Hilfe und ersucht Teilzeitkräfte – weniger als die Hälfte aller Lehrer arbeitet in Vollzeit – um Erhöhung ihrer Deputate. So konnten beispielsweise 317 Deputate gewonnen werden, weil knapp 3000 Lehrer ihre Wochenstundenzahl erhöhten.

Auch arbeitet das Ministerium mit Abordnungen und Versetzungen "aus dienstlichen Gründen" und buhlt für berufliche Schulen um Direkteinsteiger aus der Wirtschaft. Mittel- und langfristig sollen Erhöhungen von Studienplätzen greifen. An Grundschulen werde der Ausbau der vergangenen Jahre sich bald auszahlen, versprach Schopper.

Gibt es Sondereffekte? Die steigenden Flüchtlingszahlen verschärfen den Mangel. Man erwartet mehr als die bisher geschätzten 30.000 ukrainischen Schüler und viele weitere aus anderen Ländern. Auch Corona vergrößert das Problem: Denn das Land hat laut Ministerium seit 2010 rund 50.000 neue Lehrkräfte eingestellt – rechnerisch fast der halbe Lehrkörper. In der großen Mehrheit sind das junge Frauen. Werden sie schwanger, dürfen sie wegen des Infektionsrisikos oftmals sofort nicht mehr unterrichten.

Wie wirkt sich Corona sonst aus? Keiner weiß es. Das Ministerium hofft auf eine inzwischen "breite Basisimmunität" durch Impfungen und durchgemachte Infektionen. Das Schuljahr beginne "immunologisch unter ganz anderen Voraussetzungen als im vergangenen Jahr", so Ministerin Schopper. Man könne "zuversichtlicher auf das kommende Schuljahr blicken".

Zum Schulstart sind daher in der Regel weder Tests oder Masken noch sonstige Maßnahmen vorgesehen. Nur im sonderpädagogischen Bereich gibt es eine Testpflicht (zweimal pro Woche). Spätestens zum Oktober sollen alle Schulkinder aber von ihren Schulen vier Selbsttests bekommen, um sich zuhause zu testen, falls sie Covid-Symptome haben.

Wie sehen es die Lehrerverbände? Die rechnen mit Einschränkungen durch viele erkrankte Lehrer: "Wenn mal ein Viertel der Lehrkräfte fehlt, kann man eine Schule getrost zumachen", sagte Ralf Scholl, der Landesvorsitzende des Philologenverbands. Man müsse sich "darauf einstellen, dass es aufgrund der Pandemie in Verbindung mit dem Personalmangel zu Schwierigkeiten kommen wird", warnte Gerhard Brand vom Verband VBE.

Er erwarte "von der Politik eine klare Ansage, dass je nach Situation nicht mehr alle schulischen Angebote aufrechterhalten werden können". Die Gewerkschaft GEW forderte unter anderem mobile Luftreinigungsgeräte für "alle Räume, in denen sich Kinder und Jugendliche aufhalten müssen".

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