Zu viele Studenten kommen nicht im Klassenzimmer an
Offenbar gibt es eine hohe Abbrecherquote. Bundesweit fehlen im neuen Schuljahr geschätzt 40.000 Lehrkräfte.

Von Axel Habermehl, RNZ Stuttgart, und Jörg Ratzsch
Stuttgart. Trotz hoher Verlustquoten in der Grundschullehrer-Ausbildung weiß die Landesregierung wenig über Studien- oder Referendariats-Abbrüche. Das legt die bisher unveröffentlichte Antwort von Kultus- und Wissenschaftsministerium auf eine Landtagsanfrage der SPD-Fraktion nahe.
Darin beantwortet Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne) die Frage, wie viele Lehramtsstudenten zuletzt nach dem Studium kein Referendariat antraten, nicht. Die Daten würden nicht erhoben: "Ob und wenn ja, wo die weitere Ausbildung fortgesetzt bzw. der Beruf ausgeübt wird, ist eine Frage der individuellen Lebensplanung der angehenden Lehrkräfte", teilt Schopper lediglich mit.
Auch Zahlen zu Referendariatsabbrechern liefert sie nicht. "Diese Zahlen werden nicht erhoben, da zum einen die personalführenden Behörden, die Regierungspräsidien, diese nicht erfassen. Zum anderen, weil in vielen Fällen des Abbruchs (zum Beispiel wegen Krankheit) die Entlassung aus dem Vorbereitungsdienst mit Wiedereinstellungszusage erfolgt, also kein endgültiger Abbruch vorliegt."
Dass die Verluste auf der Ausbildungsstrecke für die besonders von Lehrermangel betroffenen Grundschulen hoch sind, ist bekannt. 2019 nannte das Wissenschaftsministerium eine "Schwundquote" von 23,5 Prozent. Ähnliches lässt sich aus der Antwort auf die Landtagsanfrage ableiten. Diese nennt sowohl die Zahlen der landesweiten Studienanfänger der vergangenen Jahre als auch die der Absolventen, die ins Referendariat starten.
Auch interessant
Ein unmittelbarer Abgleich ist nur begrenzt zulässig, da es viele Gründe gibt, Regelstudienzeiten zu überschreiten oder später ins Referendariat zu starten. Legt man die Zahlen trotzdem nebeneinander, fällt auf, dass 2017 im Wintersemester 1635 Studenten – rund 87 Prozent davon Frauen – ihr Studium an einer Pädagogischen Hochschule (PH) begannen. Die Regelstudienzeit bis zum Master beträgt acht Semester. Doch 2022 bewarben sich nur 1176 Lehrkräfte für das Referendariat.
Wie ist dieser Schwund von rechnerisch rund 28 Prozent zu erklären? Der Frage gehen Forscher der PH Weingarten seit 2020 nach und befragen Studenten. Ergebnisse der Studie "Stolpersteine auf dem Weg zum Lehrberuf" liegen allerdings bisher nicht vor.
Die SPD-Fraktion ärgert sich über den mangelnden Durchblick: "Das Land hat offensichtlich kein Interesse daran, Zahlen zu erheben, was aus den ausgebildeten Fachkräften wird", kritisiert der SPD-Bildungspolitiker Stefan Fulst-Blei und fragt: "Wir brauchen sie dringend, interessieren uns aber nicht wo sie hingehen. Was ist denn das für eine Politik?"
Wie akut der Lehrkräftemangel zum Schuljahresbeginn ist, darauf weist der Deutsche Lehrerverband hin. Die Unterrichtsversorgung habe sich in allen Bundesländern verschlechtert, sagte Verbandspräsident Heinz-Peter Meidinger. "Bundesweit gehen wir von einer echten Lücke von mindestens 30.000, vielleicht sogar bis zu 40.000 unbesetzten Stellen aus." Das sei zwar eine Schätzung, da noch nicht in allen Ländern die Schule wieder begonnen habe. "Die bisher bekannten Zahlen sind aber dramatisch", fügte er hinzu.
Die Situation, Stellen mit voll ausgebildeten Lehrkräften zu besetzen, habe sich "im Vergleich zum Vorjahr noch einmal deutlich verschärft", sagte die Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Maike Finnern. "Unterrichtsausfall gleich zu Beginn des Schuljahres ist bereits Tatsache, größere Lerngruppen, Zusammenstreichen von Förderangeboten, Kürzung der Stundentafel usw. sind an der Tagesordnung", sagte Udo Beckmann, der Vorsitzende des Verbands Bildung und Erziehung (VBE).
In 11 der 16 Bundesländer hat das Schuljahr inzwischen begonnen. Hessen, Rheinland-Pfalz und das Saarland folgen nächste Woche, in der Woche darauf geht’s in Bayern und Baden-Württemberg wieder los.
Es gibt zwar seit Jahren Klagen über fehlende Lehrkräfte. Die Lage scheint sich aber zuzuspitzen, weil sich inzwischen mehrere Probleme überlappen: Einerseits schlägt der allgemeine Fachkräftemangel auch im Schulbereich durch. Zudem entscheiden sich, obwohl Personalmangel herrscht, laut Statistischem Bundesamt mehr Lehrerinnen und Lehrer für Teilzeit.
Im Schuljahr 2020/2021 arbeiteten demnach knapp 40 Prozent nicht voll, die höchste Quote seit zehn Jahren. Weitere Aspekte: Durch mehr Geburten und Zuwanderung steigt die Schülerzahl. Und politische Entscheidungen, wie der Ganztagsausbau, Vorgaben zu Inklusion oder Sprachförderung verstärken den Personalbedarf an den Schulen weiter.



