Warum Olaf Scholz froh über ein Gruppenfoto war
"Wie stehen Sie zur Lage in Gaza, Herr Bundeskanzler?" Bei seiner Stippvisite bei Freudenberg traf Olaf Scholz auf hoch motivierte Azubis.

Von Klaus Welzel
Weinheim. Ist das wirklich der Mann, von dem sie in Berlin sagen, er halte sich für den Schlauesten? Der im Sommer vor zwei Jahren ganze Marktplätze unterhielt? Der dieses Land führt – und das mittels einer ziemlich komplizierten Koalition? Ja, er ist es. Sehr steif bewegt sich Olaf Scholz durch das Bildungszentrum bei Freudenberg in Weinheim. Nichts Lockeres an ihm. Kein Hallo, kein Händeschütteln. Vertane Chance. Gerhard Schröder hätte aus so einem Termin eine Show gemacht. Hätte mit den Jungs – und wenigen Mädels – herumgeflachst, vielleicht sogar einen Ball gekickt.
Scholz? Wirkt fast schon verloren. Hält sich mal mit einer Hand an einem Pult fest, schaut meist ins Leere, winkt beim Hereinkommen kurz und schüchtern zu den 115 Azubis. Verpasst die Gelegenheit, einen Kontakt aufzubauen. Zum Volkstribun wird man so nicht.
Zugegeben: Es war auch das Korsett. Begrüßung durch den Vorstand (vom Blatt abgelesen), kurze Führung, Azubitreffen, noch eine Führung, Abschlussstatement. Für vollgepackte 90 Minuten besucht der Kanzler den Mischsparten-Konzern Freudenberg, der eine eigene Brennstoffzelle entwickelt hat, sich mit der Zusammensetzung von Gummibärchen beschäftigt, aus der Autobranche kaum wegzudenken ist, aber allenfalls unter der Handelsmarke "Vileda" bekannt. Als Vorstandsvorsitzender Mohsen Sohi "Vileda" erwähnt, macht Scholz zum ersten Mal den Mund auf und haucht ein stummes "Ja".
So wortkarg können Bundeskanzler sein. Und wären da nicht die Auszubildenden gewesen, die es verstanden, den Hanseaten aus der Reserve zu locken, so hätte dieser Donnerstagnachmittag auf der nach oben offenen Langeweileskala einen Spitzenplatz eingenommen.
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So aber ist es ein junger Mann, der sich als Ramon vorstellt und wissen möchte: "Wie stehen Sie zur aktuellen Lage in Gaza?" Nicht: Wie stehen Sie zur Lage in Israel? Nein, die Frage ist ganz klar fokussiert und sie wirkt – obwohl sehr freundlich vorgetragen – etwas giftig. Was sagt ein Kanzler einem Mann, der es offensichtlich nicht richtig findet, wie hier die israelische Armee vorgeht, dazu?
Er beginnt mit dem Grundsätzlichen. Rekapituliert die "schrecklichen" Ereignisse vom 7. Oktober, wo "in einem bestialischen Akt" "gemordet, verschleppt, vergewaltigt und erniedrigt" wurde. An diesem 7. Oktober habe es ausgerechnet jene getroffen, die der Regierung Netanjahu kritisch gegenüber standen. Und dass das zum Teil Menschen getan hätten, denen die Opfer zuvor halfen, eine Arbeitserlaubnis zu bekommen. "Ich finde das schon sehr berührend." Die Azubis? Auch.
Olaf Scholz spricht in einem sehr ruhigen Tonfall. Nicht vorwurfsvoll, nicht ausweichend, sondern äußerst sachlich. Ja, es sei Israels Recht, sich zu verteidigen und die Hamas zu bekämpfen, bei der es sich ja "um keine nette Organisation" handle. Und der Gefragte versäumt es auch nicht, darauf hinzuweisen, dass diese Hamas eben nicht nur eine Terrororganisation sei, sondern dass sie im Gazastreifen eine Diktatur errichtet habe, unter der Palästinenser leiden.
Die Hamas? Keine "nette Organisation"
Der Kanzler plädiert, ganz auf der Linie aller bisherigen Bundesregierungen, für eine Zwei-Staaten-Lösung – nachdem die Hamas erfolgreich bekämpft worden sei. "Es muss eine Perspektive geben", sagt Scholz und blickt dem Fragesteller sehr fest in die Augen.
Und der blickt dankbar zurück. Weil er ernst genommen wurde.
Überhaupt ist das vielleicht die zentrale Botschaft, die der Kanzler wiederum mit nach Berlin nehmen kann: Diese Jugend ist interessiert, sie denkt politisch. Sie führt den Klimaschutz mit den Fragen des Wachstums zusammen – und das in einer sehr reflektierten Weise.
Ein weiterer junger Mann möchte wissen, wie das – "angesichts des russischen Krieges" und der eben besprochenen Lage im Nahen Osten – zu verstehen sei, wenn der Verteidigungsminister, Scholz’ Parteifreund Boris Pistorius, sage, Deutschland müsse "kriegstüchtig" werden. "Muss ich mir jetzt Sorgen machen um meine Zukunft oder auch um meine Kinder?"
Scholz bedankt sich "für die ernsthafte Frage" und beginnt seine Antwort mit der etwas holprigen Formulierung: "Wir haben alle Grund, sicher zu sein". Deutschland sei fest in der Nato verankert, habe eine gut ausgerüstete Bundeswehr, man müsse sich aber vorsehen, weil Russland mit seinem Überfall auf die Ukraine gezeigt habe, dass es Grenzen verschieben wolle.
Er selbst habe mit Putin "an diesem langen Tisch gesessen" und festgestellt: "Der glaubt das wirklich". Glaubt also, dass die Ukraine russisch sein, weil sie das irgendwann einmal war. Lakonischer Kommentar des Kanzlers: "Wenn jetzt jeder sagen würde auf der historischen Landkarte, da habe ich mal was gehabt, dann hätten wir Stoff für 200 Jahre Krieg". Klingt nicht sehr beruhigend. Und so fügt der Gast im typischen Scholz-Duktus hinzu: "Dass jemand Angst haben muss, der Krieg kommt zu uns, dem ist nicht so". Zuversicht klingt aber dann doch irgendwie anders.
Anderes gelingt Scholz besser. Die Klimakleber nennt er "nicht besonders schlau", weil Klimaschutz vor allem einer technischen Antwort bedürfe, etwa einer Kreislaufwirtschaft – und keiner Ideologie. Gefühlte Zustimmung.
Noch eine Frage, dann geht’s weiter. Nur noch eine Minute! Da kommt sie, die Frage: "Wenn keine Kriege mehr geführt werden sollen, wieso spendet Deutschland dann an Israel. Ist das nicht ein Widerspruch?" Nein, ist es nicht. Kurze Nachhilfe: Holocaust, deutsche Verpflichtung, Israels Existenzrecht. Sehr ernst und eindringlich nimmt der Kanzler den Frager ins Visier. Und ist sichtbar froh, als einer ruft: "Gruppenfoto!".