Wenn Protest aus den Fugen gerät
Die Blockadeaktion von Landwirten gegen Wirtschaftsminister Robert Habeck sorgt für Kritik und Ratlosigkeit. Wie will Berlin der aufgeheizten Stimmung begegnen?

Von Mareike Kürschner
Berlin. Das Ende seines Urlaubs hatte sich Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck sicherlich anders vorgestellt: Als der grüne Minister am Donnerstagabend nach einem privaten Aufenthalt auf der Hallig Hooge an der schleswig-holsteinischen Nordseeküste wieder an Land gehen wollte, erwarteten ihn etwa 300 wütende Landwirte mit Traktoren und Lkw.
Auf Videos, die in den Sozialen Netzwerken geteilt wurden, ist zu sehen, wie Demonstranten versuchen, auf die Fähre zu gelangen, auf der sich neben dem Vizekanzler rund 30 Passagiere befanden. Der Kapitän legte nach Rücksprache mit der Polizei und Habecks Sicherheitskräften wieder ab und fuhr zurück zur Hallig. Man wollte Schlimmeres verhindern. Das Schiff mit dem Minister legte erst nach Mitternacht wieder sicher an, als sich der Tumult gelegt hatte.
Der Vorsitzende des Deutschen Bauernverbands, Joachim Rukwied, distanzierte sich von der Protestaktion gegen Habeck: "Blockaden dieser Art sind ein No-Go", erklärte er. "Wir sind ein Verband, der die demokratischen Gepflogenheiten wahrt. Persönliche Angriffe, Beleidigungen, Bedrohungen, Nötigung oder Gewalt gehen gar nicht." Man respektiere bei allem Unmut die Privatsphäre von Politikern.
Anlass für die aufgeheizte Stimmung der Landwirte ist die geplante Streichung von Subventionen. Zwar ruderte die Ampel-Regierung am Donnerstag zurück und kündigte an, einen Teil der angedachten Kürzungen doch nicht umzusetzen. Die Entlastung beim Agrardiesel soll dennoch schrittweise abgeschafft werden. Der Bauernverband fordert jedoch die Rücknahme aller Kürzungspläne und hält an bundesweiten Protesten in der kommenden Woche fest.
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In Berlin sorgte die Blockade für Kritik und Empörung über die Parteigrenzen hinweg. Regierungssprecher Steffen Hebestreit rief am Freitag zu einem konstruktiven Umgang in Debatten auf – "bei allem Verständnis für die politische Auseinandersetzung". In einem freien Land könne jeder seine Meinung äußern, indem man Unmut kundtun dürfe. Aber man müsse aufpassen, dass die politischen Sitten nicht verrohten. Insgesamt, so sei es in vielen westlichen Demokratien zu erleben, wachse ein Gefühl der Unzufriedenheit – "weil die Welt nicht mehr ganz so einfach zu sein scheint, wie es früher mal war", sagte Hebestreit.
Unionsfraktionsvize Johann Wadephul (CDU), der von der Nordseeküste stammt, verurteilte den Vorgang gegen Habeck auf der Plattform "X" (ehemals Twitter): "Das ist nicht Schleswig-Holstein. Und wir lassen nicht zu, dass sowas hier zum Stil wird. Gerade raus ohne Blatt vor dem Mund – ja. Gewalt – nein."
Der RNZ sagte er außerdem: "Ich erwarte, dass die organisierte Landwirtschaft dafür sorgt, dass die kommenden Proteste im rechtlichen Rahmen bleiben. Ob Klimakleber oder Landwirte – jeder darf frei protestieren, aber die Rechtsordnung und private Rechte müssen geachtet werden. Sonst werden die Landwirte viel Zustimmung verlieren." Unverständnis zeigte er auch, dass die Bauern das Gesprächsangebot des Ministers nicht angenommen hätten.
Nach Angaben des Bundeswirtschaftsministeriums wollte Habeck mit drei bis vier Demonstranten auf der Fähre reden. Die Landwirte lehnten das jedoch Angebot ab und forderten den Vizekanzler stattdessen auf, herauszukommen. Dafür sei die Sicherheitslage allerdings nicht gegeben gewesen.
Wadephul mahnte jedoch die Ampel, die hinter dem Protest stehenden "Sorgen und Ängste des gesamten ländlichen Raums" ernst zu nehmen. "Wir haben eine gemeinsame Verantwortung, dass wir nicht Zustände wie in Frankreich oder den Niederlanden bekommen", sagte er weiter.
Der Bauernverband muss nun dafür sorgen, dass die anstehende Aktionswoche nicht aus dem Ruder läuft. Denn Tumulte wie am Fähranleger in Schlüttsiel dienen der Sache der Bauern nicht. Das Bundesinnenministerium warnte derweil vor Versuchen extremer Kräfte, vor allem aus dem rechtsextremistischen und dem Reichsbürger-Spektrum, die Bauernproteste zu missbrauchen.
Bei der Habeck-Blockade spielten solche Kräfte wohl schon eine Rolle. Der schleswig-holsteinischen Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack zufolge trug ein Eintrag im Telegram-Kanal "Freie Schleswig-Holsteiner" zur Eskalation bei. Die vom Verfassungsschutz als staats- und demokratiefeindlich eingestufte Gruppe habe dazu aufgerufen, "mit allem zu kommen, was Räder hat". Ziel sei es, "Anschluss in das vorwiegend demokratisch bürgerlich-konservative Spektrum zu erhalten", erklärte die CDU-Politikerin in Kiel.