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BSW ohne Wagenknecht an der Spitze - geht das?

Die Gründerin zieht sich aus der allerersten Reihe des Bündnisses Sahra Wagenknecht zurück. Ihre Partei trifft das in einer schwierigen Phase. Fünf Probleme des BSW.

10.11.2025 UPDATE: 10.11.2025 14:15 Uhr 3 Minuten, 42 Sekunden
Neuaufstellung BSW
Sahra Wagenknecht gibt den Vorsitz des BSW ab.

Berlin (dpa) - Vor weniger als zwei Jahren hat Sahra Wagenknecht ihre eigene Partei gegründet - jetzt zieht sich die 56-Jährige aus der allerersten Reihe zurück. Wagenknecht gibt den Vorsitz des BSW ab, wie sie am Montag in Berlin bestätigte. Stattdessen will sie Chefin einer "Grundwertekommission" in der Partei werden. "Ich möchte in Zukunft den Kopf wieder freihaben für die Dinge, mit denen ich dem BSW wirklich helfen kann, wo meine Stärken liegen", sagte Wagenknecht

Die neue Doppelspitze sollen ihre bisherige Co-Vorsitzende Amira Mohamed Ali (45) und der Europaabgeordnete Fabio De Masi (ebenfalls 45) bilden. Auch aus dem Namen der Partei verschwindet die Gründerin bald, das ist bereits angekündigt. Die Entscheidungen sollen beim Parteitag in Magdeburg am 6. und 7. Dezember besiegelt werden. Aber eine Wagenknecht-Partei, bei der Wagenknecht nicht mehr ganz vorn steht - hat die eine Zukunft?

Der Potsdamer Politikwissenschaftler und BSW-Spezialist Jan Philipp Thomeczek hält das für möglich. "Ich denke, die Chance ist da", sagte Thomeczek der Deutschen Presse-Agentur. Sein Argument: Die Partei füllt mit ihrem Rechts-Links-Profil zwischen Protest gegen Aufrüstung, harter Migrationspolitik und starkem Sozialstaat eine Leerstelle. Trotzdem dürfte es nicht leicht werden. Fünf Probleme des BSW:

Wagenknecht wird fehlen

Wagenknecht ist in der deutschen Politik ein Ausnahmetalent. Sie führt oft das Wort "Vernunft" im Mund, sie gibt sich volksnah, sie spitzt zu - und sie mobilisiert damit viele Menschen. Die Ankündigung "Sahra kommt" zog schon Massen für die Linke, der Wagenknecht bis 2023 angehörte. Bisher erfüllt sie für ihre Anfang 2024 gegründete Partei BSW dieselbe Funktion: Wagenknecht sei ein "Identifikationsfels in der Brandung", so formulierte es zuletzt die Thüringer BSW-Landeschefin Katja Wolf. Steht Wagenknecht nicht mehr an der Spitze, ist das für ihre Partei zumindest ein tiefer Einschnitt.

Wagenknecht spielte das herunter. "Ich werde heute keinen Rückzug verkünden", beteuerte sie bei der Vorstellung des neuen Personalpakets. Mit dem neuen Amt als Vorsitzende einer geplanten Grundwertekommission säße sie immer noch in Präsidium und Parteivorstand. Sie könnte also weiter Einfluss nehmen, ohne sich im Tagesgeschäft der Parteiorganisation aufzureiben. Und sie machte klar, was ihr eigentliches Wunschamt ist: Sollte das BSW doch noch in den Bundestag kommen, will sie Fraktionschefin werden. 

Wagenknecht könnte stören

Wagenknecht hatte schon vor der Parteigründung gesagt, sie wolle eigentlich lieber nicht Vorsitzende sein - Organisation sei nicht ihre größte Stärke. Darauf weisen ihre Getreuen hin. Im BSW hoffen sie, dass sie sich in den wichtigen Wahlkämpfen im nächsten Jahr einbringt, vielleicht stärker als je zuvor. Das sagte Wagenknecht jetzt auch öffentlich zu.

Nur: Statt ihrer wird es ja bald eine neue Parteiführung geben. Die kann sich entweder damit abfinden, dass Wagenknecht ohne Vorsitz weiter die Richtung vorgibt. Oder die neue Spitze versucht selbst, Akzente zu setzen. De Masi hat schon in der Vergangenheit gezeigt, dass er gerne sein Profil schärft. Bei der Pressekonferenz in Berlin sprach er lang und detailliert, bisweilen kleinteilig. Kann das gutgehen mit zwei Machtzentren? De Masi versicherte: "Wir beißen uns überhaupt nicht, sondern wir arbeiten sehr gut zusammen." Reibereien sind dennoch nicht ausgeschlossen.

Streit gibt es ohnehin schon

Gestritten wird im BSW über die Grundsatzfrage, ob und wie man mitregieren soll. Nach sehr guten Wahlergebnissen in Thüringen und Brandenburg sitzt das BSW dort mit am Kabinettstisch. In Brandenburg kriselt die Koalition mit der SPD aber gerade im Streit über die Rundfunkpolitik. Seit jeher hadert Wagenknecht mit dem Zwang zum Kompromiss. 

Der anstehende Parteitag soll nun nach dem Willen der Parteiführung beschließen: Das BSW soll nicht mehr für Koalitionen zur Verfügung stehen, deren einzige Gemeinsamkeit es sei, die AfD aus der Regierung zu halten. Plädiert wird für "neue Wege", zum Beispiel Expertenregierungen "aus anerkannten Persönlichkeiten", die mit wechselnden Mehrheiten regieren.

Für pragmatische Politikerinnen wie Wolf, in der Brombeer-Koalition mit CDU und SPD in Thüringen Finanzministerin, ist das eine Ohrfeige. Sie wechselte von der Linken zum BSW ausdrücklich mit dem Ziel, eine AfD-Regierung zu verhindern. In Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern könnte es im nächsten Jahr wieder auf das BSW ankommen. 

Hoffnung auf Neuauszählung der Bundestagswahl als Strohhalm

Anders als bei der Europawahl und den Landtagswahlen in Thüringen, Brandenburg und Sachsen 2024 scheiterte das BSW bei der vorgezogenen Bundestagswahl an der Fünf-Prozent-Hürde - wenn auch sehr, sehr knapp. Das BSW dringt seither auf eine Neuauszählung, da nur wenige Tausend Stimmen fehlten und es Hinweise auf Zählfehler gebe. Der zuständige Wahlprüfungsausschuss des Bundestags könnte im Dezember darüber befinden. Im Zweifel will das BSW vor dem Verfassungsgericht klagen. 

Darüber sprach Wagenknecht auch jetzt wieder ausführlich. Offiziell hält die Partei die Hoffnung hoch, dass man doch noch ins jetzige Parlament einzieht. Denkbar ist aber auch, dass ein erfolgreicher Einspruch letztlich zur Neuwahl führen würde. Und das wiederum wäre wegen schwacher Umfragewerte eher nicht im Sinne der Partei.

Die Aussichten bei den nächsten Wahlen sind wacklig

Bundesweit liegt das BSW in Umfragen nur noch bei drei bis vier Prozent. In Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz, wo nächstes Jahr gewählt wird, ist die Größenordnung ähnlich. In Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern sieht es vor den Landtagswahlen 2026 mit sechs bis sieben Prozent besser aus. Der Einzug in die Parlamente könnte klappen.

Für Wagenknecht liegt die Schwäche unter anderem an Vielstimmigkeit und mangelndem Profil der Partei - genau dem will sie sich nach eigenen Angaben wieder widmen. Im BSW bemühen sie Zuversicht. Die Co-Vorsitzende Mohamed Ali betonte, in der Partei spüre sie, "dass die Begeisterung in der Mitgliedschaft für das BSW ungebrochen ist". Der designierte Co-Vorsitzende De Masi sprach von Kampfgeist. 

Politikwissenschaftler Thomeczek schreibt das BSW folglich nicht ab, er sagt aber auch, die spannende Frage sei: "Wie lang ist da der Atem auch finanziell gesehen? Wer will da weiterhin noch unterstützen und aktiv sein?" Das BSW will bis Jahresende 10.000 Mitglieder haben, aber das ist für eine Partei immer noch wenig. Am Ende sagt auch der Politikwissenschaftler: "Schauen wir mal."

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