UN-Gericht: Israel muss Menschen im Gazastreifen versorgen
Monatelang hat Israel humanitäre Hilfe für den Gazastreifen blockiert. Damit verstieß das Land nach Einschätzung der höchsten UN-Richter gegen seine internationalen Pflichten.

Den Haag (dpa) - Israel muss nach einem Gutachten des Internationalen Gerichtshofes ausreichend humanitäre Hilfe in den Gazastreifen lassen und dafür auch mit dem UN-Hilfswerk für Palästinenser (UNRWA) zusammenarbeiten. Israel sei als Besatzungsmacht dazu verpflichtet, ausreichend für die Bevölkerung zu sorgen und die Menschenrechte zu wahren, heißt es in einem Rechtsgutachten des höchsten UN-Gerichts in Den Haag. Das Gutachten, das von Israel umgehend zurückgewiesen wurde, ist nicht bindend.
Die Richter wiesen Israel darauf hin, dass eine Blockade von Hilfsgütern gegen internationales Recht verstoße. Gerichtspräsident Yuji Iwasawa ermahnte Israel auch, "das Verbot des Aushungerns von Zivilisten als Methode der Kriegsführung zu respektieren".
Israel sei nach internationalem Recht zur humanitären Hilfe in den besetzten Gebieten verpflichtet, heißt es in dem Rechtsgutachten. Dazu gehörten die Versorgung mit Nahrungsmittel, Wasser, Obdach, Medikamente und medizinische Versorgung. Auch die Vertreibung von Menschen sei rechtswidrig.
Vorwürfe gegen UN-Hilfswerk unbegründet
Seit Januar darf UNRWA nicht mehr im Gazastreifen arbeiten. Israel hatte das Verbot damit begründet, dass das UN-Hilfswerk mit der Terrororganisation Hamas zusammenarbeite. Dafür aber sah das Gericht keine Beweise. Das Hilfswerk ist nach den Worten des Gerichts unabdingbar für die humanitäre Versorgung der Menschen im Kriegsgebiet.
Von März bis Mai hatte Israel grundsätzlich keine Hilfsgüter mehr in den Gazastreifen gelassen und danach nur noch über eine private US-Organisation. Die Blockade hatte Israel damit gerechtfertigt, dass die islamistische Hamas die Transporte überfalle. Auch diese Argumentation wies das Gericht zurück.
Seit dem 10. Oktober herrscht im Gazastreifen eine fragile Waffenruhe. Israel lässt seitdem zwar wieder Hilfsgüter in das abgeriegelte Küstengebiet. Nach Ansicht der Vereinten Nationen reicht dies jedoch bei weitem nicht aus, um die notleidende Bevölkerung zu versorgen.
Israel spricht von Missbrauch des Rechts
Israel wies das Gutachten zurück. "Das ist ein weiterer politischer Versuch, unter dem Deckmantel des "Völkerrechts" politische Maßnahmen gegen Israel zu verhängen", schrieb ein Sprecher des Außenministeriums auf X.
Israel hatte sich an der Anhörung des Gerichts im April nicht beteiligt, doch eine schriftliche Stellungnahme abgegeben. Darin wies es alle Vorhaltungen als haltlos zurück.
Rechtsgutachten kann Druck erhöhen
Den Auftrag zu dem Rechtsgutachten hatte die UN-Generalversammlung erteilt, nachdem Israel UNRWA die Arbeit im Gazastreifen verboten hatte. Ein solches Gutachten ist zwar nicht bindend, doch es kann den Druck auf Israel erhöhen, mit den UN zusammenzuarbeiten.
Der Gerichtshof hatte bereits im Juli vergangenen Jahres Israels Besatzung der palästinensischen Gebiete für illegal erklärt. Zuvor hatten die Richter dem Land in einer anderen Entscheidung aufgetragen, alles zu tun, um einen Völkermord im Gazastreifen zu verhindern.
Unabhängig vom Haftbefehl gegen Netanjahu
Das Gutachten ist unabhängig von den Ermittlungen des Internationalen Strafgerichtshof, ebenfalls mit Sitz in Den Haag. Dieses Weltstrafgericht hatte Ende 2024 Haftbefehl gegen den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen im Gazastreifen erlassen. Unter anderem wird ihm das Aushungern der Zivilbevölkerung zur Last gelegt.
Auslöser des Gaza-Kriegs war der Überfall der Hamas und anderer islamistischer Terrorgruppen auf Israel am 7. Oktober 2023. Israel reagierte mit einer umfassenden militärischen Offensive und teilweisen Blockade des Gazastreifens. Seitdem wurden laut der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde mehr als 67.000 Palästinenser getötet.
© dpa-infocom, dpa:251022-930-190846/8