Von Klaus Welzel
Heidelberg. Ein Impfstoff, der zu 70 bis 80 Prozent vor Corona schützt, bleibt in den Kühlschränken liegen. Völlig zu Unrecht, sagte Hans-Georg Kräusslich, Chefvirologe am Uniklinikum im RNZ-Corona-Podcast.
Professor Kräusslich, am Uniklinikum wird derzeit der Impfstoff von Astra Zeneca verimpft. Kam es vermehrt zu Nebenwirkungen?
Das kann man im Moment noch nicht beantworten, weil wir ihn erst seit dieser Woche haben und gerade erst anfangen. Die Berichte der letzten Zeit über vermehrte Nebenwirkungen muss man aber relativieren. In den Studien wurden im Vergleich zu anderen Impfstoffen keine deutlich stärkeren Nebenwirkungen festgestellt. In Großbritannien wurde der Impfstoff bereits millionenfach angewendet, ohne dass es zu unerwarteten Komplikationen kam und in Ländern, aus denen zunächst vermehrte Nebenwirkungen berichtet wurden, erwies sich das im Nachhinein als nicht richtig.
RNZ-Corona-Podcast - Folge 40: Warum eine Inzidenz unter 10 schwer zu halten sein wird
Interview: Klaus Welzel / Schnitt und Produktion: Götz Münstermann
Also Grund zur Entwarnung?
Ich will hierzu noch etwas mehr sagen, weil gerade der Impfstoff von Astra Zeneca in den Medien und auch politisch sehr kontrovers diskutiert wurde und zum Teil der Eindruck entstand, dass dieser Impfstoff minderwertig sein könnte. Dem ist nicht so. Er zeigt in den Studien eine Wirksamkeit von 70 bis 80 Prozent gegen eine symptomatische Infektion, gegen schwere Erkrankungen noch deutlich besser. Wenn man das zum Beispiel mit der jährlichen Grippeimpfung vergleicht, wären wir froh, wenn wir einen so effektiven Grippeimpfstoff hätten. Die Behauptung, dass dies ein minderwertiger Impfstoff sei, ist also nicht berechtigt.
Wie sieht es mit der Impfbereitschaft in Heidelberg aus: Wollen sich ausreichend Mitarbeiter impfen lassen?
Einerseits ist die Impfbereitschaft weiterhin hoch. Andererseits gibt es auch bei uns die Frage, ob man sich mit dem Astra-Zeneca-Impfstoff impfen lassen soll. Das ist auch nicht weiter verwunderlich, wenn man zum Beispiel an die Twitter-Nachrichten von Karl Lauterbach denkt, die er dann relativiert hat. Oder an die – aus meiner Sicht – unsägliche Aussage des Weltärztepräsidenten, dass dieser Impfstoff nicht für medizinisches Personal geeignet sei. Wenn man das hört, fragt man sich berechtigterweise, weshalb soll ich mich damit impfen lassen? Deshalb habe ich eben so deutlich formuliert und deswegen haben wir auch für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am Uniklinikum ein Aufklärungsblatt verfasst. Wir können nur weiter zur Impfung ermuntern: Sich jetzt nicht impfen zu lassen, obwohl es möglich wäre, bedeutet doch ein viel höheres Risiko, als mit einem sicheren Impfstoff geimpft zu werden, der bis zu 80 Prozent und gegen schwere Erkrankung noch besser wirkt und gegen 99 Prozent aller momentan in Deutschland zirkulierenden Viren effektiv ist.
Nach wie vor belegt Baden-Württemberg einen der hinteren Plätze in Sachen Impfquote. Woran liegt das?
Ich kann nicht sagen, warum wir nicht aufholen konnten. Die Unterschiede zwischen den Ländern sind nicht dramatisch, aber es wäre schon wünschenswert, hier schneller voranzukommen.
Zumal der Landesslogan für Baden-Württemberg doch lautet: "Wir können alles" – also eigentlich auch impfen ...
(lacht).
Derzeit handelt es sich bei jeder fünften sequenzierten Coronaprobe um die britische Variante. Einer Simulation zufolge bedeutet das, dass schon im April die Sieben-Tage-Inzidenz von 50 wieder überschritten sein wird. Sehen diese Gefahr?
Die Gefahr sehen wir schon. Aber wir können aktuell nicht sagen, wie wahrscheinlich es ist. In Dänemark macht die britische Variante aktuell 40 bis 50 Prozent aller Infektionen aus. Dennoch steigt dort die Inzidenz insgesamt im Moment nicht an. Wir beobachten also derzeit ein Verschieben zu dieser Variante. Was bedeutet das? Sehen wir momentan dort die frühe Phase eines exponentiellen Anstiegs? Oder ist es so, dass durch die derzeit in Dänemark herrschenden Beschränkungen auch diese Variante gut eingedämmt werden kann.
Und bezogen auf Deutschland?
Aktuell sehen wir einen langsamen Rückgang der Neuinfektionen, die 7-Tage-Inzidenz liegt zwischen 50 und 60. Aber das sind immer noch zu hohe Zahlen. Schwer zu sagen, ob das jetzt ein Plateau darstellt, ob es der Beginn eines erneuten Anstiegs ist oder ob die Infektionen langsam weiter runtergehen? Das kann man zwar modellieren, aber genau wissen wir es nicht. Die Gefahr besteht, aber ich sehe aktuell keinen Anlass von einem Horrorszenario zu sprechen.
Jetzt hat Ihre Braunschweiger Kollegin Melanie Brinkmann gewarnt, es sei viel zu früh für Lockerungen?
Frau Brinkmann vertritt schon seit längerer Zeit eine der Strategien, sehr restriktiv zu fahren und dadurch die Zahlen möglichst schnell nach unten zu bringen. Ich persönlich glaube, es wird vorerst nicht gelingen, die Inzidenz dauerhaft unter 10 zu halten und gleichzeitig eine ausreichende Akzeptanz in der Bevölkerung zu erhalten und die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Faktoren zu berücksichtigen. Weil wir nicht wissen, ob wir uns in einer Seitwärts- oder Abwärtsbewegung oder am Beginn eines Wiederanstiegs befinden, würde ich mit Vorhersagen vorsichtig sein, was am 3. März möglich sein wird und die Entwicklung lieber noch eine Woche beobachten.
Wir haben letztes Jahr über den Plan gesprochen, junge Menschen mit dem Coronavirus zu infizieren, um die so genannte Herdenimunität schneller zu erreichen. Das haben Sie scharf kritisiert. Jetzt suchen britische Wissenschaftler Freiwillige zwischen 18 und 30, die sich infizieren lassen sollen, damit das Virus besser untersucht werden kann. Was halten Sie davon?
Zunächst einmal ist es ein anderer Ansatz, weil es sich um eine geringe Zahl von Personen handelt, die dann wohl stationär aufgenommen und medizinisch überwacht werden. Das kann man mit einer breitflächigen Infektion von unter 30-Jährigen natürlich nicht vergleichen ...
... aber die ethischen Probleme bleiben dennoch bestehen ...
Deshalb füge ich hier noch einen Satz hinzu: Trotzdem sehe ich keine Notwendigkeit, das Risiko in Kauf zu nehmen. Wir haben – so makaber das klingen mag – immer noch genügend akute Infektionen, die man ausführlich studieren kann. Natürlich wird die geplante Studie auch in Großbritannien von der dortigen Ethik-Kommission geprüft und entschieden werden. Aber ich würde das nicht riskieren wollen.
Die Langfassung dieses Interviews und alle 40 Podcast-Folgen gibt es auf rnz.de zum Nachhören: Einfach den QR-Code einscannen.