Russland-Koordinator Dirk Wiese. Foto: zg
Von Peter Riesbeck, RNZ Berlin
Interview mit Dirk Wiese (SPD), Koordinator der Bundesregierung für die zwischengesellschaftliche Zusammenarbeit mit Russland, Zentralasien und den Ländern der östlichen Partnerschaft
Herr Wiese, Russlands Staatschef Wladimir Putin lässt Sicherheitskräfte gegen friedliche Demonstranten in Moskau einschreiten, die sich für freie Wahlen einsetzen. Wie bewerten Sie das Vorgehen?
Die Menschen in Russland gehen aus unterschiedlichen Gründen auf die Straße. In Archangelsk gab es Proteste gegen illegale Müllablagerung, in Jekaterinburg gegen einen Kirchenbau, in Moskau forderten friedliche Demonstranten nun freie und faire Wahlen zum Stadtparlament. Dass Sicherheitskräfte dann unverhältnismäßig hart gegen sie vorgehen und mehr als tausend Menschen festnehmen, besorgt mich natürlich sehr. Russlands Verfassung schützt Versammlungs- und Meinungsfreiheit, zudem ist das Land internationale Verpflichtungen eingegangen. Dazu zählen die Prinzipien von OSZE und Europarat. Ich erwarte vom russischen Staat, dass er diese Freiheiten und Prinzipien gewährt und schützt, die festgenommenen Demonstranten rasch freilässt – und dass Russlands Bürger im September frei und fair wählen dürfen.
Es gibt Berichte, wonach der Oppositionspolitiker Nawalny mit Gift in Berührung gekommen sein könnte. Wie bewerten Sie das?
Ich verfolge die Medienberichte darüber, habe aber derzeit keine eigenen Erkenntnisse. Nach meinem Wissen soll Nawalnys behandelnde Ärztin die russischen Behörden zu einer Untersuchung aufgefordert haben. Das Auswärtige Amt und ich werden aufmerksam verfolgen, wie sich diese Angelegenheit weiter entwickelt.
Die Ministerpräsidenten aus dem Osten fordern eine Lockerung der Russland-Sanktionen. Steht das für Sie zur Debatte?
Es gibt heute EU-Sanktionen gegen Russland wegen der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim und wegen der Destabilisierung der Ostukraine. Wenn wir über letzteres sprechen, dann ist eine mögliche Aufhebung von Sanktionen an klare Bedingungen geknüpft, nämlich die Umsetzung der Minsker Abkommen. Russland muss seiner Verantwortung da gerecht werden und endlich eine konstruktive Rolle einnehmen. Erst wenn sich ernsthaft etwas in diese Richtung tut, ein dauerhafter Waffenstillstand, der Abzug schwerer Waffen, dann kann man über mögliche Lockerungen der Sanktionen sprechen. Vorher nicht.
Sie haben die Ukraine angesprochen. Mit dem Amtsantritt des neuen Präsidenten Selensky und dessen Erfolg bei den Parlamentswahlen herrscht ein demokratischer Aufbruch in dem Land. Strahlt das auch auf Russland aus?
Das sind zwei getrennt voneinander zu betrachtende Vorgänge: In der Ukraine gab es 2019 zwei nationale Wahlen, in Russland sind nur Regionalwahlen angesetzt. Aber es gibt auch in Russland Bevölkerungsschichten, die mit der aktuellen Politik der Regierung unzufrieden sind, insbesondere über Korruption, Eingriffe in demokratische und bürgerliche Rechte, sinkende Reallöhne und insgesamt schwierigeren Lebensbedingungen.
Der ukrainische Präsident Selensky bemüht sich um einen Neustart im Verhältnis zu Putin. Inwiefern kann die Bundesregierung die Gespräche über einen Frieden im Osten des Landes unterstützen?
Die Wahl Selenskys und sein Gesprächsangebot sind eine Chance für Verhandlungen. Wir wirken auch auf Russland ein, damit diese Chance genutzt wird. Wir setzen uns dafür ein, dass ein baldiger Gipfel im Normandie-Format stattfindet, um der Umsetzung der Minsker Vereinbarungen neuen Schwung zu verleihen und Frieden in der Ostukraine herzustellen. Dem Waffenabzug im Übergang von Stanizja Luhanska und der Erneuerung der Waffenruhe in der Ostukraine müssten weitere konkrete Schritte folgen: Ein Gefangenenaustausch, das Ende der Unterstützung der Separatisten durch Russland und die Verbesserung der humanitären Lage entlang der Kontaktlinie, das wären positive Schritte.
Die Ostseepipeline Nord Stream 2 verzögert sich nach dänischem Widerstand und Umweltauflagen. Ist der Starttermin der umstrittenen Gaslieferungen durch den vom Kreml kontrollierten Energiekonzern Gazprom noch zu halten?
Die Genehmigungsverfahren für Nord Stream 2 sind bis auf Dänemark abgeschlossen und bislang wurde mit über 1450 Kilometer Röhren planmäßig mehr als die Hälfte der Gesamtstrecke verlegt. Während die Genehmigungsverfahren für Nord Stream 2 in Deutschland, Schweden, Russland und Finnland abgeschlossen sind, gab es eine Verzögerung in Dänemark, wo die Leitung bei Bornholm zunächst auch durch dänische Hoheitsgewässer verlegt werden sollten. Die Nord Stream 2 AG hat allerdings am 28. Juni 2019 den Antrag dafür zurückgezogen und es gibt jetzt eine alternative Route südlich von Bornholm, die nur durch die dänische Ausschließliche Wirtschaftszone führt. Wir erwarten, dass Dänemark das Genehmigungsverfahren für diese Route nun zügig abschließt. Der genaue Starttermin der Gaslieferungen hängt indes von diversen Faktoren ab. Aktuelle Angaben dazu können aber am ehesten von der Betreiberfirma selber gemacht werden.