Von Christian Altmeier
Heidelberg. Der Politikwissenschaftler und Publizist Andrew Denison ist Direktor von Transatlantic Networks, einem Forschungsverbund mit Sitz in Königswinter. Der gebürtige Amerikaner war zu Gast am Deutsch-Amerikanischen Institut Heidelberg.
Herr Denison, die USA erleben die schwersten Ausschreitungen und Proteste seit Jahrzehnten. Warum ist die Lage so eskaliert?
Es ist derzeit eine einmalige Situation, dass wir in den USA nicht nur Frust über Rassismus und Polizeigewalt haben, sondern auch eine Wirtschaftskatastrophe und eine Pandemie, deren Folgen ganz besonders die sozial Schwachen Bürger Amerikas zu spüren bekommen. Es sind diese drei Faktoren zusammen, die zur Wucht der Proteste beigetragen haben.
Die Wut der Demonstranten richtet sich also nicht allein gegen Rassismus?
Nein, es hat ja auch in der Vergangenheit schon öfter Probleme mit Polizeigewalt gegeben, die zu Protesten führten. Dass sich die Unruhen diesmal über das ganze Land ausbreiten, liegt nicht nur daran, dass die brutale Ermordung von George Floyd für alle sichtbar dokumentiert wurde. Es ist auch Resultat der Spannungen im Land, die durch die Pandemie, die Wirtschaftskrise und die Politik Donald Trumps stetig gewachsen sind. Trump hat die Minderheiten konsequent zu Feindbildern und Sündenböcken für Amerikas Probleme gemacht.
Wie bewerten Sie Trumps Umgang mit der Krise?
Er benutzt die für ihn typischen Strategien: Er versucht von den Problemen abzulenken, die Schuld bei anderen zu suchen und Streit zwischen seinen Anhängern und dem Rest der amerikanischen Gesellschaft zu schüren. Auch typisch für ihn ist, dass er nicht versucht, das eigentliche Problem zu lösen, sondern vor allem bestrebt ist, nicht dafür verantwortlich gemacht zu werden.
Glauben Sie, dass er mit diesen Strategien Erfolg haben wird?
Es ist schwierig zu sagen, ob Trump bewusst provoziert, um seine Basis zu mobilisieren, auch wenn er sie dadurch verkleinert, oder ob das einfach sein Naturell ist. Fakt ist, dass seine Anhänger so motiviert sind, wie nie zuvor. Das hat schon einmal für einen Wahlsieg gereicht. Ob es das wieder tut, bezweifle ich aber sehr. Eine Konzentration auf Recht und Ordnung wird im Wahlkampf nicht reichen. Mit der Wirtschafts- und Gesundheitspolitik kann Trump aber nicht mehr punkten.
Sie glauben also nicht, dass Trump wiedergewählt wird?
Prognosen sind immer schwer, vor allem wenn sie die Zukunft betreffen. Aber die Politik in den USA ist wie ein Pendel: Der aktuelle Präsident ist immer eine Art Gegenentwurf zum vorherigen Präsidenten. So wie Barack Obama nachdenklich und einfühlsam war, so ist Trump spontan und kaum zur Empathie fähig. Die Reaktion auf Trump und der Wunsch nach einem anderen Präsidenten sind aber schon jetzt gewaltig. Und der demokratische Kandidat Joe Biden wäre wiederum ein entsprechender Gegenentwurf zu Trump.
Auch Joe Biden macht die Pandemie einen Strich durch seinen geplanten Wahlkampf. Schadet oder nutzt ihm das?
Mit der Corona-Pandemie hat Donald Trump zwar vorübergehend die Schlagzeilen dominiert und Biden war etwas abgetaucht. Aber im Zuge der Unruhen und der Unzufriedenheit über die soziale Lage im Land wird man nach jemandem suchen, der das Land einen und aus dieser Situation herausführen kann. Diese heilende Rolle als jemand, der die Menschen inspiriert und motiviert, könnte Biden durchaus übernehmen. Trumps Stärke ist es, Streit zu schüren. Das kann kurzfristig auf einen Teil der Gesellschaft motivierend wirken. Aber irgendwann haben die Menschen auch genug davon. Bidens Stärke ist es, den Menschen zuzuhören und eine Einheit in der Vielfalt zu bilden. Das macht mir Hoffnung, dass auf einen Präsident Trump ein Präsident Biden folgen könnte.
Plünderungen und Gewaltexzesse überschatten die friedlichen Proteste. Schadet dies dem Anliegen der Demonstranten, Rassismus zu bekämpfen?
Es gibt wie bei allen Protesten die Gefahr, dass die gewalttätigen Demonstranten die Schlagzeilen dominieren. Es wird nun darauf ankommen, wie man damit umgeht. Natürlich haben viele Menschen Angst, dass Trump mit seinem Ruf nach Recht und Ordnung durchdringt und die Polizei oder sogar das Militär hart durchgreifen lässt. Aber es gibt bereits viele prominente Stimmen, die sagen, dass das der falsche Weg ist. Deshalb denke ich, dass der friedliche Protest, wie er von der großen Mehrheit der Demonstranten ausgeübt wird, den Kampf gegen Plünderer und Brandstifter in der öffentlichen Wahrnehmung überlagern wird. Hinzu kommt, dass es Gerüchte gibt, dass die Gewalt zum Teil von Provokateuren aus dem rechten Spektrum verübt wird.
Glauben Sie, dass sich durch die Proteste etwas ändern wird?
Es gab nach Vorfällen von rassistisch motivierter Polizeigewalt bereits in der Vergangenheit konkrete Veränderungen, die aber nie ausreichend waren. Das Problem ist zu groß und die Polizeibehörden haben immer neue Wege gefunden, Kontrollen zu vermeiden. Der Ruf nach Reformen hat zudem immer auch eine Gegenbewegung gestärkt, die Reformen verhindern will. Der Politik wird von dieser Seite oft unterstellt, sie sei feindlich gegenüber der Polizei eingestellt und solle die Polizisten lieber ungehindert ihre Arbeit machen lassen. Trump stachelt diese Stimmen noch zusätzlich an. Es bleibt also zu hoffen, dass sich die fortschrittlichen Kräfte im Zuge der Proteste nun durchsetzen.
Wie verbreitet ist denn der alltägliche Rassismus in der amerikanischen Gesellschaft als Ganzes?
Das kommt stark darauf an, wo man ist und wie es sich äußert. Offener Rassismus ist natürlich in weiten Teilen der Gesellschaft verpönt. Aber sobald man etwa schaut, wer einen Job bekommt, der Bewerber mit dem afrikanisch klingenden Namen oder der mit dem typisch angelsächsischen Namen, erkennt man durchaus Unterschiede. Es gibt zudem einen unterschwelligen Rassismus. Das ist etwa das Gefühl der Unsicherheit, wenn sich eine Gruppe junger Schwarzer in Kapuzenpullovern nähert. Andere Faktoren stimmen aber optimistisch: Die Zahl der Mischehen in den USA etwa steigt kontinuierlich. Dadurch wird es auch viel mehr Schattierungen in den Hautfarben geben und dann stellt sich irgendwann die Frage, ob die Trennung in Schwarz und Weiß überhaupt noch funktioniert. es ist aber auch eine Frage des Geldes: Oft wird in überwiegend von schwarzen bewohnte Viertel einfach zu wenig investiert, Das muss sich ändern.