"Wir hatten und haben keine Triage"
Warum eine Triage im Uniklinikum Heidelberg vorerst nicht zu erwarten ist, warum es gerade so schwere Ausbrüche in Seniorenheimen gibt. Und weshalb Spanien gerade so gut dasteht.

Von Klaus Welzel
Heidelberg. Jedes Wochenende analysiert Hans-Georg Kräusslich, Chefvirologe am Uniklinikum Heidelberg die Corona-Pandemie für die RNZ.
Prof. Kräusslich, in Deutschland werden die Plätze auf den Intensivstationen knapp – wie sieht es in Heidelberg aus?
Auch bei uns ist die Belegung auf den Intensivstationen sehr hoch, sowohl am Uniklinikum als auch in den Häusern der Region, es gibt viele Beatmungspflichtige. Die zentrale Koordinierungsstelle hat die schwierige Aufgabe, die Patienten so zu verteilen, dass keine Probleme entstehen.
Im Divi-Register fällt ein plötzlicher Schwund von freien Plätzen Mitte der Woche auf. Was ist da passiert?
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Zuvor wurden im Register freie Intensivbetten dargestellt; jetzt sind es belegbare Betten, also die Zahl der Intensivbetten, die auch intensivpflegerisch betreut werden können. Das ist die richtige Zählweise, da ein Patient nur dann versorgt werden kann, wenn die Intensivpflege gesichert ist. Dafür ist eine umfangreiche und komplexe Ausbildung erforderlich und ohne Intensivpflegekräfte nützt auch die schönste Maschine nichts.
Das heißt das Divi-Register ist seit Donnerstag schlicht realistischer?
Genauso ist es.
Jetzt sagte der Pflegedirektor am Uniklinikum, es gebe kein Licht am Horizont, die nächsten Wochen würden sehr schlimm. Sehen Sie das auch so?
Wir müssen uns nur die aktuellen Infektionszahlen und die Altersverteilung ansehen. Dann weiß man, wie die Entwicklung in den Kliniken in den nächsten Wochen.
Sie rechnen aber nicht damit, dass am Uniklinikum die Triage zum Thema wird?
Der Begriff Triage wird nicht immer gleich verwendet, das führt zu Verwirrung. Damit gemeint ist, dass nur ein Intensivbett zur Verfügung steht, aber mehr als ein Patient dies unbedingt braucht und davon profitieren könnte; demnach also bei gleichem Bedarf ausgewählt werden müsste. Aktuell hatten und haben wir diese Situation bei uns nicht. Alle Patienten, die Intensivversorgung benötigen, können entsprechend versorgt werden, für die Verteilung sorgt die Koordinierungsstelle. Aber als Universitätsklinikum müssen wir natürlich vorbereitet sein, falls eine solche Situation aufkommen sollte. Uns also fragen: Was müssen wir dann tun, wie gehen wir ggf. damit um? Das bedeutet aber nicht, dass wir unmittelbar vor einer derartigen Situation stehen oder dass sie eintreten wird.
Das heißt die entsprechenden Gremien haben sich schon dazu beraten?
Wir haben eine klinische Ethikkommission, deren Expertise selbstverständlich in die Beratungen der Task Force einbezogen wird. Das Prinzip der Vorsorge bedeutet, vorbereitet zu sein – auch wenn das Ereignis hoffentlich nie eintreten wird.
Wie geht es dem medizinischen Personal? Nach unseren Informationen infizierten sich 18 Mitarbeiter der Thorax-Klinik bei einer Reanimation?
Das war eine besondere Situation, bei der sich in der Klinik eine größere Zahl von Mitarbeitern infiziert hat. Insgesamt ist die Zahl der infizierten Klinikmitarbeiter zum Glück nicht sehr hoch, bei allerdings steigender Tendenz. Und die Mehrzahl der Infektionen stammt aus dem häuslichen und nicht aus dem Arbeitsumfeld. Natürlich ist es für die Versorgung unerheblich, wo sich ein Klinikmitarbeiter infiziert hat, für die Beurteilung der Wirksamkeit unserer Schutzmaßnahmen aber schon. Insgesamt ist es natürlich nicht überraschend, dass bei stark gestiegener Zahl von Infektionen auch Infektionen bei Klinikpersonal zugenommen haben – für uns bedeutet das, die Schutzmaßnahmen immer wieder zu überprüfen und anzupassen.
Noch einmal zurück zum Vorfall an der Thorax-Klinik: Das war also schon die große Ausnahme?
Ja, das war eine große Ausnahme. Bei der Betreuung von Covid-19 Patienten kann man sich durch die Schutzmaßnahmen, wie das Tragen von FFP2-Masken und Schutzkleidung weitgehend schützen, aber nie vollständig.
Die Entwicklung in den Heimen läuft alles andere als optimal – was wird denn dort falsch gemacht?
Die Hauptproblematik ist wohl, dass die bekannten und notwendigen Schutzmaßnahmen nicht umgesetzt werden oder nicht umgesetzt werden können. Ich meine dies nicht als Schuldzuweisung; aber es ist klar, dass die Häufung in den Heimen nicht auftreten würde, wenn immer entsprechende Schutzmaßnahmen eingehalten würden. Wenn außerdem eine gute Teststrategie umgesetzt würde, würde auch die Wahrscheinlichkeit eines Eintrags des Virus von außen in das Heim sinken. Die Heime sind aber von der Personaldecke und Gesamtstruktur offensichtlich oft nicht in der Lage, das umzusetzen, vielleicht fehlt es manchmal auch an entsprechender Ausbildung. Das Problem ist also nicht, dass man nicht wüsste, was zu tun ist, sondern dass es derzeit offensichtlich nicht überall in ausreichendem Maß umgesetzt werden kann.
Hat das auch damit zu tun, dass der eher unangenehme Test nicht richtig vorgenommen wird?
Das halte ich für unwahrscheinlich. Natürlich muss man den Nasen- oder Rachenabstrich sorgfältig vornehmen, also den Tupfer tief einführen. Aber Untersuchungen meiner Kollegen in Heidelberg haben gezeigt, das auch bei Selbsttestung recht gute Ergebnisse erzielt werden, geschultes Personal macht es natürlich noch besser.
Spanien hat wohl für den Moment das Gröbste hinter sich, hat das vielleicht damit zu tun, dass sich die Menschen auf der iberischen Halbinsel mehr im Freien aufhalten?
Nein, das glaube ich nicht. Die höchste Zahl an Neuinfektionen gab es im September, da war es noch deutlich wärmer als jetzt. Im November sind die Neuinfektionen dann stark zurückgegangen. Möglicherweise hat die sehr viel schlimmere erste Welle in Spanien dazu geführt, dass die Menschen sich im Herbst stärker an die Schutzmaßnahmen und Abstandsregeln gehalten haben als die Zahlen wieder hochgingen. Letztlich ist es immer die Kontaktreduzierung und die Befolgung der Regeln, die dazu führen, dass die Zahl der Infektionen sinkt.
Die Impfkampagne startet bald. Wie zuversichtlich sind Sie, dass geimpfte Personen das Virus auch nicht mehr übertragen können?
Diese Frage konnte in den Zulassungsstudien nicht beantwortet werden, so dass wir es noch nicht sicher sagen können. Wir haben aber Informationen aus Tierversuchen vor der klinischen Prüfung, sowohl für den Impfstoff von Biontech/Pfizer als auch für den von Moderna. Dort hat man geimpfte Versuchstiere zwei oder drei Wochen nach der Impfung mit SARS-CoV-2 infiziert. Es zeigte sich, dass in den Tieren kein oder fast kein Virus mehr nachweisbar war, die Infektion sich also nicht ausgebreitet hat. Insofern kann man vermuten, dass auch geimpfte Menschen das Virus nicht mehr oder nur noch sehr selten weitergeben werden. Aber Affen sind eben keine Menschen und deshalb braucht es weitere Studien, um dazu eine sichere Aussage zu machen.
Ihre Hypothese: Haben die Menschen in der hiesigen Region verstanden, dass sie sich anders verhalten müssen als bisher?
Ich glaube, die große Mehrzahl hat grundsätzlich verstanden, dass man sich anders verhalten muss. Ich bin aber nicht so sicher, dass dies auch im täglichen Verhalten immer umgesetzt wird. Wenn man sich anschaut, was am letzten Montag und Dienstag in der Hauptstraße und in den Geschäften los war, bekommt man Zweifel. Ein Lockdown ab Mittwoch bedeutet ja nicht, dass an den Tagen davor keine Gefahr bestünde. Dennoch waren die Geschäfte überfüllt, die Straße voll.
Wie verbringen Sie Weihnachten?
Zuhause in aller Ruhe oder am Institut. Und dann gehe ich ja auch gerne spazieren am Heiligenberg.
Das dürfen Sie aber nur zu zweit.
(lacht) Ja, das machen wir auch nur zu zweit.