Bei der Kinderarmut läuft es "in die falsche Richtung"
Sabine Andresen kritisiert im RNZ-Interview die Politik als unzureichend.
Präsidentin des Deutschen Kinderschutzbundes
Von Gernot Heller, RNZ Berlin
Berlin. Sabine Andresen (57) ist Präsidentin des Deutschen Kinderschutzbundes (DKSB).
Frau Andresen, in Deutschland gibt es elf Millionen Kinder. Geraten deren Interessen angesichts der vielen Krisen zunehmend unter die Räder?
In der Tat kann der Eindruck entstehen, dass die Interessen, die Rechte, die Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen nicht immer angemessen berücksichtigt werden. Sehr deutlich haben wir das schon in der Corona-Krise gesehen. Die Politik hat nun versprochen, umzusteuern. Aber es ist immer noch so, dass das bestmögliche Aufwachsen aller Kinder und Jugendlichen eben nicht im Mittelpunkt politischer Entscheidungen steht.
Was sagt es aus, wenn die Kinderarmut auf ein neues Rekordhoch von 21,3 Prozent gestiegen ist?
Auch interessant
Es läuft definitiv in die falsche Richtung. Es ist nicht neu, dass rund ein Fünftel aller Kinder in Armut leben oder davon akut gefährdet sind. Dabei wissen wir sehr gut, welche Folgen Armut für junge Heranwachsende hat. Es fehlt nach wie vor am politischen Willen, ein umfassendes Konzept wie das der Kindergrundsicherung durchzusetzen.
Wenn das jetzt nicht bald geschieht, dann wäre das eine vertane Chance mit weitreichenden Folgen. Dabei zeigen Befragungen, dass der weit überwiegende Teil der Bevölkerung dafür eintritt, dass Kinder nicht in Armut leben müssen. Aber das kostet Geld, das ist nicht zum Nulltarif zu haben. Deshalb muss hier eine Priorität gesetzt werden. Das halte ich auch als Kindheitsforscherin für zentral.
Fürchten Sie, dass die Kindergrundsicherung am Ende zu schmal ausfällt?
Ja, diese Befürchtung habe ich. Die Gefahr besteht, dass nicht gezielt denen geholfen wird, die von Armut bedroht sind, sondern dass das Geld wieder breit gestreut wird, also wieder mit der Gießkanne verfahren wird. Das aber ist nicht der Weg, wie man dem Problem begegnen sollte. Insofern bin ich noch sehr skeptisch, hoffe aber darauf, dass sich die Verantwortlichen in der Regierung eines Besseren besinnen – und sei es aus ökonomischen Gründen.
Denn es kann auch nicht unter volkswirtschaftlichen Aspekten im Interesse der Gesellschaft sein, einen so großen Anteil an Kindern und Jugendlichen in Armut aufwachsen zu lassen. Schließlich sind wir nicht zuletzt ökonomisch darauf angewiesen, dass sich alle Heranwachsenden bestmöglich bilden, entwickeln und befähigen können. Das Recht dazu haben sie ohnehin. Daher hoffe ich, dass wir hier vorankommen.
Kommt eine auskömmliche Grundsicherung überhaupt bei den Kindern an?
Es gibt das altbekannte Vorurteil, dass die Eltern dieses Geld, mit dem die Armut ihrer Kinder bekämpft werden soll, für sich selbst verwenden. Dafür gibt es allerdings keinerlei Belege. Eltern wollen das Beste für ihre Kinder. Ich wüsste nicht, warum das nicht auch für arme Eltern gelten sollte. Die Studien, die das sagen, möchte ich sehen.
Haben Sie die Hoffnung, dass die Kindergrundrechte in dieser Legislatur ins Grundgesetz geschrieben werden?
Nach den Erfahrungen in den letzten Jahren kann ich mir im Moment nicht vorstellen, wie die Koalition das noch hinbekommen sollte. Ich sehe momentan auch keine Aktivitäten, die in diese Richtung deuten würden. Der Kinderschutzbund vertritt ungeachtet dessen nach wie vor die Position, dass die Stärkung der Kinderrechte damit einhergehen sollte, sie in der Verfassung zu verankern. Gerade die vielen Krisen dieser Zeit rufen danach, für starke Kinderrechte zu kämpfen.