Lierre Keith sieht die Umweltbewegung auf einem Irrweg
Für die US-amerikanische Umweltaktivistin sind grüne Technologien noch schädlicher als fossile.

Von Joris Ufer
Heidelberg. Günstiger, nachhaltiger, umweltverträglicher – grüne Energien gelten den meisten als Weg aus der Klimakrise. Doch diese Einordnung als "grün" stellt die US-amerikanische Umweltaktivistin und Autorin Lierre Keith in Frage. Ebenso groß ist ihre Kritik an der Landwirtschaft. Ihre eigenen Antworten auf die Probleme sind radikal.
"Tut mir leid, euch das jetzt anzutun", beginnt Keith am Montag der vergangenen Woche ihren Vortrag im Deutsch-Amerikanischen Institut (DAI) in Heidelberg. Denn das Bild, was sie von Zustand und Zukunft des Planeten zeichnet, ist düster. Es brauche nur eine simple Rechnung: "Eins minus eins", sagt sie. "Sie können einen Mann zum Mond schicken, aber sie können nicht eins minus eins rechnen." Was die eins beziffern soll, ist der Planet, dessen Ressourcen die Menschen klar überbeanspruchen. Den Grund für die nahende Umweltkatastrophe sieht Keith in der Zivilisation selbst.
Auf der Leinwand hinter der 59-jährigen Aktivistin erscheinen Bilder von Wüsten und Orten, die es bald sein werden. Die Landwirtschaft verwandle den Planeten buchstäblich zu Staub, der die Grenzen von Kontinenten überwinde und zu Krankheiten wie Asthma führe. Doch während Keith auf diese Weise viele Aussagen trifft, die zumindest in Teilen von Agrar- oder Umweltwissenschaftlern geteilt werden könnten, spitzt sie vieles auch radikal zu. So beanstandet sie nicht nur die Verbreitung von Monokulturen, sondern sieht Landwirtschaft an sich als Vorboten der Wüstenbildung.
Am extremsten jedoch sind ihre Einschätzungen zum Thema erneuerbare Energien. "Schöner grüner Schein" (original: Bright Green Lies) heißt ihr Buch. Die Kernthese: Die gesamte Umweltbewegung ist auf dem Irrweg. Fossile Energieträger – allen voran Öl – erzählt sie, seien trotz ihrer Schadhaftigkeit nicht ersetzbar. "So genannte Grüne Technologien gehören zu den zerstörerischsten industriellen Prozessen, die je erfunden wurden", betont Keith. "Sie werden die Erde nicht retten, sondern lediglich ihr Ableben beschleunigen." Woran sie das festmacht, erklärt sie anhand von Beispielen: Da ist der umweltschädliche Abbau von Silizium und dessen emissionsintensive Weiterverarbeitung. Das Methan, das beim von Dämmen aufgestauten Gewässern freigesetzt wird. Oder die Mengen an Stahl und Schäden an Ökosystemen, die beim Auf- und Herstellen von Windrädern anfallen. "Man hat euch belogen", resümiert die Aktivistin.
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Dass auch grüne Technologien sich auf die Umwelt auswirken, stimmt – ist aber auch nichts Neues. Die Analyse der Emissionen und sonstiger Einflüsse durch Herstellung und Betrieb von Energieträgern wird "Ökobilanzielle Betrachtung" genannt. Und bei der schneiden Erneuerbare klar besser ab. Laut Zahlen des Umweltbundesamtes liegen die Emissionen von Solaranlagen inklusive Herstellung und Entsorgung bei 43 bis 63 Gramm CO2-Äquivalent pro Kilowattstunde – Wasser- und Windkraft liegen bei etwa 23 beziehungsweise 10 Gramm. Zum Vergleich: Die Emissionen eines Braunkohlekraftwerks pro Kilowattstunde liegen bei rund 1100 Gramm CO2-Äquivalent. Die Aussage, grüne Energieträger seien schädlicher als fossile, stimmt also nicht.
Doch der Schluss, den Keith aus ihren Überlegungen zieht, ist ohnehin radikaler: Sie will weg von Technologie generell, zurück zur Natur. Die Weltbevölkerung solle durch Bildungsangebote für Mädchen langfristig verkleinert werden, landwirtschaftliche Fläche der Natur zurückgegeben und Wildtiere wieder angesiedelt werden. "Alles, was wir tun müssen, ist aufzuhören", betont sie. Dass das nicht sonderlich wahrscheinlich ist, weiß die Aktivistin selbst. Obwohl viele Maßnahmen, die sie anmahnt, sicher einen positiven Einfluss im Kampf gegen Umwelt- und Klimakrise hätten.
Die rund 25 Zuhörer in der Bibliothek des DAI applaudieren Keith nach dem Vortrag. Für die meisten Menschen aber dürften ihre Ideen zu radikal sein. Schließlich erteilt sie Wachstum und Industriegesellschaft eine generelle Absage. Mit Plänen einer grünen Kreislaufwirtschaft wäre das kaum vereinbar.