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Stargast Ranga Yogeshwar testet Moralvorstellungen des Publikums

Bei seinem Vortrag in der Neuen Universität sprach der Wissenschaftsjournalist von der Künstlichen Intelligenz als kopernikanische Wende.

06.11.2023 UPDATE: 06.11.2023 11:30 Uhr 2 Minuten, 36 Sekunden
„KI hat keine Agenda“: Ranga Yogeshwar ermuntert dazu, die neue Technologie im Sinne der Empathie zu nutzen. Foto: Philipp Rothe

Von Hannes Huß

Es mag ein bisschen dauern, bis es sich wirklich herausschält, aber Ranga Yogeshwar schafft es beim "Geist"-Festival des Deutsch-Amerikanischen Instituts (DAI), Künstliche Intelligenz wirklich sinnbehaftet zu greifen: Als Werkzeug, um das Verhältnis des Menschen sich selbst gegenüber neu zu ordnen. Der Wissenschaftsjournalist sieht den Titel seines Vortrages: "Wie KI unser Leben verändert?" nämlich gar nicht so technisch, wie er anmutet. Anstatt anderthalb Stunden nur von den Wundern der KI in medizinischen Bereichen, oder der erhöhten Sicherheit von KI-gestütztem autonomem Fahren zu schwärmen, stellt Yogeshwar eine zutiefst anthropologisch-philosophische Frage: "Wie sieht das Selbstbild des Menschen in Zeiten der Künstlichen Intelligenz aus?"

Den Bogen, den Yogeshwar zur Beantwortung dieser Frage spannt, kann für ihn gar nicht weit genug sein. Er beginnt ganz am Anfang, mit einer menschlichen Zivilisation, die sich mit der Natur arrangieren musste: "Wie sind wir von da zu ChatGPT gekommen?" Die Antwort, und da wird seine Verwurzelung in der Kantianischen Ethik deutlich, findet er in der Aufklärung. "Da haben wir begonnen, unser Schicksal selbst in die Hand zu nehmen." Ähnlich wie die Kopernikanische Wende, als der Astronom Nikolaus Kopernikus 1543 das heliozentrische Weltbild einführte, sieht Yogeshwar die fortschreitende Implementierung und Weiterentwicklung von KI-Systemen, sowie die darunterliegende Digitalisierung, als "Scharnierphase", in der tradierte Weltbilder und Deutungshoheiten hinterfragt werden müssen. Um den Umfang dieser Scharnierphase zu erklären, nimmt er sein Publikum mit auf einen Parforceritt durch die Entwicklung der Künstlichen Intelligenz, ihrer technischen Voraussetzungen und Vorgänger.

Denn Yogeshwar ist nicht Moralphilosoph, sondern in erster Linie Wissenschaftsjournalist. Voller Begeisterung berichtet er dem Publikum in der vollbesetzen Aula der Neuen Universität von den schon jetzt sichtbaren Verbesserungen durch Künstliche Intelligenz, wie in der Medizin. Inzwischen lassen sich neuronale Netze, also die Funktionsweise eines menschlichen Gehirns nachbilden – wofür Computer allerdings zuerst leistungsfähig genug werden mussten. Dank dieser Verbesserungen der Hardware, vor allem in den letzten Jahren, können KI-Systeme auf Grundlage von Röntgenbildern Krankheiten in den Lungen diagnostizieren. "Für sie in Heidelberg, mit seiner hohen Röntgenarztdichte mag das nicht so relevant sein, aber gerade in ärmeren Ländern ist das furchtbar wichtig", erinnert er sein Publikum.

Dieses hängt ihm an den Lippen. Der seit 1987 als Journalist tätige Yogeshwar erzählt verständlich und spannend – immer wieder streut er an den richtigen Stellen einen Witz ein. Mit seinen Zuhörern interagiert er gar mithilfe eines Abstimmungstools. Beim Thema "autonomes Fahren" hinterfragt der 64-Jährige die Moralvorstellungen der Heidelberger: Ist das erste Szenario — nicht lenken und eine junge Person töten, lenken und eine alte Person töten — für das Publikum noch recht unstrittig, wird es von Szenario zu Szenario komplexer und abstruser, was Yogeshwar mit einer diebischen Freude erfüllt.

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Doch all diese Fragen zu den Moralvorstellungen des Publikums stellt Yogeshwar nicht im luftleeren Raum, er hat natürlich ein Ziel: "In China hat die große Mehrheit abgestimmt, die jüngere Person zu überfahren", erzählt er. Damit will er verdeutlichen, dass es kulturelle Unterschiede gibt, die bei der Entwicklung von KI-Systemen durchaus wichtig sind. Denn diese moralischen Vorstellungen werden den KI-Systemen mitgegeben. "KI hat keine Agenda, man kann sie für Großartiges oder Schlechtes nutzen", warnt der Stargast.

Ganz im Zentrum, ein bisschen versteckt unter den moralischen Abwägungen des Ist-Zustands, wartet allerdings Yogeshwars zentrale Feststellung: Künstliche Intelligenz als neuartiges Wesen. Denn indem KI-Systeme coden, also programmieren lernen, können sie sich selbst optimieren – ein Novum in der Technikgeschichte. Durch Programme wie eben ChatGPT kommt außerdem noch eine neue Fähigkeitsdimension hinzu: das Erzählen. Eigentlich eine zutiefst menschliche Fähigkeit, wie Yogeshwar betont. "Irgendwann könnte eine Maschine eine Religion erschaffen", meint er. Doch dazu kommt noch ein wichtiger Unterschied: Während der Mensch zeitlich begrenzt ist, also gar nicht alles lernen kann, "lebt die KI in der Gleichzeitigkeit". Das oft beschworene Horrorszenario von der Auslöschung der Menschheit durch eine sich selbstverstärkende KI lässt Ranga Yogeshwar glücklicherweise im Konjunktiv. Schwarzmalerei ist nicht sein Gebiet. Und so ist die KI für ihn am Ende des Tages ein Werkzeug, kein Akteur.

Deswegen ist die zentrale Forderung des Vortrags auch eine ganz simple: KI muss im Sinne einer neuen globalen Empathie zum Einsatz kommen.

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