"Ich denke, dass die Ukraine am Ende gewinnen wird"
Hodges sprach mit der RNZ über die Aussichten für das angegriffene Land und die Gefahr eines Atomkriegs. Er ist am heutigen Dienstag zu Gast im DAI.



Ehemaliger Kommandeur der US-Streitkräfte in Europa
Von Christian Altmeier
Heidelberg. Ben Hodges ist ehemaliger Kommandeur der US-Streitkräfte in Europa und dient mehreren Einrichtungen der sicherheitspolitischen Analyse als Berater. Der pensionierte US-Generalleutnant spricht an diesem Dienstag um 20 Uhr im Deutsch-Amerikanischen Institut Heidelberg in englischer Sprache über den Krieg in der Ukraine.
General Hodges, am 24. Februar jährt sich der russische Angriff auf die Ukraine. Der Chef der russischen Söldnergruppe Wagner, Jewgeni Prigoschin, hält es für möglich, dass der Krieg noch Jahre dauert. Was denken Sie?
Es wird oft vergessen, dass der Krieg schon 2014 begonnen hat, als Russland in die Ukraine einmarschierte und die Krim annektierte. Seitdem gab es zeitweise einen Waffenstillstand, der allerdings der OSZE zufolge regelmäßig von Russland gebrochen wurde – und dann die erhebliche Ausweitung des Krieges vor einem Jahr. Wenn Prigoschin nun öffentlich damit rechnet, dass der Krieg in der Ukraine noch drei Jahre anhalten könnte, ist das auch ein Eingeständnis, dass die Dinge für Russland eben nicht nach Plan laufen, wie Wladimir Putin immer wieder behauptet.
Für wen arbeitet denn die Zeit, für Russland oder für die Ukraine?
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Ich denke, dass die Ukraine diesen Krieg am Ende gewinnen wird. Wie schnell das passiert, hängt aber ganz wesentlich davon ab, ob der Westen sich dafür entscheidet, dass die Ukraine den Krieg gewinnen soll. Wenn Kiew die benötigte Hilfe vollumfänglich und zeitnah gewährt wird, kann sie den Krieg noch in diesem Jahr für sich entscheiden. Das wäre der schnellste Weg, die Kämpfe und damit das Töten zu beenden. Wenn der Westen aber weitermacht wie bisher, könnte der Krieg in der Tat noch drei oder vier Jahre weitergehen.
Glauben Sie wirklich, dass Russland besiegt werden kann?
Russland hat keine unbegrenzten Ressourcen und auch nicht unendlich viel Zeit. Die Wirtschaft wird schwächer, das Militär gerät an seine Grenzen und auch die Gesellschaft wird irgendwann aufbegehren. Die Russen rekrutieren nicht einmal mehr Soldaten in den Gefängnissen, weil selbst die Gefangenen nicht mehr zum Militär wollen.
Aber Russland ist riesig und könnte noch Millionen Menschen zum Militär einziehen. Ist das nicht ein enormer Vorteil gegenüber der wesentlich kleineren Ukraine?
Wenn wird das Jahr 1815 hätten, wäre das sicher richtig. Aber in der modernen Kriegsführung kann Präzision die schiere Masse besiegen. Wenn es der Ukraine gelingt, die Hauptquartiere der Russen zu treffen, die Nachschublinien zu unterbrechen und die Munitionslager zu zerstören, genügt das. Und dafür braucht man nur genügend moderne Langstreckenwaffen. Es gelingt der Ukraine ja bereits jetzt, die schiere Masse an schlecht ausgerüsteten und gering motivierten Reservisten, die Russland einsetzt, am Vormarsch zu hindern.
Die Ukraine möchte vom Westen als nächstes Kampfjets haben. Würde das einen Unterschied machen?
Ja, es würde ihnen sicherlich helfen. Aber präzise Angriffe auf weit entfernte Ziele können ebenso durch Raketen, Artillerie oder Drohnen erfolgen. Hinzu kommt, dass Kampfjets hohe Kosten für Wartung und Betrieb mit sich bringen. Ein Kampfjet ist im Krieg vielleicht 20 Prozent der Zeit im Einsatz und 80 Prozent der Zeit am Boden, um gewartet zu werden. Dazu braucht es eine große und spezialisierte Crew. Deshalb erwarte ich nicht, dass die Ukraine in der nächsten Zeit moderne Jets wie etwa die amerikanischen F-16 bekommt.
Denken Sie nicht trotzdem, dass eine Verhandlungslösung der bessere und schnellere Weg zum Frieden sein könnte?
Wenn der Westen die Ukraine dazu drängt, einen Frieden zu verhandeln, bei dem Russland für seine Aggression belohnt wird, indem es weiterhin die Krim besetzt halten kann, wird der Krieg innerhalb weniger Jahre wieder ausbrechen. Die Russen würden die "Friedenszeit" nutzen, um ihr Militär wieder aufzubauen und zu stärken. Sie würden aber nicht von ihrem Ziel ablassen, die Ukraine zu zerstören. Die Ukraine wiederum könnte in diesem Fall ihre Wirtschaft nicht wieder aufbauen. Niemand dort ist sicher, solange Russland die Krim besetzt hält.
Wann hätten Verhandlungen denn einen Sinn?
Zunächst einmal ist das die Entscheidung der Ukraine. Bundeskanzler Olaf Scholz hat zu Recht gesagt, dass wir keine Entscheidungen über die Ukraine treffen dürfen, ohne die Ukraine. Die große Mehrheit der Ukrainer aber lehnt jede Verhandlungslösung ab, die den Russen die Herrschaft über den Donbass oder die Krim sichern würde. Präsident Selenskyj hat also sehr starken Rückhalt für eine Fortführung des Krieges. Und die russische Strategie, zivile Ziele und die Energieversorgung des Landes anzugreifen, so wie abscheuliche Kriegsverbrechen wie unter anderem in Butscha haben diese Entschlossenheit nur verstärkt.
Und wenn man die Ukraine von Verhandlungen überzeugen könnte?
Es wäre für die Ukraine unmöglich, sich wirtschaftlich zu erholen, solange Russland die Krim kontrolliert. Die Russen blockieren mit ihrer Schwarzmeerflotte, die auf der Krim stationiert ist, den Zugang zum Asowschen Meer – und damit zu einigen der wichtigsten Häfen der Ukraine. Ohne wirtschaftliche Erholung aber bleibt die Ukraine angreifbar und abhängig von der Hilfe des Westens. Außerdem würden wir einige der Konflikte, die dem Krieg zugrunde liegen, nicht lösen.
Welche sind das?
In diesem Krieg geht es auch darum, die regelbasierte internationale Ordnung zu verteidigen. Zu dieser Ordnung gehören die Beachtung der nationalen Souveränität, die Beachtung der Menschenrechte und des Völkerrechts. All das ist unbedingt notwendig, um Frieden, Sicherheit und Prosperität zu gewährleisten. Es geht nicht nur um die Ukraine. Daher ist es wichtiger, unsere Werte zu verteidigen, als die Kämpfe um jeden Preis zu stoppen.
Warum tut sich der Westen dann so schwer damit, der Ukraine mehr moderne Waffen zu liefern?
Es ist erstaunlich, wie geeint der Westen seit einem Jahr darin ist, Russland als Aggressor zu brandmarken, die Sanktionen aufrechtzuerhalten und die Ukraine zu unterstützen. Die Hilfe aus Deutschland etwa durch die Leopard-Panzer und die Patriot-Raketen ist sehr bedeutsam. Das Problem für die Ukraine ist aber, dass diese Entscheidungen sehr lange dauern und immer nur stückweise kommen. Der Hauptgrund ist sicherlich, dass Staaten wie die USA, Deutschland oder Frankreich sehr besorgt sind, dass es zu einer nuklearen Ausweitung des Krieges kommen könnte.
Ist diese Sorge nicht berechtigt?
Natürlich nehme ich diese Sorge sehr ernst, denn die Russen haben Tausende atomarer Sprengköpfe und sie nehmen keinerlei Rücksicht darauf, wie viele unschuldige Menschen sie töten. Aber ich denke, sie wissen, dass US-Präsident es ernst meinte, als er katastrophale Konsequenzen für den Fall androhte, dass Russland nukleare Waffen einsetzt. Außerdem würde es den Russen keinen militärischen Vorteil bringen.
Inwiefern?
Während des Kalten Krieges hatte die Sowjetunion taktische Atomwaffen, um durch deren Einsatz eine Lücke in die Verteidigung des Gegners zu reißen. Und sie hatten Truppen, die dafür ausgebildet und ausgerüstet waren, in einem kontaminierten Umfeld zu kämpfen, um in diese Lücke vorzustoßen. Heute haben sie diese Truppen nicht mehr. Die russischen Atomwaffen sind also am effektivsten, solange sie sie nicht benutzen, wir alle uns aber Sorgen darüber machen.
Aber was ist, wenn Putin mit dem Rücken zur Wand steht und im Einsatz von Atomwaffen den letzten Ausweg sieht?
Ja, dieses Risiko besteht natürlich und ich nehme das auch ernst. Aber Menschen, die Putin kennen, wie etwa der frühere Schachweltmeister Garri Kasparow, sagen, dass sie es für ausgeschlossen halten, dass Putin Atomwaffen einsetzt. Putin sei ein sehr vorsichtiger Mensch. Denken Sie daran zurück, wie besorgt er während der Corona-Pandemie war, sich anzustecken. Und er macht sich viele Gedanken über sein politisches Vermächtnis. Ich halte ihn nicht für verrückt oder selbstmordgefährdet. Er ist skrupellos und brutal. Aber er ist auch sehr auf sein Überleben und seinen Machterhalt fokussiert.
Gäbe es denn jemanden, der ihn stoppen könnte?
Das ist eine gute Frage. Beim Einsatz strategischer Atomwaffen gibt es sicherlich einen kleinen Kreis von Menschen, der dem zustimmen müsste. In den USA kann der Präsident ja auch nicht alleine darüber entscheiden. Es gibt ein Prozedere, das sicherstellt, dass nicht ein Mensch an einem schlechten Tag einen Atomkrieg auslösen kann. Bei den kleineren taktischen Nuklearwaffen gäbe es sogar einen wesentlich größeren Kreis von Militärs, der involviert werden müsste, bis diese wirklich auf dem Schlachtfeld zum Einsatz kämen. Und ich bin überzeugt, dass nicht alle davon mit der Entscheidung einverstanden wären.
Wie sieht es mit dem Machtzirkel um Putin aus?
Putin ist jetzt 70 Jahre alt. Und ich bin überzeugt, dass sich viele der Oligarchen bereits Gedanken über die Zeit nach ihm machen. Außerdem wollen sie irgendwann zu ihrem mondänen Jet-Set-Leben in Europa und anderswo auf der Welt zurückkehren. Und das wäre unmöglich, wenn Russland Atomwaffen benutzt. Nicht zu vergessen China: Xi Jinping hat sich klar gegen den Einsatz von Atomwaffen ausgesprochen und wird den Russen auch kommuniziert haben, dass das nicht akzeptabel wäre. Wir sollten der atomaren Erpressung Russlands daher auf keinen nachgeben, sonst wäre kein Nato-Staat jemals mehr sicher.




