Plus Militär

Westeuropa ist kaum verteidigungsfähig

Den "desolaten Zustand" der eigenen Armee teilt Deutschland mit etlichen anderen Staaten. Fast überall wurde nach 1990 gespart.

13.02.2023 UPDATE: 13.02.2023 06:00 Uhr 2 Minuten, 9 Sekunden
Der britische Verteidigungsminister Ben Wallace musste Kritik an Mängeln der Armee einstecken. Foto: dpa

Von Benedikt von Imhoff

London/Brüssel. Für die Atommacht Großbritannien war es ein herber Warnschuss. Die britische Armee sei derzeit keine hochkarätige Streitmacht, musste sich Verteidigungsminister Ben Wallace kürzlich nach einem Bericht des Senders Sky News von einem ranghohen US-General sagen lassen. Die Analyse kam für die Öffentlichkeit durchaus überraschend, stellt die Regierung die Truppe doch regelmäßig als eine der schlagkräftigsten der Welt dar. Lautstark wird auch der britische Beitrag für den Abwehrkampf der Ukraine gegen Russland gefeiert.

Doch hinter den Kulissen brodelt es. "Die Armee ist in einem desolaten Zustand", urteilte jüngst Tobias Ellwood, Vorsitzender des Verteidigungsausschusses und Parteifreund des konservativen Premierministers Rishi Sunak. Müsste die Truppe in den Krieg ziehen, ginge wohl schon nach wenigen Tagen die Munition aus, berichtete Sky. Die meisten Panzer und gepanzerten Fahrzeuge seien 30 bis 60 Jahre alt, Ersatz sei nicht in Sicht. Nun kündigte Sunak sogar die Ausbildung ukrainischer Kampfpiloten an – und verwunderte damit sogar Verbündete. Die Royal Air Force sei doch schon mit dem eigenen Bedarf am Anschlag, meinte ein westlicher Diplomat.

Britische Verteidigungspolitiker machen die massiven Einsparungen der letzten Jahre für die Misere verantwortlich. Klasse statt Masse sollte das Motto werden. Noch unter dem damaligen Premier Boris Johnson, der sich als engster Verbündeter der Ukraine präsentiert, war die Truppenzahl deutlich gesenkt worden.

Klar ist aber auch, dass das Nato-Mitglied Großbritannien mit seinen Problemen innerhalb des Verteidigungsbündnisses nicht alleine dasteht. In Deutschland wird bereits seit Jahren über veraltete und mangelhafte Ausrüstung diskutiert. In Italien berichtete jüngst die Zeitung "La Repubblica" von einer möglichen Gefahr für die landeseigene Verteidigung, wenn Hightech-Waffen wie das Flugabwehrsystem SAMP/T an die Ukraine geliefert würden.

Auch interessant
Verteidigungsbündnis: Nato-Chef Stoltenberg will Vertrag nicht verlängern
USA: Biden reist vor Jahrestag des Kriegsbeginns nach Polen
Pipeline-Explosionen: Kreml greift unbelegte Nord-Stream-Vorwürfe gegen USA auf

Und auch in Ländern wie den Niederlanden oder Spanien fehlt es in Folge der Sparzeit nach 1990 an modernem Material und an Personal. Aus Frankreich kommen nicht ganz so düstere Berichte. Das Land liefert allerdings nur beschränkt Waffen an die Ukraine, um sich selbst nicht zu sehr zu schwächen.

Wie groß die Diskrepanz zwischen Ist und Soll bei den Streitkräften in Europa ist, lässt sich nicht zuletzt an den Verteidigungsausgaben ablesen. 2014 bekräftigten alle Nato-Staaten bei einem Gipfel, dass jedes Land mindestens zwei Prozent seines Bruttoinlandsprodukts (BIP) ausgeben soll, um seine Ziele zu erreichen und Fähigkeitslücken des Bündnisses zu schließen. Bis heute erreicht nicht einmal die Hälfte der Alliierten dieses Ziel.

Spitzenreiter im Verhältnis von Wirtschaftskraft und Verteidigungsausgaben sind die USA: Sie lagen nach Nato-Zahlen zuletzt bei einer Quote von 3,47 Prozent. Mit 822 Milliarden US-Dollar (768 Milliarden Euro) zahlte Washington zuletzt mehr als doppelt so viel Geld für Verteidigung wie alle anderen Bündnisstaaten zusammen. Zum Vergleich: Die größte europäische Volkswirtschaft Deutschland gab 2022 nach Nato-Standard geschätzt 55,6 Milliarden Euro aus, Großbritannien umgerechnet 60,9 Milliarden Euro. Neben den USA und Großbritannien erreichten nur Griechenland, Polen, Litauen, Estland, Lettland, Kroatien und die Slowakei das Zwei-Prozent-Ziel.

Von Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg und Militärs gibt es deswegen seit Jahren Druck auf Länder wie Deutschland, die Ausgaben zu steigern. Zudem wird verstärkt dafür geworben, der Rüstungsindustrie die langfristige Nachfrage zu liefern, die sie zur Steigerung der Produktionskapazitäten benötigt.

Deutliche Worte fand jüngst der CSU-Vize und Chef der Europäischen Volkspartei (EVP), Manfred Weber. Es brauche "eine Art Kriegswirtschaft in der EU, um Stabilität und Sicherheit gewährleisten zu können", sagte Weber. Die europäischen Staaten seien derzeit nicht in der Lage, notwendige Rüstungsgüter schnell bereitzustellen.