Plus "Friedens-Manifest"

Unterstützung und Entrüstung für Schwarzer und Wagenknecht

Ein Krieg der Worte: Die Internet-Petition erhält viel Unterstützung und Kritik, die einem die Sprache verschlägt.

14.02.2023 UPDATE: 14.02.2023 06:00 Uhr 1 Minute, 50 Sekunden
Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht
Sahra Wagenknecht (Die Linke, l), Politikerin, und Alice Schwarzer, Frauenrechtlerin, stehen im Rheinauhafen am Rhein.

Von Klaus Welzel

Berlin/Heidelberg. Ob Romani Rose weiß, worauf er sich da eingelassen hat? Der Vorsitzende des Zentralrates Deutscher Sinti und Roma gehört zu den 69 Erstunterzeichnern des "Manifests für den Frieden".

Verfasst haben es die Feministin Alice Schwarzer und die Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht, die darin vor einer Eskalation des Ukrainekrieges warnen. Noch schlimmer: Vor einem Atomkrieg mitten in Europa.

Veröffentlicht wurde das "Manifest" am Freitag. Bis Montagabend schlossen sich über 370.000 Menschen an. Zugleich tobt ein Sturm der Entrüstung. Neben Schwarzer und Wagenknecht werden vor allem die Erstunterzeichner angegangen, zu denen auch Rose gehört.

Außerdem: Der Ex-Brigadegeneral Erich Vad, die Theologin Margot Käßmann, der Sänger Reinhard Mey, der Satiriker Martin Sonneborn, der Textilunternehmer Wolfgang Grupp und der frühere EU-Kommissar Günter Verheugen.

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Sie alle fordern von Bundeskanzler Olaf Scholz "die Eskalation der Waffenlieferungen zu stoppen. Jetzt!" Seine Regierung solle sich für einen Waffenstillstand und Friedensverhandlungen mit dem russischen Präsidenten Putin einsetzen – um Schaden vom deutschen Volk abzuwenden.

Hintergrund

Das "Manifest für Frieden" im Wortlaut:

"Heute ist der 352. Kriegstag in der Ukraine (10.2.2023). Über 200.000 Soldaten und 50.000 Zivilisten wurden bisher

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Das "Manifest für Frieden" im Wortlaut:

"Heute ist der 352. Kriegstag in der Ukraine (10.2.2023). Über 200.000 Soldaten und 50.000 Zivilisten wurden bisher getötet. Frauen wurden vergewaltigt, Kinder verängstigt, ein ganzes Volk traumatisiert. Wenn die Kämpfe so weitergehen, ist die Ukraine bald ein entvölkertes, zerstörtes Land. Und auch viele Menschen in ganz Europa haben Angst vor einer Ausweitung des Krieges. Sie fürchten um ihre und die Zukunft ihrer Kinder.

Die von Russland brutal überfallene ukrainische Bevölkerung braucht unsere Solidarität. Aber was wäre jetzt solidarisch? Wie lange noch soll auf dem Schlachtfeld Ukraine gekämpft und gestorben werden? Und was ist jetzt, ein Jahr danach, eigentlich das Ziel dieses Krieges? Die deutsche Außenministerin sprach jüngst davon, dass "wir" einen "Krieg gegen Russland" führen. Im Ernst?

Präsident Selenskyj macht aus seinem Ziel kein Geheimnis. Nach den zugesagten Panzern fordert er jetzt auch Kampfjets, Langstreckenraketen und Kriegsschiffe – um Russland auf ganzer Linie zu besiegen? Noch versichert der deutsche Kanzler, er wolle weder Kampfjets noch "Bodentruppen" senden. Doch wie viele "rote Linien" wurden in den letzten Monaten schon überschritten?

Es ist zu befürchten, dass Putin spätestens bei einem Angriff auf die Krim zu einem maximalen Gegenschlag ausholt. Geraten wir dann unaufhaltsam auf eine Rutschbahn Richtung Weltkrieg und Atomkrieg? Es wäre nicht der erste große Krieg, der so begonnen hat. Aber es wäre vielleicht der letzte.

Die Ukraine kann zwar – unterstützt durch den Westen – einzelne Schlachten gewinnen. Aber sie kann gegen die größte Atommacht der Welt keinen Krieg gewinnen. Das sagt auch der höchste Militär der USA, General Milley. Er spricht von einer Pattsituation, in der keine Seite militärisch siegen und der Krieg nur am Verhandlungstisch beendet werden kann. Warum dann nicht jetzt? Sofort!

Verhandeln heißt nicht kapitulieren. Verhandeln heißt, Kompromisse machen, auf beiden Seiten. Mit dem Ziel, weitere Hunderttausende Tote und Schlimmeres zu verhindern. Das meinen auch wir, meint auch die Hälfte der deutschen Bevölkerung. Es ist Zeit, uns zuzuhören!

Wir Bürgerinnen und Bürger Deutschlands können nicht direkt auf Amerika und Russland oder auf unsere europäischen Nachbarn einwirken. Doch wir können und müssen unsere Regierung und den Kanzler in die Pflicht nehmen und ihn an seinen Schwur erinnern: "Schaden vom deutschen Volk wenden".

Wir fordern den Bundeskanzler auf, die Eskalation der Waffenlieferungen zu stoppen. Jetzt! Er sollte sich auf deutscher wie europäischer Ebene an die Spitze einer starken Allianz für einen Waffenstillstand und für Friedensverhandlungen setzen. Jetzt! Denn jeder verlorene Tag kostet bis zu 1.000 weitere Menschenleben – und bringt uns einem 3. Weltkrieg näher.

Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht"

Die 69 ERSTUNTERZEICHNERiNNEN:

  • Dr. Franz Alt Journalist und Bigi Alt
  • Christian Baron, Schriftsteller
  • Franziska Becker, Cartoonistin
  • Dr. Thilo Bode, Foodwatch-Gründer
  • Prof. Dr. Peter Brandt, Historiker
  • Rainer Braun, Internationales Friedensbüro (IPB)
  • Andrea Breth, Regisseurin
  • Dr. Ulrich Brinkmann, Soziologe
  • Prof. Dr. Christoph Butterwegge, Armutsforscher
  • Dr. Angelika Claußen, IPPNW Vize-Präsidentin Europa
  • Daniela Dahn, Publizistin
  • Rudolf Dressler, Ex-Staatssekretär (SPD)
  • Anna Dünnebier, Autorin
  • Eugen Drewermann, Theologe
  • Petra Erler, Geschäftsführerin (SPD)
  • Valie Export, Künstlerin
  • Bettina Flitner, ­Fotografin und Autorin
  • Justus Frantz, Dirigent und Pianist
  • Holger Friedrich, Verleger ­Berliner ­Zeitung
  • Katharina Fritsch, Künstlerin
  • Prof. Dr. Hajo Funke, Politikwissenschaftler
  • Dr. Peter Gauweiler, Rechtsanwalt (CSU)
  • Jürgen Grässlin, Dt. Friedensgesellschaft
  • ­Wolfgang Grupp, Unternehmer
  • Prof. Dr. Ulrike Guérot, Politikwissenschaftlerin
  • ­Gottfried ­Helnwein, Künstler
  • Hannelore Hippe, Schriftstellerin
  • Henry Hübchen, Schauspieler
  • ­Wolfgang ­Hummel, Jurist
  • Otto Jäckel, Vorstand IALANA
  • Dr. Dirk Jörke, Politikwissenschaftler
  • Dr. ­Margot Käßmann, Theologin
  • Corinna Kirchhoff, Schauspielerin
  • Uwe Kockisch, Schauspieler
  • Prof. Dr. Matthias Kreck, Mathematiker
  • Oskar Lafontaine, Ex-Minister­präsident
  • Markus Lüpertz, Künstler
  • Detlef Malchow, Kaufmann
  • Gisela Marx, Journalistin
  • Prof. Dr. ­Rainer Mausfeld,­ Psychologe
  • Roland May, Regisseur
  • Maria Mesrian, Theologin
  • Reinhard Mey, Musiker und Hella Mey
  • Prof. Dr. Klaus Moegling, ­Politikwissenschaftler
  • Michael Müller, Vorsitzender NaturFreunde
  • Franz Nadler, Connection e. V.
  • Dr. ­Christof ­Ostheimer, ver.di-Vorsitzender Neumünster
  • Dr. Tanja Paulitz, Soziologin
  • Romani Rose, Vorsitzender Zentralrat Deutscher Sinti und Roma
  • Eugen Ruge, Schriftsteller
  • Helke Sander, ­Filmemacherin
  • Michael von der Schulenburg,­ UN-Diplomat a.D.
  • Hanna Schygulla, Schauspielerin
  • Martin Sonneborn, Journalist (Die Partei)
  • Jutta Speidel, Schauspielerin
  • Dr. Hans-C. von Sponeck, Beigeordneter ­UN-Generalsekretär a.D.
  • Prof. Dr. Wolfgang Streeck, Soziologe und Politikwissenschaftler
  • Katharina Thalbach, Schauspielerin
  • Dr. Jürgen Todenhöfer, Politiker
  • Prof. Gerhard Trabert, Sozial­mediziner
  • Bernhard ­Trautvetter, Friedensratschlag
  • Dr. Erich Vad, Brigade­general a.D.
  • Günter Verheugen, Ex-Vizepräsident EU-Kommission
  • Dr. Antje Vollmer Theologin (Die Grünen)
  • Peter Weibel, Kunst- und ­Medientheoretiker
  • Nathalie Weidenfeld, Schriftstellerin
  • Hans-Eckardt Wenzel, ­Liedermacher
  • Dr. Theodor Ziegler, Religionspädagoge
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In dem Appell betonen Schwarzer und Wagenknecht zwar: "Die von Russland brutal überfallene ukrainische Bevölkerung braucht unsere Solidarität". Aber dies könne eben nicht eine Verlängerung des Krieges mit immer neuen Waffenlieferungen sein, an deren Ende "ein entvölkertes, zerstörtes Land" stehe.

Zugleich fragen die Autorinnen nach dem Ziel des Krieges: "Die deutsche Außenministerin sprach jüngst davon, dass ’wir’ einen ’Krieg gegen Russland’ führen. Im Ernst?" Kritik übt das "Manifest" auch am ukrainischen Präsidenten Selenskyj, den sie angesichts der Forderung nach "Kampfjets, Langstreckenraketen und Kriegsschiffen" entgegenhalten, die Ukraine könne zwar einzelne Schlachten gewinnen, "aber sie kann gegen die größte Atommacht der Welt keinen Krieg gewinnen".

Dieser drohe spätestens, wenn ukrainische Bodentruppen auf der Krim einmarschierten. Schon so seien bereits 200.000 Soldaten und 50.000 Zivilisten in diesem Krieg ums Leben gekommen.

Vor allem im Internet setzte die im Grunde erwartbare Empörung ein. Der frühere ukrainische Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk, schrieb an die "beiden Putinschen Handlangerinnen": "Euer Manifest für Verrat der Ukrainer könnt ihr zusammenrollen und gleich in den Mülleimer am Brandenburger Tor werfen". Dort, am Brandenburger Tor, findet am 25. Februar, also einen Tag nach dem ersten Jahrestag von Putins Überfall auf die Ukraine, eine Demonstration statt, zu der die "Manifest"-Unterzeichner einladen.

Bundestagsvizepräsidentin Göring-Eckart (Grüne) wiederum nannte den Appell "nicht nur naiv, sondern auch unehrlich". Schwarzer und Wagenknecht befürworteten, "dass Putin und seine Leute unschuldige Ukrainerinnen und Ukrainer überfallen, einsperren, Frauen vergewaltigten und Kinder verschleppen lassen". Noch heftiger der frühere Wettermoderator Jörg Kachelmann, der laut telepolis.de die "Speichelleckerinnen für Kriegsverbrecher" heftig anging.

Die Theologin Käßmann zeigte sich unbeirrt: Niemand stelle mit der Petition in Frage, dass Putin "Kriegsverbrecher ist und einen völkerrechtswidrigen Angriff" führe. Es gehe aber darum, ob Deutschland sich mit der Lieferung von Angriffswaffen "dieser militärischen Logik Putins" anpasse – oder ob es Wege gebe, "endlich einen Waffenstillstand auszuhandeln". Für dieses Ausloten ist übrigens auch Rose. Ganz unaufgeregt.