Ampel-Streit über ein Phantom, das vielleicht niemals kommt
Die Ampel debattiert über die europäische Asylpolitik, als gäbe es die bereits. Doch kommt die je?

Von Thomas Vitzthum, RNZ Berlin
Berlin. Wer die Nachrichten zur Asyl- und Flüchtlingspolitik verfolgt, könnte annehmen, während der Flüchtlingskrise 2015/16 ins Koma gefallen und erst jetzt wieder erwacht zu sein. Innenministerin Nancy Faeser (SPD) hat sich etwa die alte Idee angeeignet, in Staaten, die eine EU-Außengrenze haben, Asylzentren einzurichten, in denen Ankommende per Schnellverfahren geprüft werden. Wer überhaupt keine Aussicht auf Asyl hat, würde gleich wieder zurückgeschickt.
Diese Zentren gibt es noch nicht, sie sind ein Phantom. Die Innenministerin und auch der Bundeskanzler geben sich aber optimistisch, dass die Errichtung im Rahmen des geplanten Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) etwas werden könnte. Doch bevor Grundzüge in der EU geeint sind, wird hierzulande schon über Details der Verfahren gesprochen. FDP-Fraktionschef Christian Dürr sprach sich dafür aus, dort auch Minderjährige festzuhalten, bis ihre Anträge geprüft sind. Eigentlich hat sich die Ampel darauf geeinigt, alle Minderjährigen außen vor zu lassen. "Die FDP betreibt hier ihre üblichen Spielchen: In den Zeitungen fordert sie das Gegenteil der Migrationspolitik, auf die sie sich intern in der Ampel einigt", sagte der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Alexander Throm (CDU), unserer Zeitung.
Generell teilt er Dürrs Anliegen aber: "Die niedrigere Altersgrenze ist auch sinnvoll, wenn man die Altersstruktur der Asylmigranten sieht. Deutschland erschwert die Einigung bei der europäischen Asylpolitik massiv – und die FDP nutzt die Verhandlungen zur Selbstdarstellung." Die EU-Kommission hatte nur die unter 12-Jährigen ausnehmen wollen, die Koalition will dies auf unter 18-Jährige ausweiten. Dürr erntet deshalb aus der Koalition Widerspruch. "Der Schutz vulnerabler Gruppen liegt der SPD besonders am Herzen. Aus diesem Grund fordert die Bundesregierung auch einmütig, die von der Kommission vorgesehene Ausnahme für Familien mit Kindern unter 12 Jahren auf Familien mit Kindern unter 18 Jahren auszuweiten. Warum Herr Dürr diesen Konsens und damit auch die Position der FDP-Minister nun einseitig öffentlich in Frage stellt, ist sehr verwunderlich", sagte SPD-Vizefraktionschef Dirk Wiese unserer Zeitung. "Die zwischen den Ressorts abgestimmte Haltung gilt."
Was Dürr umtreibt, ist leicht zu durchschauen. Es hat mit den Umfragewerten der AfD zu tun. Die ist im neuen Deutschlandtrend von Infratest Dimap bei 18 Prozent gelandet – gleichauf mit der SPD. Die FDP kommt auf sieben Prozent. Nun beginnt die Suche nach Hebeln, den braunen Höhenflug zu stoppen.
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Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) fordert eine Obergrenze von 200.000 Asylbewerbern pro Jahr. Die Zahl hatte schon CSU-Chef Horst Seehofer 2015 ins Spiel gebracht. Die Union stellt sich hinter Kretschmer. "Wir brauchen insgesamt eine deutliche Begrenzung der Asylzuwanderung", sagt Throm. Der derzeitige Zuzug überschreite die Kapazitäten. FDP-Innenpolitiker Stephan Thomae bezeichnete die Obergrenze dagegen als "nicht praktikabel". Argumente wie diese waren schon 2015 zu hören.
Damals wie heute verfolgen die Debatten zwei Ziele: Einerseits sind sie der Versuch, wirklich einen Mechanismus zu entwickeln, um die Zahlen zu begrenzen. Andererseits geht es darum, politisch der AfD zu begegnen. Seinerzeit hatte beides keinen Erfolg. Und aktuell hängt der AfD-Erfolg nicht nur an der Migrationspolitik. Ein europäischer Asylmechanismus wäre gleichwohl ein gutes Argument gegen sie. Seine Chancen aber schwinden. Denn demnächst finden in Spanien und Griechenland Neuwahlen statt. Diese Länder sind Schlüsselstaaten, weil über sie viele Flüchtlinge einreisen. In beiden Staaten gibt es AfD-ähnliche Parteien, die wie die spanische Vox teils rechtsextrem sind. Dort sieht man Asylzentren im eigenen Land gerade nicht als geeignet an, die Rechten klein zu halten.