Gitarrist Michael Schenker. Foto: Rethmann
Von Olaf Neumann
Er wird von Metallica, Slash und Slayer verehrt und sollte bei den Rolling Stones einsteigen: Michael Schenker. Der 66-jährige Niedersachse gilt als der einflussreichste Gitarrist aus Deutschland. In seinem Spiel verbinden sich Feeling, Virtuosität und Melodien auf einzigartige Weise. Auf seinem Jubiläumsalbum "Immortal" gibt sich die Crème de la Crème des harten Rock die Ehre.
Herr Schenker, haben Sie das neue Album "Immortal" während der Corona-Krise aufgenommen?
Michael Schenker: Ja. Nachdem ich Anfang 2020 von der Kreuzfahrt-Tour "70.000 Tons Of Metal" zurückgekommen war, fing ich sofort mit dem Schreiben an. Da war mir noch nicht bewusst, dass es dieses Virus gab. Ich wollte eigentlich mein 50. Jubiläum feiern – mit einer kompakten Band. Das wären Ronnie Romero, Steve Mann, Bodo Schopf und Barry Sparks gewesen. Aber auf einmal kam dieses Virus inklusive Lockdown. Es hatte auf mich einen bittersüßen Effekt, weil diese Umstellung ein wahnsinniges Resultat zur Folge hatte. Das hätte ich gar nicht planen können. Normalerweise fahre ich in einem GT-Sportwagen rum, da passen gerade mein Verstärker, zwei Gitarren und ein paar Klamotten rein. Damit bin ich dann von England zu Michael Voss ins Studio gefahren.
Ging das so einfach während des ersten Lockdowns?
Ich konnte nicht die normale Route über Frankreich, Belgien und Holland nehmen. Ich bin dann von Brighton nach Harwich gefahren und von dort mit einer Fähre über Nacht weiter nach Greven. Diese Tour habe ich viermal gemacht. Einmal hatte ich Glück und musste nicht in Quarantäne. Aber dreimal kam ich nicht drum herum, was insgesamt 42 Tage waren. Die ersten 14 Tage waren okay, weil ich ein schönes Haus mit Garten habe. Aber das zweite Mal war es schon ein bisschen langweiliger. Ein drittes Mal würde ich keinem empfehlen. Ich kam mir vor wie Robinson Crusoe auf seiner einsamen Insel.
Wie ging es bei Michael Voss im Studio in Greven bei Münster weiter?
Wir haben zuerst die Backing-Tracks aufgenommen. Dann wollten wir Ronnie Romero (Rainbow) dazu holen, der hatte aber gerade Verpflichtungen und konnte es sich nicht erlauben, 14 Tage in Quarantäne zu gehen. Ich nehme seit 50 Jahren Abstand von anderer Musik und bin immer nur von innen her kreativ. Ich möchte mich keinem Trend anschließen und bin selber Trendmaker. In den 1980ern haben 80 Prozent der Gitarristen meine Sachen nachgemacht. Das ging bis zum Übermaß. Ich habe aber nie nach Ruhm gestrebt und wollte immer nur Spaß haben an meiner Musik. Jedenfalls hat mir meine Bekannte dann den Sänger Ralf Scheepers von PrFear vorgeschlagen. Bereits am nächsten Tag hat Michael Voss ihn aufgenommen. Das Stück "Warrior" klingt fantastisch! Ich wusste gar nicht, dass es solch eine Stimme gibt. Brian Tichy, der Ex-Schlagzeuger von Ozzy Osbourne und Whitesnake, hat sich dann als Fan geoutet und angeboten, bei sechs Stücken umsonst mitzuspielen. Auch Derek Sherinian von Dream Theater hat sich beteiligt, er gehört zu den besten Keyboardern der Welt. Ich habe mit ihm gejammt à la Deep Purple.
Wie ist Ex-Rainbow- und Deep-Purple-Sänger Joe Lynn Turner auf der Platte gelandet?
Er ist einer meiner Lieblingssänger. Wir haben schon einmal zusammengearbeitet. Joe Lynn Turner hat für das Album zwei Stücke eingesungen. Anschließend nahmen wir vier Stücke mit Ronnie Romero auf. Auf "In Search Of The Peace Of Mind” ist Gary Bardens wunderschöne warme Stimme zu hören, und Simon Phillips (Toto, The Who) spielt dazu Schlagzeug. Am Ende kamen sogar noch die Sänger Doogie White und Robin McAuley von der Michael Schenker Group dazu. "In Search Of The Peace Of Mind” ist für mich ein wichtiges Stück, weil es mein erster selbst geschriebener Song ist.
Wie gut ist Ihr Lebensgedächtnis?
Sich an alle Einzelheiten in der richtigen Reihenfolge zu erinnern, ist sehr schwierig. Auf jeden Fall hatten wir irgendwann eine Band zusammen, die das Angebot bekam, mit den englischen UFO auf Tour zu gehen. In Deutschland war es damals sehr schwierig, als Berufsmusiker akzeptiert zu werden, ich hatte auch keine Hoffnung, vor Leuten zu spielen, die überhaupt nichts verstehen von dem, was ich mache. So bin ich dann nach der Veröffentlichung von "Lonesome Crow" (von den Scorpions) nach England gegangen und habe mich mit der Band UFO weiterentwickelt. Mit 16 Jahren habe ich im Freizeitheim Vahrenwald den Gitarristen Uli Roth entdeckt. Ich konnte die Scorpions nicht verlassen, ohne einen Ersatz zu finden. Uli spielte auf fantastische Weise Stücke von Ten Years After nach.
Angeblich sollten Sie damals auch für die Rolling Stones vorspielen. Stimmt das?
Ja. Ich weiß noch ganz genau, wie ich im Juni 1972 nach England gefahren bin. Ein paar Monate später bekam ich einen Anruf: Ob ich Lust hätte, bei den Rolling Stones vorzuspielen. Ich sagte auf Deutsch "Du machst Witze!" und legte einfach auf. Brian Jones war gerade gestorben und die Stones suchten nach Leuten in ihrem eigenen Harem. Wäre ich damals bei denen eingestiegen, würde ich heute wahrscheinlich gar nicht mehr leben. Das wäre nicht gut gegangen. Vor allen Dingen war ich gerade bei UFO eingestiegen und hatte ein gemütliches Zuhause. Warum sollte ich dann in eine Situation reingehen, die mich kaputt machen würde.
Haben Sie mit Ihrem Bruder über das verlockende Angebot gesprochen?
Das habe ich. Er meinte, es sei mein Leben. Ich müsse selbst entscheiden, was mir gefällt.
Info: Das Album "Immortal" zum 50. Bühnenjubiläum von Michael Schenker gibt es ab 29. Januar.