Von Johannes Hucke
Leute, haltet Euch fest, es gibt was Neues. Wer nicht schon irgendwo davon erfahren hat, wird es kaum glauben können. Die (sehr) wenigen Sektmacher auf Weltniveau in Deutschland haben ein Brüderchen bekommen: Griesel. Manche Genusswurzel hat’s natürlich schon mitgekriegt; wie wir erfuhren, wurde jüngst ein Blanc de Blancs in einem viel gepriesenen Stuttgarter Hause (verdeckt) gereicht - und alle, selbst die gebildetsten Rezeptorantinnen sangen im Akkord: "Champagner, Champagner!" Und zwar nicht irgendeiner. Die Vermutungen rangierten preislich zwischen 70 und 350 Euro. Es waren - eigentlich dürfen wir das gar nicht sagen - 14,50 Euro.
Die Geschichte ist so jung wie ungewöhnlich. Sie beginnt damit, dass die Hessischen Staatsweingüter ihre Bensheimer Niederlassung samt weinmärchenhaftem Keller einfach zusperren und in den Rheingau abziehen. (Halt, falsch, im "Rebmuttergarten" existiert ja noch eine entzückende Destination an der Bergstraße!) Was aber sollte geschehen mit dem vom kunstsinnigen Großherzog Ernst Ludwig inspirierten Gebäudekomplex in der Grieselstraße, einem Prachtbeispiel des Bergsträßer Jugendstils? Schon raunte man, finstere Investoren stünden bereit - da tauchte die Auerbacher Familie Streit aus dem Nebel der Geschichte. Wir lernen: Auch Unternehmensberater können zu etwas gut sein. Man gründete ein Sekthaus und suchte nach einem Begabten für die Produktion - per Inserat.
Und siehe, es kam einer: Niko Brandner. Wie und warum dem in Kirchzell bei Amorbach Geborenen es jedoch glückte, innerhalb so unfassbar kurzer Zeit derart herausragende Sekte zu machen, das haben wir ehrlich gesagt nicht ganz kapiert. Sicher, der Mann hat bei Paul Fürst gelernt, doch der zeichnet für unvergessliche churfränkische Rotweine verantwortlich. Wer weiß, ob da unten in den Kellergewölben der Grieselstraße nicht irgendein Wein-Geist haust, mit dem Brandner einen Pakt einging.
Bescheiden, doch bestimmt verkündet der Startupper: "Wenn man natürlich arbeiten will, geht es einfacher, Sekt zu machen." Aha - und warum? "Die chemische Stabilität ist höher. Wir brauchen so gut wie keinen Schwefel. Gesunde Trauben in Handlese, langes Hefelager, schöne Dosage oder gar keine, dann klappt das schon: Millionen Möglichkeiten!"
Zu erwähnen wäre unbedingt die gute Laune, die das Team verströmt. Dazu gehören Vertriebskraft Anna Faude sowie die Winzerin Rabea Trautmann, von der noch im August die Rede sein wird. Zurück zum Sekt. Welch eine Karriere hat dieser Perlentrunk zuletzt hingelegt, vom Piccolöchen für die missmutige Anwaltsgattin zum Premiumgetränk der Hipster. Wobei uns gerade einfällt, dass auch die umliegende haute cuisine beim Aufschwung mitwirkt: am innovativsten vielleicht in "Kaltwassers Wohnzimmer" zu Zwingenberg, Heimstatt von Simon-Bürkle, Kooperationspartner von Griesel.
Umwerfend köstlich nimmt sich der Duft der Brandner’schen Sekte aus, so im Falle des Riesling-Sektes, bei dem zunächst auch Fachnasen irren, so wunderbar briocheartig riecht dieses Elixier. Im Mund wird dann alles klar: sortentypisch, mit feinster Perlage entbreitet sich ein durch Cremigkeit abgerundeter eigener Kosmos. Ohne den Odenwald wären Bergsträßer Wein und Sekt nicht halb so gut; so gefällt es uns besonders, dass dem Hinterland in Form des Apfelschaumweins Tribut erwiesen wird. Drei Jahre darf der sich auf der Hefe ausruhen und bekommt dann noch etwas Süße - per Apfelsaft-Zugabe.
Da wir (Gott sei’s geklagt) an den weiteren Verkostungen nicht teilnehmen konnten, schalten wir unseren Korrespondenten Gert Steinheimer zu. Der Mann ist ja nicht nur Regisseur und Fotograf, sondern zunächst einmal Autor: "Wir sprechen von der Griesel Grand Cuvée. Ein auf hohem Rosse einher reitender trockener Bergstraßen-Champagner mit edler Mineralität, der mich an kühle Sommertage erinnert, wenn ich vor lauter Überfreude rufe: Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s sein! Der aufragende Hochadel dieses Tropfens könnte einen Bürgerlichen beim ersten Schluck vielleicht erschrecken, aber jedes weitere Rinnsal entlang des Gaumens wirft einen auf die Knie. 60 Prozent Edelstahl, 40 Prozent französische Eiche, 55 Prozent Pinot noir, 20 Prozent Pinot Meunier, 25 Prozent Chardonnay. Keine Filtration."
Es gäbe noch viel zu entdecken, doch lassen wir’s zunächst mit dem Rosé Extra Brut bewenden, zugleich Abschiedsgruß und Verpflichtung auf baldiges Wiedersehen. Gert Steinheimer: "Nun also der Rosé. Er hat einen leicht hefigen Auftritt, lächelt aphroditisch-golden aus dem Glase und geht doch fast rau am Gaumen entlang, als wolle er nach seiner verführerischen Farbe eine spröde Absage erteilen. Der Schaumgeborene möchte auf einem Podest mit den besten Champagner stehen, so edel-trocken-gravitätisch schreitet er einher. Geben wir dem Goldlöckchen eine Chance und nehmen ihn in die Arme."